Zwei aktuelle Studien konnten den Nachweis liefern, dass zu wenig Schlaf im mittleren Lebensalter erhebliche Risiken birgt. Zum einen für die Ausbildung chronischer Mehrfacherkrankungen, zum anderen für eine Beeinträchtigung der psychischen Gesundheit und der kognitiven Leistungsfähigkeit.
Es ist längst so etwas wie ein gängiges gesellschaftliches Klischee geworden, dass ältere Menschen weniger Schlaf benötigen als ihre jüngeren Zeitgenossen. Das stimmt allerdings nicht, wie schon diverse wissenschaftliche Untersuchungen belegen konnten. Dennoch scheint sich dieser spezielle Schlaf-Mythos fest in den Köpfen verankert zu haben. Es fällt Senioren beispielsweise wegen krankheitsbedingten Beschwerden oder einer ausgedehnten nachmittäglichen Schlummerauszeit häufig nicht leicht, die auch für sie eigentlich dringend erforderliche lange Nachtruhe zu erzielen. Wobei sieben Stunden Schlaf ab dem mittleren und dann auch im fortgeschrittenen Alter schon mal ein guter Richtwert sind, gerne dürfen es auch acht Stunden sein. Alles was unter einer Schlafdauer von fünf Stunden oder deutlich jenseits der acht Stunden angesiedelt ist, birgt verschiedenste Risiken für das gesundheitliche Wohlbefinden.
Eine im Frühjahr 2022 im Fachmagazin „Nature Aging“ veröffentlichte Studie der Fudan-Universität in Shanghai unter Federführung von Prof. Jianfeng Feng kam beispielsweise zu dem Schluss, dass sieben Stunden Schlaf ab dem mittleren Alter optimal sind. Wesentlich mehr oder weniger Schlaf können hingegen laut den Erkenntnissen des Forschungsteams mit einer Beeinträchtigung der psychischen Gesundheit – mit Symptomen wie Angst oder Depressionen oder einem allgemein schlechteren Wohlbefinden – sowie schlechteren geistigen Leistungen verbunden sein. Letzteres hatten sich in einer geringeren Aufmerksamkeitsspanne sowie schlechteren Problemlösungsfähigkeiten manifestiert. Für ihre Studie werteten die Wissenschaftler Daten von fast einer halben Million Erwachsenen im Alter zwischen 38 und 73 Jahren aus der umfangreichen britischen „UK Biobank“ aus. Zwar lasse sich aus der Studie keine direkte Kausalität, aber immerhin die Vermutung ableiten, dass eine unzureichende oder übermäßige Schlafdauer ein Risikofaktor für den kognitiven Abbau im Alter sein könnte.
Im Oktober 2022 hatte eine im Fachjournal „PLOS Medicine“ veröffentlichte Gemeinschaftsstudie des University College London und der Universität Paris Cité unter Leitung von Dr. Séverine Sabia für Menschen ab dem 50. Lebensalter einen Nachtschlaf von sieben bis acht Stunden als optimal deklariert, um das Risiko der Ausbildung von chronischen Erkrankungen wie Diabetes, Krebs oder Demenz zu minimieren. Dies sei laut den Forschern auch dringend nötig, weil speziell in reicheren Ländern des Globus Mehrfacherkrankungen, die mit dem Sammelbegriff „Multimorbidität“ bezeichnet werden, im Zuge des Älterwerdens auf dem Vormarsch sind. „Die Prävalenz von Multimorbidität nimmt zu, was sich darin widerspiegelt, dass mehr als die Hälfte der älteren Erwachsenen in Ländern mit hohem Einkommen an mindestens zwei chronischen Krankheiten leidet, was Multimorbidität zu einer großen Herausforderung für die öffentliche Gesundheit macht“, so Dr. Sabia. Vornehmliches Ziel der Studie war denn auch, einen möglichen Zusammenhang zwischen der Schlafdauer von Probanden im Alter von 50, 60 und 70 Jahren und bei ihnen eventuell auftretender Multimorbidität aufzudecken. Daneben sollte überprüft werden, ob die Schlafdauer schon im Alter von 50 Jahren den natürlichen Verlauf oder Ausbruch einer chronischen Erkrankung prägen kann.
