Hollywoodstar Jennifer Lawrence erzählt, wie sie sich im Laufe ihrer Karriere bewähren musste und sich von ihrem Sex-Trauma befreit hat. Über ihre Liebe zur Schauspielerei und wie wichtig ihr Gleichberechtigung und Fairness sind.
Mrs. Lawrence, spätestens seit dem phänomenalen Erfolg der „Die Tribute von Panem“-Filme können Sie sich Ihre Projekte aussuchen. Welche Kriterien muss denn ein Film haben, zu dem Sie ja sagen?
Da spielen viele Dinge eine Rolle. Und es ist bei jedem Film auch immer etwas anderes. Mal steht der Karriere-Aspekt im Vordergrund, mal ist es einfach ein Bauchgefühl. Aber immer ist mir wichtig, dass ich mich nicht wiederhole und nur das mache, was ich schon kann, sondern aus meiner Komfortzone ausbreche. Schließlich will ich mich als Schauspielerin ja weiterentwickeln. Außerdem liebe ich das Abenteuer, das Wagnis.
Benutzen Sie Ihre Filme ganz bewusst auch als Selbsttherapie?
Manchmal entdecke ich während der Dreharbeiten tatsächlich etwas, was mit meiner ganz persönlichen Lebenssituation zu tun hat. Zum Beispiel in dem Film „Joy“, in dem ich eine Hausfrau spiele, die von anderen Leuten total kontrolliert wird, bis sie sich endlich selbst aus dieser Bevormundung befreit. Plötzlich übernimmt sie die Kontrolle über ihr eigenes Leben und sagt das, was sie denkt und fühlt, ohne sich dafür zu rechtfertigen oder gar zu entschuldigen. Diesen Mut zur Selbstbestimmung habe ich mitgenommen in mein eigenes Leben. Das hat mir sehr viel Kraft gegeben. Oder in „American Hustle“: Da spiele ich eine Frau, die sich nichts sehnlicher wünscht, als endlich sie selbst sein zu können. Diese Lebenslust dann auch spielen zu dürfen – das ist damals geradezu explosionsartig aus mir herausgebrochen. Das hat meiner Seele ungeheuer gutgetan. Oder der Thriller „Red Sparrow“, in dem ich zum ersten Mal splitterfasernackt vor der Kamera stand.
Fielen Ihnen diese Nacktszenen leicht?
Absolut nicht! Das können Sie mir glauben! Aber auch das war eine Art Selbstheilung für mich. Denn früher wollte ich nie, dass man meinen nackten Körper auf der Leinwand sieht. Nacktheit ist für mich etwas sehr Persönliches. Aber vor ein paar Jahren wurden private Nacktfotos von mir gehackt und ins Netz gestellt, das war ein Riesenschock für mich. Der Vorfall hat mich schwer belastet. Es war eine ungeheure Verletzung meiner Intimsphäre, über die ich auch nach Jahren nicht hinweggekommen war. Dass ich dann in „Red Sparrow“ diese Nacktszenen gemacht habe, war wie ein Befreiungsschlag. Damit habe ich mein Trauma letztlich überwunden. Denn es ist ein himmelweiter Unterschied, ob man sich freiwillig nackt zeigt oder nicht.
Sie haben im Laufe der Jahre einen sehr großen Karrieresprung gemacht: von einer Independentfilm-Schauspielerin zu einem der bestbezahlten Stars in Hollywood. Wie hat Sie das verändert?
Ich habe in den letzten Jahren sicher viel an Erfahrung dazu gewonnen und bin jetzt sehr viel selektiver, was die Auswahl meiner Filme betrifft – und der Menschen, mit denen ich mich umgebe. Mich zieht es zu liebenswerten, herzlichen und echten Menschen hin. Ich hasse Blender. Tja, und wie habe ich mich in den letzten 15 Jahren Hollywood verändert? Wissen Sie, unlängst hat man meine Freunde interviewt. Und die haben alle gesagt, dass ich mich überhaupt nicht verändert habe. Nur die Welt um mich herum. Das ist das schönste Kompliment, das ich je bekommen habe.
