Es ist das Grüne Band Berlins, eine Parklandschaft vom Potsdamer Platz bis an die Grenze von Steglitz im Süden, sieben Parks auf acht Kilometern hintereinander. Nun sollen im Gleisdreieckpark insgesamt sieben Hochhäuser gebaut werden.
Nicht mal New York kann dies bieten: mit dem Rad, E-Roller oder zu Fuß, ohne vom Verkehr gestört zu werden, von Downtown Manhattan, Central Park bis in die Vororte der Metropole am Hudson. Zugegeben, hier soll auch dem angeborenen Berliner Größenwahn kein Vorschub geleistet werden – die Stadt an der Spree ist ein gutes Stück kleiner –, aber man kommt durch das grüne Band vom Regierungsviertel bis in den Berliner Vorort Südende. Beinahe acht Kilometer am Stück, vom Straßenverkehr beinahe unbehelligt: Parklandschaften.
Das übrigens dank der Deutschen Bahn AG. Das gesamte Areal gehört oder gehörte zumindest früher dem Bahn-Staatskonzern, der es als Rechtsnachfolger 1990 von der Deutschen Reichsbahn nach der Wiedervereinigung übernommen hatte. Dass diese Parkansammlung entstehen konnte, ist dem gesonderten Alliierten-Status Berlins nach dem Zweiten Weltkrieg geschuldet. Es gab die vier Sektoren, drei davon ergaben später West-Berlin als freien Teil der Stadt.
Ein Novum: Alle Bahnanlagen in West-Berlin blieben nicht nur in der Verwaltungs-, sondern auch Territorialhoheit der Reichsbahn, und die gehörte nun mal zu Ost-Berlin beziehungsweise der DDR. Praktisch hieß das: hunderte Hektar DDR-Hoheitsgebiet auf West-Berliner Areal. Über 40 Jahre lagen diese Flächen brach, es entstand ein einmaliges Ökobiotop mitten in West-Berlin. Nur das heutige Grüne Band ist davon als gestrecktes Park-Ensemble übrig geblieben – und nun, zum großen Erstaunen vieler Berliner, nicht mehr ausschließlich im Besitz der Bahn AG.
Zum Beispiel der größte Park des Grünzugs am Gleisdreieck, direkt gegenüber dem Potsdamer Platz, wurde 2005 an private Investoren verkauft. Auf den letzten Metern der rot-grünen Bundesregierung unter Bundeskanzler Gerhard Schröder brauchte die Bahn AG dringend Geld für ihr hoch defizitäres Unternehmen – was sich bekanntermaßen bis heute nicht geändert hat. Doch vor 25 Jahren sollte die Bahn finanziell noch mal aufgehübscht werden, um an die Börse gebracht werden zu können. Zumindest dieser Plan zerschlug sich – glücklicherweise.
Doch das innerstädtische Bahngelände wurde verkauft oder besser verscherbelt, wie damals beteiligte Politiker heute immer wieder gern zum Besten geben. In dem Vertrag zum Gleisdreieckpark wurden vier Bebauungsgebiete für die Ränder des Areals – oder was man damals dafür so hielt – ausgewiesen. Dreimal Wohnungsbau, selbstverständlich kein sozialer, wurde zwischen Bund, Berlin und dem Investor vereinbart und dazu noch einmal neun Geschäfts- und Bürogebäude für die „Urbane Mitte“.
Die drei Wohngebiete sind längst fertig und bezogen und fallen aufgrund ihrer Lage und vor allem Gebäudehöhe auch nicht weiter auf. Das vierte Investoren-Projekt ist in den Jahren in Vergessenheit geraten. Kein Wunder: Berlin hat genügend leerstehende Geschäfts- und Büroflächen, auch die Investorengruppe wollte längere Zeit nicht noch welche dazu bauen.
Ein Grünes Band und die kuriose Geschichte der Bahn
Doch das Blatt auf dem Gewerbeimmobilienmarkt hat sich laut Parkbesitzer gewendet, und nun soll zumindest im Ostpark des Gleisdreiecks so schnell wie möglich der Baubeginn von sieben Bürohäusern starten. Vertraglich ist das seit 20 Jahren zugesichert. Bei dem Bauabschnitt handelt es sich laut Vertrag um versiegelte Flächen – ehemaliges Bahngelände –, auf denen die Schienenstränge noch zu erkennen sind, gesäumt von völlig überwucherten Ruinenresten ehemaliger Werkstätten und Lagerhallen.

