Dass ein Team von der Vierten in die Zweite Liga durchmarschiert, ist selten genug. Hat es aber schon viermal gegeben. Dass gleich beide Aufsteiger wieder aufsteigen, ist aber historisch.
Beim Thema Ulm denken viele sofort an Münster. So heißt nämlich die dortige Kirche. Die größte evangelische Kirche in Deutschland. Vor allem aber hat das Ulmer Münster mit 161,53 Metern den höchsten Kirchturm der Welt, knapp vor der Basilika Notre-Dame in Paris und dem Kölner Dom.
Doch auch die Fußball-Fans im Lande nennen Ulm und Münster seit Wochen in einem Atemzug. Denn die beiden Clubs dieser Städte, der SSV Ulm 1846 und der SC Preußen Münster, haben in dieser aison Historisches geschafft. Gemeinsam steigen die beiden früheren Bundesligisten in die Zweite Liga auf. Und das, obwohl sie erst im vergangenen Sommer aus der Regionalliga in die Dritte Liga hochgekommen waren. Dass ein Verein aus der Vierten direkt in die Zweite Liga durchmarschiert, ist kein Novum. Viermal hat es das bis dato schon gegeben. 2014 schaffte es als erster Club RB Leipzig, das mit seinen besonderen Voraussetzungen weitere zwei Jahre später in die Bundesliga durchmarschierte und schon kurz drauf zum Stammgast in der Champions League wurde. 2016 legten die Würzburger Kickers nach, die aber direkt wieder abstiegen. Ein Jahr später folgte Jahn Regensburg, wie Würzburg allerdings über den Umweg Relegation. Und im Vorjahr schließlich startete die SV Elversberg durch, als erster der bis dahin vier Clubs als Meister. In dieser Hinsicht zog Ulm nun nach. Und Münster folgte im Schlepptau.
„Das sieht man nur im Fernsehen“
Der Jubel in beiden Städten war riesig. Denn erstens handelte es sich um zwei Clubs aus halbwegs großen Städten. Münster liegt auf Platz 20 der einwohnerstärksten Städte Deutschlands, vor etablierten Fußball-Großstandorten wie Mönchengladbach, Gelsenkirchen Freiburg oder Mainz. Ulm belegt Rang 60, nicht weit hinter Leverkusen und vor Wolfsburg oder Kaiserslautern. Zweitens sind beides Clubs mit großer Tradition. Und drittens mussten beide in den vergangenen Jahren viel leiden.
Nehmen wir zunächst einmal die Ulmer, der Meister zuerst. „Die letzten sind, glaube ich, um 7 Uhr heimgekommen“, berichtete Geschäftsführer Markus Thiele am Tag nach dem Aufstieg. Schon beim Schlusspfiff waren die meisten Fans auf den Rasen gestürmt und trugen die Spieler auf Händen. „Ich habe das noch nie erlebt“, sagte Abwehrspieler Tom Gaal: „Das sieht man nur im Fernsehen und ich wollte es unbedingt mal miterleben.“ Und nun sei es „einfach noch viel, viel besser“ als gedacht.
Schon einmal haben die Ulmer mit einem Durchmarsch für Furore in Fußball-Deutschland gesorgt. Im Jahr 2000 stiegen die unter dem bis dahin völlig unbekannten Trainer Ralf Rangnick in die Zweite Liga aufgerückten Spatzen unter dessen Nachfolger Martin Andermatt direkt ins Oberhaus auf. In ihrem einzigen Bundesliga-Jahr sorgten die Ulmer zwar für zwei negative Highlights, die haften blieben. Das 1:9 gegen Bayer Leverkusen war die zweithöchste Heimniederlage der Bundesliga-Historie nach einem 0:9 des legendären Absteigers Tasmania Berlin gegen den Meidericher SV. Und die vier Platzverweise im Auswärtsspiel bei Hansa Rostock hat vorher und nachher nie ein Erstligist übertroffen.
Wölre hat alle widerlegt
Dennoch hielten die Ulmer gut mit, stiegen am Ende nur knapp als 16. ab. Doch gelten sie bis heute als Musterbeispiel dafür, dass ein Aufstieg für einen Verein zu früh kommen und man sich dort oben überheben kann. So, wie sie vorher durchmarschiert waren, wurden die Ulmer nun durchgereicht. Und noch schlimmer. Sie stiegen sportlich erneut ab, durften aber nicht in die Dritte Liga, sondern mussten wegen einer dazukommenden Insolvenz gleich in die fünftklassige Oberliga. Dort blieben sie sechs Jahre und kehrten auch nach zwei Aufstiegen wieder hin zurück. Zwei weitere Insolvenzen bis 2014 machten eine nachhaltige Gesundung fast unmöglich. Durch den Aufstieg im Vorjahr spielte Ulm zum ersten Mal seit 23 Jahren überhaupt oberhalb der Vierten Liga. „Drei Insolvenzen und jetzt steigen wir in die 2. Bundesliga auf. Das ist Wahnsinn. Das ist der schönste Tag meines Lebens“, sagte Kapitän Johannes Reichert: „Wir haben etwas ganz Großes und Historisches erreicht.“ Und das mit Tom Wörle, einem sehr spannenden Trainer. Neun Jahre trainierte dieser die Frauen des FC Bayern, weswegen es bei der Verpflichtung durchaus Skepsis gab, wie Thiele bestätigte. Doch Wörle hat alle widerlegt.