Als Basis für seine Forschungen konnte das Team auf die Daten von mehr als 7.000 Männern und Frauen aus der sogenannten „Whitehall-II-Kohortenstudie“ zurückgreifen, für die Beschäftigte in den Londoner Büros des britischen öffentlichen Dienstes entsprechende Informationen speziell auch über ihre Schlafdauer mitgeteilt hatten. Zwischen 1985 und 2016 mussten die Probanden sechsmal Selbstauskünfte über ihre Schlafdauer abgeben. Zu Studienbeginn waren alle Probanden 50 Jahre alt und gesund, sprich bei ihnen hatte sich noch keine chronische Erkrankung bemerkbar gemacht. Um spätere Erkrankungen und vor allem Mehrfacherkrankungen überprüfen zu können, hatten die Wissenschaftler vorab eine 13 Positionen umfassende Liste der wesentlichen chronischen Gesundheitsbeeinträchtigungen erstellt, darunter Diabetes, Krebs, Schlaganfall, Herzinsuffizienz, Arthritis, Demenz oder Parkinson. Die Auswertung der Langzeitdaten lieferte zunächst einmal den Hinweis, dass Probanden, die im Alter von 50 Jahren maximal fünf Stunden geschlafen hatten, im Vergleich zu Probanden mit siebenstündiger Schlafdauer eine um 20 Prozent höhere Wahrscheinlichkeit hatten, eine erste chronische Krankheit auszubilden, und eine um 40 Prozent höhere Wahrscheinlichkeit, im Laufe des Untersuchungszeitraums von zwei oder mehr chronischen Krankheiten betroffen zu sein. Zudem lag das Sterberisiko der 50-jährigen Kurzschläfer 25 Prozent höher als bei den siebenstündigen Schläfern, was laut den Forschern damit erklärt werden kann, dass die ausgebildeten chronischen Krankheiten zu einer kürzeren Lebenserwartung geführt hatten.
Auf Schlafhygiene achten
Exakt ergaben die Berechnungen, dass Probanden, die im Alter von 50 Jahren weniger als fünf Stunden geschlafen hatten, ein um 30 Prozent erhöhtes Multimorbiditäts-Risiko hatten im Vergleich zu Testpersonen, die sieben Stunden geschlafen hatten. Bei den 60-jährigen Kurzschläfern war das diesbezügliche Risiko schon auf 32 Prozent angestiegen, bei den 70-jährigen Kurzschläfern dann sogar auf 40 Prozent. Das Team versuchte auch zu ergründen, ob eine lange Nachtruhe von mehr als neun Stunden negative Auswirkungen auf die Gesundheit haben könnte. Für Probanden im Alter von 50 Jahren konnte dafür kein Nachweis erbracht werden. „Wenn bei einem Teilnehmer jedoch bereits eine chronische Erkrankung diagnostiziert worden war“, so Dr. Sabia, „war eine lange Schlafdauer mit einem um 35 Prozent erhöhten Risiko verbunden, eine weitere Krankheit zu entwickeln.“ Dr. Sabia hält folgenden Ratschlag für sinnvoll: „Die Empfehlung lautet, nachts rund sieben bis acht Stunden lang zu schlafen – eine Schlafdauer darüber oder darunter erhöht das Risiko für chronische Erkrankungen. Um den Nachtschlaf zu verbessern, sollte man auf eine gute Schlafhygiene achten: Den Schlafraum dunkel und gut temperiert halten, vor dem Zubettgehen keine großen Mahlzeiten mehr einnehmen und elektronische Geräte meiden.“
Schon im vergangenen Jahr hatte Dr. Sabia in einer im Fachmagazin „Nature Communications“ publizierten Langzeitstudie ein durch Schlafmangel verursachtes erhöhtes Demenz-Risiko nachweisen können. „Es ist bekannt, dass bei Menschen mit Demenz Schlafprobleme auftreten“, so Dr. Sabia, „aber es bleibt unklar, ob die Schlafdauer in der Mitte des Lebens das Risiko einer Demenz im höheren Alter beeinflusst.“ Um die Wissenslücke zu schließen, hatte das Team um Dr. Sabia auf die Daten der schon genannten Whitehall-II-Kohortenstudie zurückgegriffen und die Angaben zur Schlafdauer von fast 8.000 Probanden ausgewertet.
Das Ergebnis daraus war: Bei Menschen, deren Schlafdauer im Alter von 50 oder 60 Jahren weniger oder genau sechs Stunden pro Nacht betrug, konnte im Vergleich zu Teilnehmern mit sieben Stunden Nachtschlaf ein um 22 beziehungsweise 37 Prozent erhöhtes Demenz-Risiko ermittelt werden. „Wir haben anhand einer sehr langen Nachbeobachtungszeit festgestellt“, so Dr. Sabia, „dass kurzzeitiger Schlaf in der Mitte des Lebens, der mehr als 25 Jahre vor dem Durchschnittsalter bei Beginn der Demenz bewertet wurde, mit dem Demenz-Risiko im späteren Leben verbunden ist.“