Seit über 20 Jahren veröffentlicht Gerald Axelrod in Zusammenarbeit mit seiner Frau Liane Angelico erfolgreich Fotobücher. Ein Interview über Reisen zu besonderen, oft düsteren Orten und die Faszination, die von historischen Personen und fiktiven unheimlichen Charakteren ausgeht.

Herr Axelrod, Ihr Bildband „Sherlock Holmes und der Fluch von Baskerville“ hat Sie auf Spurensuche nach England, Schottland und Wales geführt, für das Blutgräfin-Buch haben Sie einschlägige Orte in der Slowakei und in Ungarn besucht und fotografiert. Was fasziniert Sie an düsteren Orten mit schauriger Geschichte?
Ich habe schon als Kind am liebsten Sagenbücher gelesen und finde es inspirierend, Burgen, Ruinen und mystische Plätze zu erforschen. Es ist wie eine Zeitreise. Man taucht ein in alte Geschichten und stellt sich vor, was hier alles passiert ist.
Was denken Sie, warum sich Menschen insbesondere für grausame historische Personen interessieren, wie die „Blutgräfin“ Elisabeth Báthory?
In jeder Geschichte, sei es ein Roman oder ein Film, ist es insbesondere der Konflikt zwischen Gut und Böse, der für Spannung sorgt. In dieser Hinsicht gilt die Blutgräfin als das personifizierte Böse. Über einen Zeitraum von 20 Jahren hinweg folterte und ermordete Elisabeth Báthory (1560 – 1614) rund 650 Dienstmädchen – angeblich, um in ihrem Blut zu baden, damit sie ewige Jugend und Schönheit erlange. Die Blutbäder sind zwar nur eine Legende, aber es bleibt die spannende Frage: Wird es jemand wagen, ihr das Handwerk zu legen? Immerhin war ihr Onkel der König von Polen und sie selbst mit Kaiser Rudolf II. verwandt. Erst 1610 verhaftete ein Richter die Blutgräfin und stellte sie unter Hausarrest. Es ist wie in den Märchen der Brüder Grimm: Am Schluss siegt das Gute über das Böse. Deshalb fasziniert die wahre Geschichte dieser Serienmörderin bis heute die Menschen. Mich persönlich interessiert an diesen historischen Fällen, wie ein Detektiv herauszufinden, was wirklich geschehen ist, also Wahrheit und Legenden zu trennen.
Was macht für Sie die Faszination bei Sherlock Holmes aus, die seit rund 150 Jahren anhält?

Sherlock Holmes sorgt für eine höhere Gerechtigkeit – ein uralter Wunschtraum der Menschen. Sherlock ist ja kein Polizist, sondern ein „beratender Detektiv“, wie es Sir Arthur Conan Doyle ausgedrückt hat. Er greift dann ein, wenn die Polizei nicht mehr weiter weiß. Es ist auch kein Zufall, dass der sensationelle Erfolg der Sherlock-Holmes-Krimis 1891 begann, genau drei Jahre nach den Jack-the-Ripper-Morden. Wie wir wissen, wurde Jack the Ripper nie gefasst. Deshalb wünschten sich die Leute damals einen Super-Detektiv wie Sherlock Holmes. Daran hat sich bis heute nichts geändert. Noch immer gehen der Polizei viele Kriminelle durch die Lappen und man sehnt sich nach dem ultimativen Verbrechensjäger.
Wie sieht es bei Frankenstein aus?
Im Roman von Mary Shelley ist Viktor Frankenstein ein genialer Wissenschaftler, der nach neuen Erkenntnissen sucht und dabei die Grenzen zwischen Leben und Tod überwindet. Aus Leichenteilen flickt er einen künstlichen Menschen zusammen und erweckt ihn zum Leben. Doch dann geht alles schief: Die Kreatur entwickelt ein Eigenleben und wird zum mordenden Monster. Diese Parabel ist eine unverhohlene Kritik an Wissenschaftlern, die buchstäblich über Leichen gehen und glauben, alles tun zu dürfen, ohne an die Konsequenzen zu denken. Mary Shelleys Kritik bleibt bis heute aktuell, man denke etwa an die Gentechnik. Gentechnisch veränderte Tomaten heißen übrigens „Frankenstein-Tomaten“. Ebenso findet im Moment eine Diskussion über die Künstliche Intelligenz statt: Soll man ihr freien Lauf lassen, mit unabsehbaren Folgen, oder soll man sie in gesetzliche Schranken weisen?
Ihre Sachbücher enthalten neben den Fotografien sehr viel Historisches und interessante Details zu Orten und Personen. Wie sieht Ihre Recherche für die Bücher aus?
Grundsätzlich möchte ich vorausschicken, dass ich immer ein ganzes Jahr an einem Buch arbeite. Zuerst lese ich mich in die Fachliteratur ein und gehe so lange in die Tiefe, bis ich eine Antwort auf alle offenen Frage finde. Das ist mitunter sehr zeitaufwendig. Ein Beispiel aus „Die fantastische Welt der Brüder Grimm“: Im „Froschkönig“ wirft die Prinzessin den armen Frosch brutal gegen die Wand, doch als er zu Boden fällt, verwandelt er sich in einen Prinzen. Aber Moment mal! Wir kennen die Geschichte doch alle ganz anders: Die Prinzessin küsst den Frosch, worauf er sich verwandelt. So steht das aber nicht bei den Brüdern Grimm. Wer hat dann die Geschichte vom Frosch-Kuss erfunden? Ich musste mehrere Bücher bestellen und schließlich in die Nationalbibliothek pilgern, um des Rätsels Lösung zu finden: Es war Wilhelm Busch, der als Erster den Frosch-Kuss in „Die beiden Schwestern“ (1880) zeichnete.

