West-Samoa erfüllt eine alte Sehnsucht: schneeweiße Strände, tiefblaue Lagunen, Blüten und Blumen in Hülle und Fülle und freundliche Menschen. Doch der Zwergstaat ist eher ein Geheimtipp.

Hibiskus, weißer und roter, Riesenfarne, Duft von Vanille und von den weißen Frangipanis: schönste Blüten der Tropen. Wilde Bananen und Mangos hängen herab, zum Greifen nahe. Der Regenwald lichtet sich, Berge sind zu sehen, grüne Zacken und Kegel, die an die Wolken stoßen. Ein glitzernder Wasserfall sprüht Gischt über Orchideen und Palmen. Bunte Vögel fliegen dicht an den tosenden Vorhang heran, ein Regenbogen rahmt das Bild.
Sah so der Garten Eden aus? Nirgendwo ist „das Paradies“ in unserer Fantasie so tief verankert wie auf jenen tropischen Inseln, die über 20 Flugstunden entfernt im größten Ozean der Erde liegen. Mitgewirkt an diesem Mythos haben viele, der Kapitän James Cook, der Maler Paul Gauguin, der Poet Jack London, die Matrosen der legendären „Bounty“ – und die Werbefotografen.
Pünktlich um 8 Uhr an jedem Werktag kommt an der Beach Road in Apia, Hauptstadt der Samoa-Insel Upolu, der Verkehr zum Stillstand. Dann taucht die Polizei auf, etwa hundert Mann. Hellblau gekleidet unter weißen Helmen. In Zweierkolonne marschieren sie zum Parlamentsgebäude. 20 von ihnen greifen zu den Instrumenten und spielen mit schmissiger Blasmusik zur rotblauen Flaggenparade auf. Nach wenigen Minuten ziehen sie unter Pauken und Trompeten wieder ab, provinzieller Lärm weicht den patriotischen Klängen.
Alles läuft hier eher bedächtig

In der Nähe hängt in einem kleinen Laden ein buntes T-Shirt. „Where the hell is Western Samoa?“ steht darauf. Ja, wo zum Teufel liegt die winzige Inselgruppe? Die neun Inseln West-Samoas „kleben“ unmittelbar östlich an der internationalen Datumslinie im Stillen Ozean. Damit sehen die Samoaner neben den Insulanern des benachbarten Königreichs Tonga jeden Tag als letzte der Erde die Morgensonne. Vielleicht ein Grund, warum hier alles sehr bedächtig abläuft nach dem Motto „Fa’a Samoa“ – gemeint ist der hiesige Lebensstil, den man auch den Himmel auf Erden nennen könnte.
Trotz der gemächlichen Lebensweise war West-Samoa der erste Südseestaat, der 1962 seine Unabhängigkeit erklärte. Deutsche Namen auf Grabsteinen und Firmenschildern erinnern daran, dass er bis 1914 deutsche Kolonie war. Damals wie heute lieben die wenigen hier verheirateten Deutschen die Heiterkeit, die Leichtigkeit und diese kultivierte Faulheit, eben das „Fa’a Samoa“. So ähnlich muss es auch Robert Louis Stevenson, dem schottischen Schriftsteller der „Schatzinsel“, ergangen sein. Nach einem Schiffbruch verbrachte er mit seiner Frau Fanny seine letzten vier Jahre auf Upolu. Seine geliebte Villa Vailima sowie sein Grab auf dem Mount Vaea sind heute die Inselattraktionen. Zweifellos aber auch „Aggie Grey’s Hotel“, Kultadresse am Hafen und Südseelegende wie die Erstbesitzerin gleichen Namens – ohne Strand zwar, aber mit viel Atmosphäre. Zum Fünf-Uhr-Tee am Pool treffen sich Abenteurer, Aussteiger, Romantiker und Globetrotter zum Sunset.
Bei denen spürt man diese stille Sehnsucht – wonach auch immer. Jedenfalls will man mehr als ein Strandhotel mit polynesischen Fiafia-Nächten, die aus Tanz und Dinner-Buffets bestehen. „Samoa sehen, wie es die Samoaner sehen“, verheißt eine Rundreise über Upolu und die größere, aber wenig besiedelte Schwesterinsel Savaii.