Sie waren also niemals in Gefahr, Ihren gesunden Menschenverstand zu verlieren?
(lacht) Nein, Gott sei Dank nicht. Dazu bin ich viel zu gut in meiner Familie und meinem Freundeskreis eingebettet. Ohne diese Menschen, die mit mir durch dick und dünn gehen, wäre ich sicher nicht da, wo ich heute bin. Meine geistige Gesundheit war bis jetzt also nie in Gefahr. Allerdings hat es aber tatsächlich ein paar Jahre gedauert, bis ich mit dem ganzen Celebrity-Rummel umgehen konnte.
Sie wollten ja auch Schauspielerin werden und nicht Hollywoodstar, oder?
Genau! Mir war schon früh in meinem Leben klar, dass ich schauspielen wollte – und musste. Ich kann nichts anderes. Wenn ich nicht spiele, bin ich nutzlos. (lacht). Als ich jünger und unreifer war, habe ich mich sehr oft darüber beklagt und gar nicht begriffen, warum ich ständig Autogramme geben soll und jeder ein Selfie mit mir haben will. Oder weshalb ich auf Schritt und Tritt von Paparazzi verfolgt werde … Ich konnte ja zeitweise nicht mehr aus dem Haus gehen, ohne „abgeschossen“ zu werden. Das hat mich wirklich wütend gemacht. Da habe ich mich eben der Presse und auch den Fans gegenüber oft sehr verschlossen und aggressiv verhalten. Das war aber nicht aus Böswilligkeit – sondern aus Selbstschutz. Schließlich habe ich kapiert, dass das eben der Preis dafür ist, dass ich in diesem wundervollen Beruf arbeiten kann, den ich über alles liebe. Seitdem bin ich in der Öffentlichkeit auch viel freundlicher.
Welche Qualitäten muss ein fremder Mensch haben, damit Sie ihn näher an sich heranlassen?
Für mich stehen Herzenswärme, Ehrlichkeit und Respekt an erster Stelle. Es ist mir sehr wichtig, immer offen und ehrlich zu sein. Mit dieser Einstellung habe ich mir zwar schon oft den Mund verbrannt – aber letztlich kann ich nicht anders. Mir imponieren Menschen, die zu dem stehen, was sie denken und fühlen, und den Mut haben, das auch ganz ehrlich und unverblümt zu sagen.
Und womit disqualifiziert man sich bei Ihnen sofort?
Ich hasse es, wenn Leute in Machtpositionen testen, wie weit sie bei mir gehen können. Und wenn man sie dann sehr deutlich in die Schranken weist, versuchen sie, es herunterzuspielen … „Ach, das war doch nicht so gemeint!“ Das hasse ich wirklich.
Erschreckend viele Schauspielerinnen haben in der Vergangenheit von sexuellen Übergriffen berichtet. Ist Ihnen so etwas auch passiert?
Nicht in dem extremen Ausmaß. Aber auch ich wurde von Männern im Filmbusiness schlecht behandelt. Ich erinnere mich noch gut daran, wie ich als junges Mädchen bei einem Meeting mit Produzenten saß – und plötzlich legte einer seine Hand auf mein Knie. Ich war wie versteinert und wusste nicht, wie ich reagieren sollte. Das klingt heute verrückt, ich weiß. Aber damals war ich deswegen total verunsichert. Allerdings hat es nicht lange gedauert, da habe ich solche Anzüglichkeiten gleich offen angesprochen. Doch auch da hat man immer sehr schnell abgewiegelt. Aber ich habe mir das trotzdem nicht mehr gefallen lassen.
Gilt man da nicht schnell als schwierig?
Oh ja, vor allem in der Filmbranche. Da ist man dann schnell als ungehobelte Göre verschrien. Oder als Querulantin, die schwer zu vermitteln ist. Und das kann sehr schnell das Karriere-Aus bedeuten.
