Der saarländische Unternehmensverband blickt mit verhaltenem Optimismus in die Zukunft. Verbandspräsident Oswald Bubel sieht dennoch Themen, die die neue Bundesregierung stärker in den Fokus rücken sollte: Bürokratieabbau, Sozialkosten und die Bildung.
Herr Bubel, die neue Koalition hat ihre Arbeit aufgenommen. Wie ist Ihr Eindruck von den ersten Beschlüssen, und auf welche wirtschaftliche Lage treffen sie hier?
Zuerst einmal sind wir froh, dass es nach einem halben Jahr ohne handlungsfähige Regierung diese neue Koalition mit neuen Ideen und Vorschlägen gibt. Wir sehen gute Impulse im Koalitionsvertrag. Wichtig ist, dass das Parlament diese Vorhaben jetzt zügig auf den Weg bringt und dass sie Wirkung entfalten. Bei der hohen Neuverschuldung ist es sehr wichtig, dass die Mittel wirklich in Investitionen fließen und nicht für Konsumausgaben verbraucht werden.
Zur Situation im Saarland: Das Land ist stark geprägt vom Bereich Automotive. Insgesamt arbeiten etwa 30.000 Beschäftigte in dieser Branche. Es sind fast acht Prozent aller Beschäftigten im Land. Und dort findet eine Transformation statt, die vom Aus des Verbrenners bestimmt wird. Diese Transformation kostet Produktion und Arbeitsplätze. Wir sehen auch die Stahlindustrie, die aufgrund der Klimabeschlüsse ihre Verfahren auf eine CO2-freie Produktion umstellt. Auch dieser Prozess ist sehr fordernd. Vor diesen Hintergrund sehen wir die saarländische Wirtschaft in einer sehr angespannten Situation.
Der Investitionsbooster soll die Wirtschaft voranbringen, darin sind konkrete Maßnahmen enthalten, die die Wirtschaft entlasten sollen. Wie rasch können diese ihre Wirkung entfalten?
Grundsätzlich begrüßen wir Maßnahmen, die der Wirtschaft Schub verleihen. Der sogenannte Investitionsbooster gehört dazu und er kann Investitionen anreizen. Man darf aber auch nicht übersehen, dass die geplanten Abschreibungen nur für Unternehmen vorteilhaft sind, die Gewinne erzielen. Und die geplante Absenkung der Körperschaftssteuer um einen Prozentpunkt pro Jahr ab 2028 führt dazu, dass wir am Ende der Strecke– und das ist in acht Jahren – einen ähnlich niedrigen Steuersatz haben werden wie andere Staaten auf dem Weltmarkt bereits jetzt. Das reicht noch nicht aus. Vieles von dem, was im Koalitionsvertrag steht, weckt aber die Hoffnung auf Wachstum. Und das ist gut.
Dass die Stromsteuersenkung anders als angekündigt im Moment noch nicht für alle Haushalte wirkt, bedauern wir. Es ist aber eine Frage der Mathematik, dass ein Staat in einer angespannten Haushaltslage in seinen Möglichkeiten eingeschränkt ist. Gleichzeitig sind für die Wirtschaft Energiepreise auf einem international vergleichbaren Niveau eine Notwendigkeit, weil wir nur so Wettbewerbsfähigkeit erhalten können.
Weitere Maßnahmen sind geplant, etwa zur Arbeitszeit. Welche begrüßen Sie, welche sehen Sie kritisch?
Insgesamt müssen wir Leistung wieder stärker in den Vordergrund stellen, wenn wir unseren Wohlstand sichern wollen. Wir müssen bei Arbeit flexibler werden. Positiv sehen wir die Entwicklung hin zu einer Wochenarbeitszeit, wie sie in Europa heute schon Standard ist. Bei der Ruhezeitregelung, die weiter starr bleiben soll, ist dieser Schritt noch überfällig.
