Einfach mal zur Ruhe kommen. Körperlich, aber auch geistig. Diese Möglichkeit bieten Yoga-Retreats. Um diese auch ohne Urlaubstage beim Arbeitgeber zu genießen, bieten die Yogarei und das Victor’s Seehotel Weingärtner nun gemeinsame Wochenend-Retreats an. Ein Selbstversuch.

Einatmen. Ausatmen. Ich spüre, wie mein Puls sich immer weiter beruhigt, während ich mich bewusst auf meine eigene Atmung konzentriere. Meine Augen sind geschlossen. „Wenn du magst, dann sag dir bei jedem Einatmen ‚Ich bin‘ und bei jedem Ausatmen ‚hier‘“, höre ich die Stimme sagen und tue genau das. Ich bin – hier. Ja, das bin ich. Bis vor wenigen Stunden saß ich noch in meinem Büro, einen Schreibtisch voller unsortierter Papiere und drei Deadlines im Nacken, die mit jedem Atemzug näher rücken. Fast schon ermahnend sage ich mir wieder ganz leise: Ich bin – hier. Nicht nur körperlich, sondern auch mit meinen Gedanken. Und das ist ganz schön herausfordernd, wie ich an diesem Wochenende lernen soll.
Aber zum Anfang: Vor nicht einmal ganz zwei Stunden bin ich angekommen. Bepackt mit einer großen Sporttasche stand ich am Empfang des Victor’s Seehotel Weingärtner in Nohfelden und habe neben meinem Zimmerschlüssel auch ein zuvor herausgesuchtes Kräuterkissen entgegengenommen. Dieses spezielle Kissen soll mir zu besserem Schlaf verhelfen. Bei dem von mir gewählten Arrangement ist es kostenlos dabei. Denn dieses Wochenende steht ganz im Zeichen der Entspannung: Es ist Freitagnachmittag und ich checke beim Yoga- und Genuss-Retreat ein. Und ich habe keine Ahnung, was mich erwartet.
Physischer und psychischer Einfluss

Demnach nervös bin ich auch, als ich meine Sachen auf meinem Zimmer abgelegt habe und in meiner Sportkleidung den Raum betrete, in dem ich am Wochenende viel Zeit verbringen werde. Ruhig gelegen in der untersten Etage mit großen Fenstern und gemütlichem Teppichboden bietet der sogenannte „Raum Priesberg“ eigentlich Platz für Tagungen und Meetings, ist jetzt aber mit warmen Fellmatten, Decken und Sitzkissen ausgestattet. In der Mitte verteilt ein Räucherstäbchen einen angenehmen Duft durch das Zimmer, daneben sitzt Sinah Müller. Die Betreiberin der Saarbrücker Yogarei wird unsere Gruppe dieses Wochenende anleiten und begleiten. Sie selbst praktiziert bereits seit 15 Jahren Yoga. Daher weiß Sinah auch um die Kraft, die Yoga einem Menschen schenken kann – physisch, aber auch psychisch: „Mir persönlich hat Yoga schon mehrfach in Phasen von Veränderung und Unsicherheit geholfen“, erzählt sie. „Als ich mit Anfang 20 merkte, dass mein erstes Studium nicht das richtige für mich war. Als mit Ende 20 eine lange Beziehung zu Ende ging. Und auch aktuell in meiner Mutterschaft mit kranken Familienmitgliedern ist Yoga ein wichtiger Anker. Nicht weil wir auf alles direkt eine Lösung finden müssen. Sondern weil wir eine Ressource in uns nähren.“