Dichter Regenwald, urzeitliche Farne
Die Tour beginnt in Apia in einem typischen Überlandbus. Der besteht aus einem Truckchassis mit einem bunten, hölzernen Aufbau als Fahrgastraum. Das verheißt nicht nur ein hautnahes Naturerlebnis, sondern das Eintauchen ins „Fa’a Samoa“. Was das heißt, erfährt man gleich auf den ersten Kilometern – man sitzt auf verdammt harten Holzbänken bei lauter Discomusik. Twiti, der Fahrer, sitzt lächelnd hinter dem Steuer, um seine Beine flattert ein landestypischer Wickelrock. Ein kurzer Stopp am farbenfrohen New Market, auf dem an jeder Ecke Bilder Paul Gauguins lebendig werden, tut für den Anfang gut. Der Bus rumpelt gemächlich weiter über die schmale Küstenstraße, auffallend die vielen Kirchen verschiedener Religionen. Angenehm der kühlende Fahrtwind durch die scheibenlosen Holzrahmen. Auf der einen Seite zieht die blaue Lagune vorbei, in der Fischer mit ihren Auslegerkanus dümpeln, auf der anderen Seite wechseln sich Palmen und Regenwald mit grünen Dorfwiesen ab. In gepflegten, blühenden Vorgärten reihen sich ovale, offene Häuser mit gewölbten, aus Kokoswedeln geflochtenen Dächern. In diesen „Fales“ räkeln sich auf Bastmatten Einheimische und winken gelassen. Mehr Bewegung ist in der Mittagshitze nicht drin.

Dichter Regenwald mit dem fantastischen Togitogiga-Wasserfall, urzeitliche Farne, Tropenbewuchs und vielfarbige Blumen bestimmen das fruchtbare Inselinnere. Die „Safari“ über die Mafa Pass Road zu den Traumstränden im Süden wird zum Trip durch eine lieblich-grüne Hölle.
Nach zwei Stunden ist Aleipata an der Ostküste erreicht. Meist leere, lang gezogene Strände ziehen vorbei: pechschwarze Lava-Zungen, schneeweißer Sand und das türkisblaue Meer sind ein schöner Kontrast. Luftige Fales laden zum Wohnen ohne Wände ein: ausgestattet mit Matratze, Moskitonetz, Dusche und Jalousien gegen den Wind – preiswert, pur, originell. Die Zeit bis zum Essen nutzt man am besten am Puderzuckerstrand von „Lalomanu“, schnorchelt im Türkis der Lagune am gut erhaltenen Riff und schaut, was die Korallenfische so machen.
„Tiefe Religiosität und Toleranz“

Im Dorf bereiten die Frauen herzhafte Gerichte zu: frisch gefangener Fisch in Kokosnusssauce und gekochte Tarowurzeln. „Ohne Meerestiere, Brotfrüchte, Taro, Yams und exotische Früchte wäre für uns das Leben nur halb so lebenswert“, bemerkt Twiti. All dies ist in seiner Heimat im Überfluss zu finden. Beim gemeinschaftlichen Essen sind die Besucher schnell mittendrin in den Großfamilien. „Ihr Europäer träumt vom Leben unter Palmen und Menschenstille. Unser Paradies ist das Leben in großer Gemeinschaft. Sie ist von tiefer Religiosität und Toleranz gleichzeitig geprägt“, philosophiert der Matai, der Dorfälteste mit den eindrucksvollen Tätowierungen um Hüfte und Oberschenkel. „Nur in der Gruppe lässt sich die isolierende Weite des Pazifiks ertragen.“
Auf der Küstenstraße gen Westen geht die Fahrt an unendlich weiten Kokosplantagen vorbei. Sie stammen noch aus der Kolonialzeit, als sich Ende des 19. Jahrhunderts die USA und das Deutsche Reich Samoa teilten. Deutschland bekam den Westteil, die USA den Osten der Inselgruppe. Die Palmen, die deutsche Siedler gepflanzt haben, erkennt man noch heute an ihrer peniblen Ausrichtung in Reih und Glied.
Die Zeit wird knapp. Statt bis Mulifanua an der Westspitze Upolus zu fahren, wo die Fähre nach Savaii hinübersetzt, dreht Twiti ab auf die Cross Island Road. Ein traditionelles Umu-Essen mit anschließendem Tanz im Fackelschein steht auf dem Programm. An Festtagen werden die Umus, die Erdöfen, angeheizt, dann herrscht dicke Luft an der Küste. Auf Lavasteinen garen kleine Esspakete aus Bananenblättern, die um Hühnerteile gewickelt und wieder in Kokosnussmilch getränkt werden. Bis das Essen gar ist, tönt die Holztrommel in den Palmenhainen. Jüngere und ältere Männer führen den Siva Afi auf, einen spektakulären Feuertanz, wobei sie Messer mit brennenden Flammen um ihre Körper wirbeln. Südsee-Feeling …