In die Fünfte Liga abgestiegen war Münster zwar nie, dennoch spielte der Verein jahrelang unterhalb dessen, was eigentlich sein Anspruch ist. Und wo er nach Ansicht vieler auch hingehört. 1963 waren die Westfalen sogar Gründungsmitglied der Fußball-Bundesliga, stiegen aber gleich mit dem 1. FC Saarbrücken ab und im Gegensatz zu den Saarländern nie wieder auf. Bis 1981 blieb Münster zweitklassig und sackte erst bei Einführung der eingleisigen Zweiten Liga noch tiefer ab, als im Norden zehn von 22 Mannschaften quasi absteigen mussten. Von 1989 bis 1991 war Preußen noch mal zwei Jahre zweitklassig. Auf die Rückkehr mussten die Münsteraner nun 33 Jahre warten.
Einmal für fünf und einmal für drei Jahre war Preußen dann auch nur viertklassig. In Drittliga-Jahren von 2011 bis 2020 wollte Münster stets angreifen, stieg aber nie auf. Und dafür plötzlich ab. Im Abstiegsjahr übernahm Ende Januar Sascha Hildmann den Trainerposten, den Abstieg konnte er nicht mehr verhindern. Weil der Club in seiner Amtszeit aber die elftbeste Bilanz hatte, durfte der Pfälzer bleiben. Auch als in den ersten beiden Viertliga-Jahren als Dritter beziehungsweise knapper Zweiter hinter Rot-Weiss Essen der Aufstieg misslang. Dann schaffte Hildmann ihn souverän – und marschierte mit seinem Team direkt durch. Mit einem unfassbaren Lauf nach Weihnachten als zweitbestes Rückrunden-Team nach Ulm. Nach Ende der Hinrunde hatte Münster noch auf Rang zwölf gelegen, punktgleich mit dem am Ende fast abgestiegenen Nachbarn Arminia Bielefeld.
Einer der ersten Gratulanten kam von weit oben. „Das ist ohne Übertreibung ein sporthistorischer Moment nicht nur für den Verein, sondern für die Stadt Münster und für das ganze Münsterland“, sagte Bischof Felix Genn. Hildmann, der schon vor dem Schlusspfiff des entscheidenden Spiels gegen Unterhaching auf der Bank in Tränen ausgebrochen war, rief den mehreren Tausend Fans bei der Aufstiegsfeier zu: „Wir haben Geschichte geschrieben, wir haben das Wunder von Münster geschafft. Hier geht wirklich jeder für jeden durchs Feuer.“ Und Vereinspräsident Bernward Maasjost scherzte angesichts der zweiten großen Aufstiegsfeier innerhalb eines Jahres: „Wenn das zur Gewohnheit wird, müssen wir nächstes Jahr ja wieder hier stehen.“ Als Höhepunkt der ausgelassenen Feierlichkeiten machte Profi Alexander Hahn seiner Freundin Hannah auf der Bühne einen Heiratsantrag. „Erst auf der Fahrt im Doppeldecker hierher habe ich mir auf einmal gedacht, dass heute der ideale Tag dafür ist“, sagte er lachend.
Der Aufstieg war völlig ungeplant
Nun geht es also für Ulm und Münster direkt in die wieder einmal „stärkste Zweite Liga aller Zeiten“. Die sie diesmal von den Namen her tatsächlich ist. Der Hamburger SV, Hertha BSC, Schalke 04 oder der 1. FC Köln werden nächste Saison Gegner in offiziellen Liga-Spielen sein, auch Clubs wie Hannover 96, Fortuna Düsseldorf, der 1. FC Kaiserslautern oder der 1. FC Nürnberg. Und genau das könnte ein Problem werden. Denn die Spielstätten beider Clubs sind seit Jahren in unteren Ligen längst nicht mehr zeitgemäß. Beide spielten schon in der Dritten Liga teilweise mit Ausnahme-Genehmigungen. Es fehlt in beiden ehrwürdigen Arenen an wichtigen Dingen, die die Deutsche Fußball Liga zwingend vorschreibt. Stehplätze müssen überdacht werden, das Flutlicht muss heller sein, die Torlinientechnik muss möglich gemacht werden, die Medienbereiche ausgebaut werden und auch auf den Zuschauerrängen muss vieles überarbeitet werden. Mit rund zehn Millionen Euro Ausbaukosten rechnen sie in Ulm. Und während der Verein sagt, er könne das nicht stemmen, erklärte die Stadt laut SWR bereits, sie wolle dem Club zwar helfen, aber eigentlich nur den Breiten- und nicht den kommerziellen Spitzensport unterstützen. Möglicherweise übernimmt die Stadt die Kosten aber doch – und fordert sie in Raten vom Verein zurück.
Die ähnlichen Baustellen sind es in Münster. Doch während man in Ulm die Pläne für eine ganz neue Arena noch in der Schublade hat, ist in Münster ein Umbau, der quasi zum Neubau am selben Ort wird, längst beschlossen. Rund 88 Millionen soll das Projekt kosten, auch hier zahlt die Stadt und verlangt wohl eine stolze Pacht. Fertig ist die Arena wohl erst 2027. Doch die Preußen waren eben ihrer Zeit voraus.