Der Hype um Victor Wembanyama könnte größer kaum sein. Der 19-Jährige gilt als Ausnahmetalent, alle Experten sehen in ihm den nächsten NBA-Superstar. Der junge Franzose muss mit dem enormen Druck umgehen – und noch andere Dinge lernen.
Als Britney Spears mit ihren größten Hits Millionen Menschen auf der ganzen Welt begeisterte, war Victor Wembanyama noch gar nicht geboren. Dass sich ihre Wege einmal kreuzen würden, war höchst unwahrscheinlich – bis zu einem Vorfall Anfang Juli. Und der entwickelte sich als gefundenes Fressen für die Klatschpresse. Security-Mitarbeiter von Wembanyama sollen Spears ins Gesicht geschlagen haben, so lautete zumindest der Vorwurf der 41-Jährigen. „Seine Sicherheitsleute haben mir dann vor den Augen der Menge einen Schlag ins Gesicht verpasst, ohne sich umzudrehen“, klagte Spears publikumswirksam in einer Instagram-Story an: „Ich wurde fast zu Boden geworfen, und meine Brille fiel mir aus dem Gesicht.“ Ihr Ehemann nannte das Verhalten der Security „gewalttätig“ und „außer Kontrolle“. Was war der Auslöser? Spears hatte das Basketball-Ausnahmetalent in einem Restaurant erblickt und wollte ihm zum Nummer-eins-Pick in der NBA gratulieren. Sie tippte dem 19-Jährigen, der auf dem Weg ins Restaurant war, auf die Schulter – doch die Security deutete ihm an, weiterzugehen und sich nicht umzudrehen.
Gerade die Yellow Press stürzte sich auf die Story und produzierte Schlagzeile um Schlagzeile, sodass sich Wembanyama zum Vorfall äußern musste. Er habe lediglich gehört, wie jemand „Sir, Sir!“ gerufen und ihn von hinten berührt habe. „Ich weiß nur, dass die Security sie weggeschoben hat. Ich weiß aber nicht, mit wie viel Kraft“, berichtete der Profi der San Antonio Spurs: „Ich bin weitergegangen und habe ein schönes Abendessen genossen.“ Als ihm Wegbegleiter später davon berichteten, dass es sich bei der Person nicht um einen normalen Fan, sondern um die berühmte Popsängerin gehandelt habe, habe er zuerst an einen Scherz geglaubt. „Aber ja, es stellte sich heraus, dass es Britney Spears war. Ich habe ihr Gesicht nicht gesehen“, sagte er. Die Polizei von Las Vegas nahm Ermittlungen auf, diese wurden jedoch ohne Anklage eingestellt. Spears hatte trotzdem Publicity, und der Basketballer lernte eine wichtige Lektion über das Dasein als Superstar. Denn das wird Wembanyama in der NBA in jedem Fall, da sind sich nahezu alle Experten einig.
Bill Simmons von „The Ringer“ bezeichnete Wembanyama als das bislang größte Talent in der NBA. „Ich denke, Wembanyama ist noch vor LeBron der beste Kandidat, den ich je gesehen habe“, sagte Simmons. Und LeBron James galt schon als „The Chosen One“ – „der Auserwählte“. James selbst hat dem Neuankömmling einen Spitznamen verpasst, der ihn noch lange begleiten wird. „Einhörner“, wie seltene Ausnahmetalente gern bezeichnet werden, habe es schon immer gegeben, sagte Rekordspieler James, Wembanyama sei aber „mehr wie ein Alien“. Dazu passt, was der griechische Basketball-Held Giannis Antetokounmpo über den Teenager aus Frankreich sagt: „Ich habe so etwas noch nie in meinem Leben gesehen.“ Für Superstar Stephen Curry ist Wemby, wie Wembanyama genannt wird, einfach nur ein „Cheatcode“, sprich: Eine Variable im Spiel, die kaum zu knacken ist.