Insbesondere bei einem solchen Retreat sei die Wirkung auf den Geist immens: „In diesem Retreat geht es vor allem um das Gefühl, eine Auszeit zu haben. Den Pause-Knopf drücken. Und das ohne großen Aufwand“, sagt sie. Daher sei das direkt am Bostalsee gelegene Hotel wie gemacht für dieses Projekt: „Das Haus hat diese Atmosphäre von direkt zu Hause sein und ankommen. Wir können abschalten und entschleunigen. In Kontakt mit uns selbst kommen“, sagt Sinah. Dabei sei dieses „mit sich selbst in Kontakt kommen“ keinesfalls etwas Geradliniges, betont sie: „Es wird Momente geben, in denen ihr euch fragt: Warum bin ich hier her? Und es gibt Momente, in denen ihr wisst: Genau deswegen bin ich hier.“
Ich befinde mich gerade irgendwo dazwischen und mit einem Blick auf die anderen Kursteilnehmerinnen, die sich mittlerweile alle hier unten eingefunden haben, scheine ich damit nicht alleine zu sein. Unsere Gruppe ist bunt gemischt. Wir sind sechs Frauen, jede aus ihrem ganz eigenen besonderen Grund hier. Wir sind zwischen Mitte zwanzig und Anfang sechzig und so weitläufig wie unsere Altersspanne sind auch unsere Erfahrungswerte in Sachen Yoga: Während manch eine mehrmals täglich praktiziert, ist eine andere frische Einsteigerin. Ich bin nicht einmal das. Meine Yoga-Erfahrung beschränkt sich auf den unpersönlichen Fitnessstudio-Kurs, den ich 2017 besucht habe, um während meines Abiturs einen sportlichen Ausgleich zu meinem übermäßigen Schokoladen-Konsum zu finden. „Eine Yogastunde ist für alle da“, sagt Sinah. „Die Aspekte, bei denen wir manchmal meinen, dass sie Menschen voneinander unterscheiden, wie eben das Alter oder das Geschlecht, spielen am Ende eigentlich gar keine Rolle mehr.“
Die Herausforderung des Entspannens

Heute, so sagt uns Sinah, werden wir erst einmal mit Entspannungs- und Atemtechniken arbeiten. Aber zu allererst sollen wir uns im Raum orientieren. „Orientierung finden ist etwas, was jedes Säugetier tut, um sich sicher zu fühlen“, erklärt sie und gibt uns den Auftrag, mehrere Minuten aufmerksam durch den Raum zu laufen. Uns alles genau anzusehen. Dieses Umsehen – das Orientieren – sei auch ein guter Tipp, um sich in einer aufregenden Situation zu beruhigen, wie vor einem beruflichen Termin oder Ähnlichem, verrät Sinah.
Und in der Tat beginne ich mich so langsam wohlzufühlen. Die Anspannung abzulegen. Doch als wir jetzt auf den Matten liegen, die Augen geschlossen und tiefe, bewusste Atemzüge nehmend, merke ich dennoch, wie schwer es mir fällt, wirklich abzuschalten. „Erlaube deinem Körper, hier zu landen, spüre den Kontakt deines Körpers zur Unterlage, vielleicht kannst du wahrnehmen, dass du getragen bist“, sagt Sinah. „Lass deine Stirn weicher werden und vielleicht kannst du den Kiefer ein bisschen locker lassen.“ Ich bin – hier.

Mit den Problemen bin ich nicht alleine, wie ich wenig später beim gemeinsamen Abendessen erfahren soll. Schnell ergeben sich Gespräche untereinander und schon am ersten Abend werden trotz aller Unterschiede auch schon die ersten Gemeinsamkeiten entdeckt. Um 20 Uhr ist die nächste Yogastunde angesetzt, doch wir verstehen uns so gut am Tisch, dass diese eine halbe Stunde nach hinten geschoben werden muss. Wir sind uns alle erst vor ein paar Stunden begegnet und trotzdem fühlt es sich irgendwie an, als würde man sich bereits Ewigkeiten kennen. Als könnte man über alles sprechen, ohne aber dazu gedrängt zu werden. „Das Gefühl, sicher zu sein, ist essenziell“, betont auch Sinah. „Erst wenn wir uns sicher fühlen, können wir in Verbindung gehen und so sein, wie wir sind, und mit allem, was da ist. Verbindungskultur ist etwas ganz Wichtiges und ermöglicht eine Harmonie, von der alle profitieren.“
Eine Auszeit für sich selbst

Und so fühle ich mich wieder einen Ticken leichter, als wir schließlich zur letzten Yoga-Einheit des Freitages in „unseren“ Raum kommen. Wir haben uns bereits bettfertig gemacht, denn zum Abschluss gibt es eine Session Yoga Nidra. Beim Yoga Nidra geht es um die maximale Entspannung. So sollen tiefe Bewusstseinsschichten erreicht werden. Mit sich selbst in Kontakt kommen und dem Körper zuhören, was er will. Während wir es uns also mit Decken und Kissen auf dem Boden gemütlich machen, spricht Sinah mit ruhiger Stimme zu uns. Sie schlägt die Klangschale an, singt für uns. Einer jeden „schenkt sie eine Berührung“, wie sie sagt. Eine kleine, liebevolle Geste mit riesiger Wirkung.
Gerade zu Beginn muss ich meine Gedanken mehrmals wieder einfangen, doch zum Ende hin spüre ich, wie sich alles an – und in – mir entspannt. Zur Ruhe kommt. Ich bin hundemüde, als ich später auf mein Zimmer zurückkomme. Das weiche Bett unter mir fühlt sich an wie eine Wolke, so sehr hänge ich noch immer mit dem Kopf in der gerade stattgefundenen Praxis.