Nach den Recherchen im Vorfeld reisen Liane und ich an alle Schauplätze des jeweiligen Buch-Projekts, treffen manchmal lokale Historiker und machen uns selbst ein Bild. Dies ist der wichtigste Teil unserer Forschungen, denn nur von anderen abschreiben kann jeder.
Wie lange bleibt Ihr an den Orten und wie organisiert man solche Reisen?
Liane Angelico: Das liegt am Thema, wie viele Reisen wir machen müssen und wie lange wir unterwegs sind. Für die Blutgräfin Elisabeth Báthory waren wir fünfmal in der Slowakei, Ungarn und Österreich unterwegs, nicht zu vergessen die vielen Besuche in Archiven und Bibliotheken.
Gerald Axelrod: Vor der Reise muss schon im Detail feststehen, welche Orte, Gebäude und Archive wir besuchen und fotografieren müssen. Manchmal treffen wir Leute, die bereits an diesem Thema gearbeitet haben, um uns mit ihnen auszutauschen. Dabei tauchen immer wieder neue Erkenntnisse auf, und für mich zählen die wissenschaftlichen Beweise.
Wie muss ein Bild sein, damit Sie zufrieden sind?
Ich lege immer besonderen Wert auf die Lichtstimmungen. Claude Monet, der französische Impressionist, hat einmal gesagt: „Die Dinge sind nicht, was sie sind, sondern was das Licht aus ihnen macht.“ Das ist auch mein Leitspruch. Manchmal braucht man Glück für die perfekte Licht- und Wolkenstimmung, manchmal muss man warten und manchmal gelingen mir zur „Blauen Stunde“, die ist unmittelbar nach Sonnenuntergang, die stimmungsvollsten Fotos.
Welche Orte und historischen Charaktere haben Sie am meisten beeindruckt und warum?
Liane Angelico: Meine Lieblingsthemen waren die Katharer, Nostradamus und Maria Magdalena in Südfrankreich, mit denen ich mich sehr verbunden fühle.
Gerald Axelrod: Am eindrücklichsten empfand ich die Reise durch Transsilvanien auf den Spuren von Dracula. Auf eigene Faust durch Rumänien zu fahren, war 2007 noch sehr abenteuerlich. Löchrige Straßen, Pferdefuhrwerke und vor sich hinbröckelnde Ruinen verliehen der Reise eine aufregende Note.
Welche besonderen Orte empfehlen Sie in Deutschland?
Gerald Axelrod: Für „Die fantastische Welt der Brüder Grimm“ sind wir auf der Deutschen Märchenstraße gefahren mit folgenden Höhepunkten: Burg Ronneburg, Löwenburg und Bergpark Wilhelmshöhe in Kassel, Bodenwerder (Wohnort von Münchhausen; Anm. d. Red.), Hameln und die Marienburg bei Hannover. „Wo das Reich der Nibelungen verborgen liegt“: Nibelungen- und Siegfriedstraße, Worms, Heppenheim sowie Schloss Drachenburg und Nibelungenhalle in Königswinter.
„Frankenstein und die Illuminaten“: Burg Frankenstein bei Darmstadt, Ingolstadt (wo Viktor Frankenstein im Roman studiert) und die Burgen am Rheindurchbruch zwischen Bingen und Bonn.
Sie bieten Dracula- sowie Blutgräfin-Führungen auf der Burg Lockenhaus (Österreich) an. Wie sind diese aufgebaut und was begeistert die Besucher vor allem bei den Führungen?

Gerald Axelrod: Ich erzähle die Geschichte des historischen Fürsten Vlad Dracula (1431 – 1476/77) beziehungsweise das Leben der Blutgräfin Elisabeth Báthory (1560 – 1614), während Liane aus zeitgenössischen Quellen vorliest. Eine Burg mit Rittersaal, Waffen- und Folterkammer ist natürlich der ideale Ort, um die Besucher ins Mittelalter zurückzuversetzen. Die Fragen betreffen meistens Vampire: „Warum haben Vampire kein Spiegelbild?“ Ein Spiegel zeigt die Seele; man denke an den Spruch „Das Auge ist der Spiegel der Seele“. Vampire sind aber bereits tot und haben keine Seele mehr – und folglich auch kein Spiegelbild.
In den letzten Jahren erfreuen sich Reisen zu Burgen und Schlössern und etwa auch Mittelalter-Spektakel besonders großer Beliebtheit. Welche Gründe sehen Sie dafür – zum Beispiel bei Fantasy-Serien wie „Vikings“ oder „Game of Thrones“?
Gerald Axelrod: Meiner Meinung nach gibt es einen ganz einfachen und banalen Grund: Harry Potter. Ich habe es selbst miterlebt, wie um das Jahr 2000 herum das Interesse an mittelalterlichen Sagen und an Magie explosionsartig gestiegen ist. Im Jahr 2000 brachte ich das Fotobuch „Wo die Zeit keine Macht hat – Feen, Hexen und Druiden in der Sagenwelt Irlands“ heraus, das – dank des Harry-Potter-Hypes – zu einem meiner größten Erfolge wurde. Ab 2001 kamen die „Harry-Potter“- und „Herr-der-Ringe“-Filme ins Kino, später folgten „Vikings“ und „Game of Thrones“, aber ich würde sagen: Der Startschuss erfolgte durch die Harry-Potter-Romane.
Welche besonderen Orte auf der Welt möchten Sie unbedingt noch sehen und warum?
Liane Angelico und Gerald Axelrod: Die Maya-Ruinen in Mexiko, Machu Picchu in Peru, Angkor Wat in Kambodscha, die Chinesische Mauer und natürlich das Bermuda-Dreieck von unten.