Was wir ausdrücklich ablehnen, ist ein bundesweites Tariftreuegesetz, dass also die öffentliche Hand Aufträge nur an Unternehmen vergibt, die Tarifbedingungen einhalten. Wir sprechen uns ausdrücklich für Tarifverträge aus, aber ohne staatlichen Zwang. Im Saarland ist das Tariftreuegesetz nach meiner festen Überzeugung gescheitert. In den Betrieben entsteht dadurch nur zusätzliche Bürokratie, Belastung und Rechtsunsicherheit.
Dieses Gesetz kritisieren Sie seit langem scharf. Aus Sicht der Regierung soll es der Verdrängung tarifgebundener Unternehmen aus dem Wettbewerb um öffentliche Aufträge und dem Lohndumping vorbeugen.
Als Hauptziel formuliert die Regierung steigende Tarifbindung, das ist die Zugehörigkeit zu Gewerkschaften und Arbeitgeberverbänden. Die erreicht das Gesetz nachweislich nicht. Und weiterhin unterstellt das Gesetz, dass ein Unternehmen, das die – übrigens von der Regierung willkürlich vorgegebenen – Tarifmerkmale nicht erfüllt, Lohndumping betreibt. Das ist absurd. Ein Unternehmen, das vielleicht etwas weniger Urlaub gewährt, aber im Gegenzug über Tarif bezahlt, bietet trotzdem sehr gute Arbeit. Das Gesetz ist geprägt von Vereinfachung und Ideologisierung.
Die Bundesagentur für Arbeit ist derzeit im Minus, die Krankenversicherung hat bereits einen dreistelligen Millionenzuschuss der Gesundheitsministerin erhalten. Wie ist der Koalitionsvertrag mit Blick auf die Sozialausgaben aufgestellt?
Wir sehen das höchst kritisch, die Sozialkosten laufen aus dem Ruder. Eine Sozialreform ist aus unserer Sicht die zentrale innenpolitische Aufgabe dieser Bundesregierung. Leider vermissen wir hierzu konkrete Vorhaben im Koalitionsvertrag.
Ein Blick auf die Zahlen zeigt, wie dramatisch die Entwicklung ist: Bisher galt, dass die Sozialausgaben die Grenze von 40 Prozent der Bruttoentgelte nicht überschreiten sollen. Jeder Prozentpunkt Anstieg belastet Arbeitgeber und Arbeitnehmer. Die Grenze haben wir schon im vergangenen Jahr gerissen. Aktuell liegen die Sozialkosten bei rund 42 Prozent. Wenn die Entwicklung so weitergeht, erreichen wir in zehn Jahren 49 Prozent. Das müssen wir in den Griff bekommen.
Und das Thema wird immer drängender, weil immer weniger junge Menschen in die Sozialversicherungen einzahlen und immer mehr Rentner finanzieren müssen. Hier hilft es nicht mehr, nur nachzusteuern. Wir brauchen eine umfassende Reform.
Was wir aber sehen, sind die falschen Signale. Eine Rentengarantie, ein Festhalten an der vorgezogenen Rente und eine Mütterrente sind Projekte, die künftige Haushalte und letztlich die junge Generation mit vielen Milliarden zusätzlich belasten.
Arbeitsministerin Bärbel Bas möchte Beamte und Selbstständige in die Rentenkasse mitaufnehmen.
Kurzfristig kann es helfen, die Basis der Einzahler zu erweitern. Aber die Rechnung geht nicht auf, denn auch für diese Gruppen entstehen Rentenansprüche. Es ist also nur Kosmetik, die der Staat letzten Endes bezahlen muss. Und auch bei dem Vorschlag der SPD, die Beitragsbemessungsgrenze zu erhöhen, folgen im Gegenzug höhere Rentenansprüche und sinkende Steuereinnahmen. Diese Ideen verschieben das Problem nur und verschaffen höchstens der aktuellen Regierung Zeit.
Ich sehe das als Scheindebatte, um das zentrale Thema nicht angreifen zu müssen: Wir leben länger, also müssen wir länger arbeiten. Wir müssen das Verhältnis von Lebensarbeitszeit und Rentenzeit wieder in ein ausgewogenes Verhältnis bringen.