Die Größe als Vorteil
Das liegt vor allem an den physischen Voraussetzungen. Der Nummer-eins-Pick des Drafts ist mit 2,19 Meter enorm groß, seine Spannweite umfasst sogar 2,36 Meter. Allein das macht ihn offensiv wie defensiv zu einem gefährlichen Gegenspieler. Hinzu kommt, dass Wembanyama auch über technische Fähigkeiten verfügt, die sonst nur deutlich kleinere Guards in sich vereinen. Weil er mit einem Gewicht von rund 100 Kilogramm für seine Größe fast schon ein Leichtgewicht ist, kann er sich schnell und erstaunlich geschmeidig bewegen. So fühlt er sich auch auf dem Flügel wohl, zumal er auch konstant von der Dreier-Punkte-Linie Bälle im Korb versenkt. Auch defensiv besticht er mit einer perfekten Mischung aus Körperlichkeit, Technik und Aggressivität. Bei seinem ehemaligen Team, den Metropolitans 92 in der Ersten Liga Frankreichs, war Wembanyama trotz seines jungen Alters schon der Fixpunkt in Offensive und Defensive .„Ich habe einen einzigartigen Körper, das muss ich anerkennen“, sagte Wembanyama. So große Spieler sind aber oft verletzungsanfällig, nicht selten bereiten die Gelenke Probleme. „Ich muss damit umgehen. Ich kann nicht arbeiten wie jeder andere“, weiß der Jungstar: „Meine Trainings sind anders, aber es sind die gleichen Kämpfe.“ Vor einigen Jahren bereitete ihm die Körperlänge bei technikspezifischen Sachen wie Dribblings noch Probleme, doch mit harter Arbeit hat er diese inzwischen nahezu beseitigt. Seine Auge-Hand-Koordination ist für einen Riesen wie ihn außergewöhnlich. „Wie groß er ist, wie er dribbeln kann, wie er werfen kann – skilltechnisch hat er wirklich das Potenzial, einer der Besten in der Geschichte zu sein. Aber man darf keine Schritte überspringen“, sagte der deutsche NBA-Star Dennis Schröder, der ab der kommenden Saison für die Toronto Raptors spielt, der dpa. Wembanyama werde „echt speziell“ sein, prophezeite Schröder, „wenn er wirklich hart arbeitet und auch Anleitung bekommt“.
Dafür wird vor allem Gregg Popovich sorgen. Der 74-Jährige gilt als kauziger Trainer, der aber ein Händchen für Talente hat. Das bewies er einst auch bei Tim Duncan, den die San Antonio Spurs 1997 an Position eins des NBA-Drafts gewählt hatten. Duncan entwickelte sich unter Popovichs Anleitung zu einem Superstar – genau wie der zweite Nummer-eins-Pick in der Franchise-Geschichte: David Robinson (1987). Nun soll auch Wembanyama bei den Texanern durchstarten. Für die Chance auf das Ausnahmetalent hatten die Spurs vor der vergangenen Saison in Dejounte Murray sogar ihren besten Spieler abgegeben. Trainerfuchs Popovich weiß, dass die riesige Aufmerksamkeit das größte Problem für Wembanyama ist. „Aufgrund des ganzen Rummels wird er eine Zielscheibe auf dem Rücken haben“, glaubt Popovich. Alle werden ihn sprichwörtlich jagen und beweisen wollen, dass das „Alien“ doch nur ein Mensch mit Schwächen ist. Gegen die Erwartungshaltung von Außen könne man nichts unternehmen, so der Spurs-Coach, „aber wir können ihm eine Umgebung schaffen, in der er sich wohlfühlt und in der er Victor sein kann. Er ist nicht LeBron, Tim, Kobe oder irgendjemand sonst. Er ist Victor – und so wollen wir ihn haben.“
Coach Popovic hat ein Händchen
Bei seinem Debüt für die Spurs in der NBA Summer League, in der vor allem Rookies und weniger erfahrene Profis Spielpraxis sammeln sollen, spielte Wembanyama noch nicht die Sterne vom Himmel. Beim 76:68 gegen die Charlotte Hornets traf er nur zwei von 13 Würfen aus dem Feld. Auch acht Rebounds und drei Assists bei etwas mehr als 27 Minuten Spielzeit waren eher durchschnittliche Werte. Allerdings zeigte der lange Schlaks mit fünf Rebounds, dass in der Defensive schon auf ihn Verlass ist. Und Wembanyama ist lernwillig. „Ich versuche, für die nächsten Spiele zu lernen“, sagte er. Das Wichtigste sei, „dass ich für die Saison bereit bin“.
