Die HomBuch findet unter dem Motto „Besondere Begegnungen“ vom 2. bis zum 8. September statt. Reinhard Karger vom Deutschen Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz liest demnächst seine essayistische Keynote „Kann KI Kant?“ in der Homburger Galerie Julia Johannsen.
Herr Karger, woran erkennen die Leserinnen und Leser, dass dieses Interview nicht mit Hilfe von Künstlicher Intelligenz (KI) entstanden ist?
Um ehrlich zu sein, gar nicht. Aber fangen wir an.
Sie beschäftigen sich schon seit vielen Jahren mit dem Thema KI. Sie bietet vielfältige Chance, birgt aber auch Gefahren. Was überwiegt?
Die Chancen. Es ist ein wenig wie bei Mobilität. Autos sind Lösung und Gefahr. Und um die Gefahr zu minimieren, haben Menschen den Sicherheitsgurt, Airbags oder die Knautschzone erfunden. Das versucht die Europäische Union gerade mit dem AI-Act (Verordnung über künstliche Intelligenz, Anm. d. Red.). Es ist ein erster Versuch, damit die Gefahren, die jede technologische Fundamentalinnovation mit sich bringt, beherrschbar sind. Der AI-Act ist sicherlich nicht perfekt, aber die Politik ist aktiv, damit die Risiken minimiert werden und die Gesellschaft von den Chancen profitieren kann.
Für die HomBuch 24 haben Sie die essayistische Keynote „Kann KI Kant?“ verfasst. Sein Prinzip des kategorischen Imperativs besagt, dass der Mensch stets so handeln soll, dass sich daraus ein allgemeingültiges, moralisches Gesetz ergeben kann. Ist es möglich, dass KI-Systeme nach diesen ethischen Überlegungen arbeiten?
Natürlich könnten maschinelle Handlungsentscheidungen einem Verallgemeinerungsprinzip wie Kants kategorischem Imperativ unterliegen, sodass die Maschine die möglichen Folgen des aktuellen Handelns für andere fortlaufend einbezieht. Aber nur weil eine Maschine kalkulieren kann, ist sie deshalb noch lange nicht moralisch entscheidungsfähig. Der Witz ist ja, dass Menschen um Moralität wissen, sie von anderen erwarten, für sich selbst eröffnen sie aber willentlich und wissentlich einen Raum für Ausnahmen und können im konkreten Einzelfall das allen bekannte Verallgemeinerungsprinzip aussetzen. Das Problem ist die Schamlosigkeit mit der einzelne Menschen oder auch Kollektivsubjekte wie Nationalstaaten das Konzept der Ausnahme in Anspruch nehmen. Maschinen könnten natürlich zweckrational das kleinere Übel wählen, aber das akzeptieren wir spätestens dann nicht mehr, wenn es um menschliches Leben und Menschenwürde geht – die wir absolut setzen und grundgesetzlich nicht gegeneinander aufrechnen können. Insofern ist Kants kategorischer Imperativ für die Anwender und Anwenderinnen, aber nicht für Maschinen eine Orientierung.
Ein bekanntes Kant-Zitat lautet „Sapere aude“ – „Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen“. Es scheint, als sei dieser Satz aktueller denn je?
Kants 1784 erschienener Essay „Was ist Aufklärung?“ ist aktuell in seiner Haltung und eben in dem Appell, dass sich jeder Mensch tatkräftig für seine eigene Mündigkeit entscheiden möge. Dafür ist nicht viel nötig, sondern lediglich Wunsch und Wille, selber zu denken. KI stellt uns hier vor eine neue Herausforderung: Wir müssen uns zu jedem Zeitpunkt vergewissern, dass wir selber gedacht haben und uns nicht auf die maschinellen Ergebnisse verlassen. Das erfordert Disziplin und Fleiß – und das ist vielleicht ein wenig überraschend, denn das Marketing der großen Anbieter scheint uns Resultate zu versprechen, auf die wir uns verlassen können. Das Selberdenken wird uns die Maschine nicht abnehmen können – beim Selberformulieren sieht das schon ganz anders aus.
Wer ist beim Thema KI am meisten gefordert? Der Gesetzgeber? Die Wissenschaft? Die Gesellschaft?
KI wird die Arbeit verändern und die Arbeitslosigkeit, die Bildung und den Wert der Abschlüsse, Verkehr und Vorsorge, Rente und Reha, Spaß, Spiel, Sport und Freizeit. Die Gesellschaft als Oberbegriff beinhaltet alle Teilstrukturen – also ist es die Gesellschaft.
Könnte KI somit einen Beitrag zur Bewältigung der allgegenwärtigen demografischen, ökonomischen und ökologischen Herausforderungen leisten?
KI wird einen überlebensnotwendigen Beitrag zur hoffentlich erfolgreichen Lösung oder Linderung des Klimawandels leisten können und müssen. Es ist nicht illusorisch, auf eine KI-Dividende zu hoffen, die positive Beiträge in den Bereichen Energie, Logistik, Gesundheit, Mobilität, Recycling oder Ressourcennutzung liefert und eine nachhaltige Kreislaufwirtschaft ermöglicht. Es ist aber eine politische Aufgabe, diese Chancen auch zu nutzen – und es muss der demokratische Anspruch sein, dass Parteien, die sich dieser Aufgabe stellen, auch mit den notwendigen Mehrheiten ausgestattet werden.
Zeitgleich zu Ihrer Lesung in der Galerie Julia Johannsen wird dort die Ausstellung „Kann KI Kunst?“ eröffnet. Wie beantworten Sie diese Frage?
KI kann Grafik, Text, Musik und Video. Die Ergebnisse können sich hören und sehen lassen. KI kann Dekoration, aber KI kann nicht Kunst. Dazu gibt es eine formale und eine prinzipielle Position. Der Gesetzgeber definiert Kunst und bindet das Urheberrecht an eine Person, die als Urheberin oder Urheber benannt werden kann. Aber KI ist eine maschinelle Leistung, Maschinen sind Sachen, Sachen keine Personen, ergo sind KI-Ergebnisse nicht urheberrechtlich schützbar und können folglich nicht Kunst sein. Das ist formal nachvollziehbar, aber gesellschaftlich nicht unbedingt befriedigend. Deshalb prinzipiell: KI kann nicht Kunst. Kunst ist Ergebnis von Kreativität. Kreativität braucht aber ein kreatives Subjekt, das Absichten hat, das das Kunstwerk herstellen wollte und das im Schaffensprozess willentlich einen Punkt gemacht hat, mit dem es das Werk als abgeschlossen und also als unabhängig erklärt hat. Der Mensch erklärt einen Abschluss, die Maschine beendet lediglich die Verarbeitung.