Lassen Sie uns zum Thema Energie wechseln: Die neue Wirtschaftsministerin will nun mehr Gaskraftwerke bauen lassen. Erdgas aber verstößt gegen die grundgesetzlich verankerte Klimaneutralität, sagen Rechtsgutachten. Wie betrachten Sie diesen Konflikt?
Wir haben uns in Deutschland dafür entschieden, aus der Kernkraft auszusteigen, und wir haben über die EU und mit dem Pariser Klimaabkommen Ziele für Klimaschutz definiert. Was für mich außer Frage steht, ist, dass wir den Generationen nach uns eine lebenswerte Zukunft bieten müssen. Offen ist der Weg, den wir dahin gehen. Gas galt und gilt immer noch als eine wichtige Brückentechnologie. Und ich frage: Gibt es andere Lösungen? Klar ist, dass wir auf dem Weg zu den Klimazielen nicht alle Unternehmen schließen können. Wir werden die Ziele nur mit Innovationen aus einer gesunden Wirtschaft erreichen.
Im Jahr 40 nach Schengen gibt es wieder verstärkt Grenzkontrollen. Wie sind die Rückmeldungen Ihrer Mitgliedsunternehmen?
Grundsätzlich ist jede Einschränkung des freien Verkehrs schlecht für die Wirtschaft. Wir sehen aber auch, dass die Kontrollen einen gewissen Erfolg haben. Ob sie helfen, radikalisierte Gewalttäter aus unserem Land fernzuhalten, bezweifle ich. Wichtig ist aus meiner Sicht ein wirksamer Schutz der EU-Außengrenzen. So lange der nicht gewährleistet ist, sind Kontrollen für eine begrenzte Zeit ein mögliches Mittel, selbst wenn sie bei Pendlern zu Unmut führen.
Saar-Wirtschaftsminister Barke hat nun ein weiteres Unterstützungspaket im Rahmen des Transformationsfonds geschnürt, 90 Millionen Euro, plus ein Konsortialprogramm von 50 Millionen Euro. Wie bewerten Sie die Hilfe des Landes für die Wirtschaft, die sich in einem massiven Veränderungsprozess befindet?
Die Landesregierung hat im Rahmen ihres Mittelstandspakets mehrere Angebote auf den Weg gebracht, die grundsätzlich hilfreich sind. Das von Ihnen genannte Paket kann helfen, bei Unternehmen mit geringem Eigenkapital Zinslasten zu senken und Investitionen anzuregen. Sicherlich ist auch das sinnvoll.
Die Einzelmaßnahmen mögen im Einzelfall wichtig sein. Wir dürfen dabei die große Linie nicht aus den Augen verlieren. Wir brauchen für alle Unternehmen wettbewerbsfähige Standortbedingungen, dazu gehören ausreichend Fachkräfte, niedrige Kosten und unbürokratische Verfahren, um nur drei zu nennen.
Unabhängig davon ist es richtig, wenn die Landesregierung weiter um Ansiedlungen im Land wirbt. Für die Arbeitsplätze, die im Automotive-Bereich abgebaut werden, brauchen wir neue Arbeitsplätze. Mit Vetter Pharma und Viega gibt es zwei Hoffnungsträger. Dass es mit SVolt und Wolfspeed zwei Ausfälle gibt, ist zu bedauern. Die Aufgabe des Landes bleibt es, ausreichend attraktive Flächen vorzuhalten, wirtschaftsfreundliche Rahmenbedingungen zu schaffen und aktiv für das Saarland zu werben.
Wo muss aus Ihrer Sicht nachgesteuert werden?
Vor allem in der Bildung. Abgänger von Schulen müssen ausbildungsfähig sein. Hier sehen wir Handlungsbedarf: Bei der Ausstattung der Schulen und der Lehrkräfte und auch beim Spracherwerb im Vorfeld der Schule. Es muss sichergestellt sein, dass ab Tag eins der Grundschule Wissensvermittlung möglich ist. Bildung ist ein weites Feld, wo wir im Zuge der Digitalisierung in Teilen auch den Föderalismus hinterfragen und neu denken sollten. Bildung ist aber auch die Investition, die unsere künftige Wettbewerbsfähigkeit sichern hilft.