Die Umstellung auf den NBA-Basketball sei eine Herausforderung, gab der junge Franzose zu. „Ehrlich gesagt wusste ich nicht, was ich heute Abend auf dem Platz machen sollte.“ Die Spielzüge und Anweisungen habe er nicht wirklich verstanden. „Die größte Verbesserung, die ich machen muss, ist, dass ich bereit bin, auf die Spielzüge zu reagieren, die vom Point Guard ausgerufen wurden.“
Für Center-Legende Kareem Abdul-Jabbar war der etwas holprige Auftakt keine Überraschung. „Er wird nicht alles auf einmal lernen“, meinte der zweitbeste Scorer der NBA-Geschichte. Man werde bei Wembanyama die notwendige Geduld aufbringen, versprach Spurs-Generalmanager Brian Wright, der schon beim ersten Spiel gute Ansätze gesehen hatte: „Er ist extrem uneigennützig, ein wirklich guter Passgeber, und es geht ihm nur um das Team.“ Das zeigte Wembanyama schon beim NBA-Draft, bei dem alle Augen fast nur auf ihn gerichtet waren. „Ich habe etwas erreicht, von dem ich mein ganzes Leben geträumt habe“, hatte Wembanyama mit Tränen in den Augen gesagt, als sein größter Wunsch in Erfüllung gegangen war. Obwohl sich im Vorfeld fast alle Medien und Experten einig gewesen waren, dass er die Nummer eins seines Jahrgangs sein wird, hatte er nach der Verkündung dennoch „Schmetterlinge im Bauch“. Er wolle die größte Herausforderung seines noch jungen Lebens mit Demut, aber auch großen Ambitionen angehen. „Es ist eine harte Liga, es ist kompliziert, zu gewinnen. Mein Ziel ist, so viel und so schnell wie möglich zu lernen, weil ich diesen Ring gewinnen will“, sagte Wembanyama. Er will mit den Spurs NBA-Meister werden, möglichst schon in seiner am 24. Oktober beginnenden Premierensaison. Und so rief er den Fans zu: „Seid bereit!“
„Er wird nicht alles auf einmal lernen“
Die Frage aber ist: Wie bereit ist Wembanyama? Nach der Summer League bestreitet er mit San Antonio noch Testspiele und Trainingslager, um sich in Topform zu bringen. Die Weltmeisterschaft in Japan, Indonesien und auf den Philippinen (25. August bis 10. September) lässt er zur besseren Liga-Vorbereitung aus. „Ich denke, es ist ein notwendiges Opfer.“ Er soll sich mit der Entscheidung schwergetan haben, denn auch in seinem Heimatland sind der Hype und die Erwartungshaltung um den Jungen riesengroß. Das bewies die Reaktion von Frankreichs Präsident Emmanuel Macron unmittelbar nach dem Draft. „Du lässt uns schon träumen“, schrieb Macron auf Twitter: „Es gibt keinen Zweifel: Du wirst das Spiel verändern!“ Zu welcher Star-Kategorie Wembanyama in Frankreich schon jetzt zählt, zeigte auch ein Tweet von Fußball-Ikone Kylian Mbappé: „Die Geschichte beginnt jetzt.“ Mbappé und Wembanyama pflegen inzwischen ein freundschaftliches Verhältnis. Der viel beachtete Fußballstar kann dem jungen Basketballer sicher Tipps geben, wie man auch mit Vorfällen wie dem mit Britney Spears am besten umgeht.