Nach mittlerweile bis zu 80 Jahren „natürlicher“ Renaturierung – also ohne Zutun von Gartenbau- oder Umweltarchitekten – unkontrolliert gewachsene Stadtnatur pur. Die soll nun neuem, frischem Beton für Büros weichen, die Urbane Mitte endlich Realität werden. Was dann endgültig Entsetzen auslöste: Die beiden Hauptgebäude sollen 90 Meter in den Himmel ragen, flankiert von vier weiteren zwischen 60 und 40 Metern, das niedrigste kommt auf „nur“ 25 Meter, liegt damit immer noch drei Meter – oder ein Geschoss – über dem Berliner Höhenrichtwert von 22 Metern, der sogenannten Berliner Traufhöhe.
Die sieben Gebäude sollen auf einer Bebauungszunge, die in den Park hineinragt, realisiert werden, direkt am U-Bahnhof Gleisdreieck. Die örtliche Bürgerinitiative zum Schutz des Parks vor baulichen Eingriffen, alle nur denkbaren Umweltverbände waren sofort mit ihren Protesten zur Stelle. Auch die Grünen und Linke meldeten sich postwendend aus dem Abgeordnetenhaus – die Linke allerdings mit mehr als angezogener Handbremse: Es war der rot-rote Senat unter Klaus Wowereit (SPD), der dieses Projekt 2005 abgesegnet hatte.
Wobei schon damals klar gewesen sein dürfte, dass Hochhäuser, direkt in einen Park hineingebaut, auf wenig Verständnis in der Bevölkerung stoßen würden. Doch den Park in seiner heutigen Form gab es noch gar nicht. Zwar stand die Planung dafür, aber real war es noch eine verwilderte, in Teilen auch vermüllte Bahnbrache. Es fehlte damals bei allen Beteiligten offensichtlich die Vorstellungskraft, wie es dort bereits in wenigen Jahren aussehen würde.
Nun droht also die Betonwüstenei auf dem letzten Ur-Biotop des ehemaligen Güterbahnhofs. Berlins Regierender Bürgermeister Kai Wegner (CDU) und Wirtschaftssenatorin Franziska Giffey (SPD) wollen nun versuchen, mit der Investorengruppe zu reden. Die Betonung liegt auf „versuchen“ und „reden“. Verhandelt werden muss nichts mehr, alles ist vertraglich ordnungsgemäß, also bindend festgeschrieben und die Bauherren wollen dort nun ihre Bürotürme errichten.
Zwar laufen auch Wohnungen gut, aber die Renditeerwartungen auf dem Büromietmarkt sind derzeit einfach lukrativer – gerade im Nahbereich des Potsdamer Platzes.
Falls der Senat – das eigentlich zuständige Bezirksamt Kreuzberg-Friedrichshain ist vom Senat bereits entmachtet worden – bei der Umsetzung dazwischenfunken sollte, könnte es noch größeren Ärger geben. Die Investoren ließen durchblicken, dass sie den Gleisdreieckpark auch für die Öffentlichkeit sperren könnten. Schließlich gehört ihnen das gesamte Areal. Die Natur bleibt erhalten, könnte eben nur nicht für Besucher frei zugänglich sein.
In einem Jahr ist – diesmal regulär – Abgeordnetenhauswahl. Die schwarz-rote Landesregierung ist damit in der Klemme, allerdings vielleicht auch nur ein bisschen. Große Hoffnung setzen die Bebauungsgegner, Naturschützer und klammheimlich auch der Senat ausgerechnet auf die Verlässlichkeit der Bahn AG.
Unter dem geplanten Hochhaus-Areal soll zukünftig die neue S-Bahn-Nord-Süd-Untertunnelung der S21 verlaufen und über die Cheruskerkurve in die Ringbahn münden. Dafür muss aber die Planung des S21-Tunnels unter dem Areal feststehen, sonst können nicht die Fundamente eingebracht werden – ähnlich wie vor über 30 Jahren vor der Bebauung des Potsdamer Platzes, gleich gegenüber auf der anderen Seite des Landwehrkanals.
Bis heute gibt es offenbar nicht mal einen genauen Streckenverlauf an dieser Stelle. Sicher ist nur: Die S21 kann nur irgendwo über dieses Areal tief im Erdreich geroutet werden. Die letzte Hoffnung: dass die neue Deutschlandgeschwindigkeit bei den Streckenplanern der Bahn ähnlich schnell ankommt wie ihre ICEs im regulären Freitagnachmittagsverkehr an ihren Zielbahnhöfen.