Hat sich der Verhaltenskodex in Hollywood mittlerweile gebessert?
Ich glaube schon. Endlich hat man mit der Aufarbeitung dieser ungeheuerlichen Missstände begonnen. Doch diese notgeilen Männer wird es leider immer geben. Und wir werden auch nicht plötzlich das Bewusstsein von Männern verändern, die es völlig normal finden zu vergewaltigen oder ihre sexuelle Macht anderweitig auszuüben. Wir können aber sehr wohl ein Klima herstellen, in dem es unmöglich ist, dass solche entsetzlichen Übergriffe weiterhin unter den Teppich gekehrt werden.
Sie haben sich schon früher mit dem Establishment angelegt, als Sie sich für die gleiche Bezahlung von Männern und Frauen einsetzten.
Da bin ich immer wieder gegen eine Wand geknallt. Nur weil ich nicht einsehen wollte, dass Frauen für die gleiche Arbeit nicht die gleiche Gage bekommen. Das hat mich wirklich persönlich verletzt. Immerhin habe ich in megaerfolgreichen Filmen mitgespielt, habe viele Zuschauer ins Kino gezogen und auch jede Menge Preise bekommen. Warum also soll ich weniger Gage erhalten als meine männlichen Co-Stars? Es gab sogar Zeiten, da sagte man mir, wenn ich mehr Geld wollte, würde man das ganze Filmprojekt kippen. Im Ernst? Das steht doch in überhaupt keinem Verhältnis.
Wenn man Millionen-Gagen bekommt – ist das nicht Jammern auf hohem Niveau?
Es stimmt schon, dass diese Probleme für die meisten Menschen auf der Welt totale Luxus-Probleme sind. Aber eins will ich mal klarstellen: Ich habe mich nicht darüber beklagt, dass ich wenig verdiene – sondern darüber, dass ich für die gleiche Arbeit viel weniger verdiene als meine männlichen Kollegen. Ich missgönne niemandem etwas. Und ich bin mir auch vollkommen bewusst, dass hart arbeitende Frauen in anderen Berufen viel weniger verdienen als Hollywoodstars. Mich hat nur genervt, dass wir Frauen im Hollywood-System oft ausgenutzt werden oder durch den Rost fallen, wenn wir Forderungen stellen. Verstehen Sie mich richtig: Ich liebe Amerika! Und ich möchte, dass es in meinem Land anständig und fair zugeht. Es ist aber nun mal Fakt, dass Frauen und Afroamerikaner in der Entertainment-Industrie immer noch nicht dieselben Chancen haben wie weiße Männer. Auch das sollte sich schleunigst ändern.
Hat der große Erfolg auch Ihr Selbstbewusstsein gestärkt?
in Toronto - Foto: IMAGO / MediaPunch
Aber klar doch. Ich war zwar schon früher nicht gerade von Selbstzweifeln gebeutelt, aber so ein messbarer Erfolg ist schon sehr gut für das Ego. Ich bin dadurch viel sicherer geworden, in meinem Auftreten und in dem, was ich sage. Und das macht das Leben viel einfacher. Die Zeiten, als ich mich aus Unsicherheit gängeln ließ, sind endgültig vorbei. Jetzt habe ich die Kontrolle übernommen.
Was ist denn Ihre größte Antriebskraft?
Neugier.
Und was Ihre hervorstechendste Charaktereigenschaft?
Ich bin hart im Nehmen. Da kann ich – gerade im Beruf – einiges wegstecken. Und da ich selbst gerne Tacheles rede, habe ich nichts dagegen, wenn man auch bei mir nicht auf Samtpfoten daherkommt. Und ich bin ein furchtbarer Dickkopf! In meinem Job bin ich total fokussiert und sehr ambitioniert. Da habe ich ein starkes Durchsetzungsvermögen.
Und privat?
Auch! Und ich habe ein großes Herz. Ein Herz voller Liebe …