Ich weiß nicht, ob ich schon einmal wirklich so entspannt war. Mein Körper jedenfalls signalisiert mir am nächsten Morgen in aller Deutlichkeit, dass es mindestens sehr lange her sein muss. Jedenfalls sagt mir das meine innere Stimme laut und deutlich. Wann hast Du das letzte Mal etwas nur für Dich getan? Einfach mal nichts getan? Warum fällt Dir das so schwer? Warum nimmst Du Dir nicht das Recht dazu?
Den Samstagmorgen starten wir in aller Stille. Das haben wir so verabredet, und meine Gedanken und ich sind auch ganz froh darum. Als wir uns noch vor dem Frühstück in unserem Raum einfinden, empfängt mich wohlige Ruhe. Ich atme tief durch und setze mich einen Moment auf meine Matte, bis die Einheit startet. Die heutige Praxis ist körperlich anstrengender, aber nicht unangenehm. Wir versuchen uns in verschiedenen Asanas. Asanas sind Haltungen und Posen, die im Yoga eingenommen werden und die neben einem körperlichen auch einen geistigen Einfluss auf uns haben sollen. So soll beispielsweise der herabschauende Hund, bei dem die Hände auf dem Boden abgestellt werden und die Körpermitte in Form eines Dreiecks gen Decke gestreckt wird, nicht nur den Körper dehnen und die Muskeln stärken, sondern gleichzeitig beruhigend wirken und Stress abbauen.
Als wir uns beim Frühstück einfinden, wo das gut bestückte Buffet bereits auf uns wartet, fühle ich mich tatsächlich etwas ruhiger. So still es während der Einheit auch größtenteils war, so gesprächig sind wir nun. Wir tauschen uns darüber aus, was die Tiefenentspannung am Vortag mit uns gemacht hat. Wie es uns geht. Sammeln gemeinsam noch einmal Kraft, bevor uns einige Stunden zur freien Verfügung stehen und es schließlich zum Bogenschießen auf die hoteleigene Bogenschießanlage geht. Das Victor’s Seehotel Weingärtner ist das erste Bogensporthotel im Saarland. In Kooperation mit der Bogensportschule Saar e. V. beinhaltet unser Retreat auch eine Bogenschießstunde. Denn der Bogensport hat einige Gemeinsamkeiten mit Yoga: Es geht um Konzentration. Um zielgerichtete Gedanken. Und schließlich auch darum, etwas loszulassen.
Durch das Feuer zurück in den Kreislauf

Die Teilnahme ist freiwillig. Alternativ nutzen ein paar von uns auch die Massagen im Hotel-Spa, den Pool im unteren Geschoss der Hotelanlage. Zusammen treffen wir schließlich wieder zu einem bereits herrlich duftenden Dal, einem Eintopf aus Linsen, der uns vom Hotel serviert wird.
Genau die richtige Stärkung, bevor es zu dem Punkt kommt, auf den ich mich seit meiner Anreise am meisten freue: das Journaling. Nach einer Einheit Yin Yoga – eine Form, bei der die Dehnungen besonders lange gehalten werden – geht es los. Bereits am Vortag hatten wir uns aus einer Auswahl von Frühlingsmotiven ein Bild aussuchen sollen, das uns am meisten anspricht. Ich habe eine Rhododendronblüte gewählt, die mich an meinen eigenen Garten erinnert hat. An zuhause. Jetzt liegt es neben mir, während ich in meinem Notizbuch meine Gedanken niederschreibe. Als kleiner Leitfaden stellt Sinah uns Fragen, die wir intuitiv beantworten sollen. „Am besten schreibt ihr einfach los“, sagt sie, „und setzt den Stift gar nicht erst ab.“ Meine Hand bewegt sich wie von alleine über die Seiten und noch bevor ich es wirklich merke, habe ich drei Seiten meines Buches mit meinen Gedanken gefüllt. Ungefiltert.
Ich bin sehr nachdenklich und während ich mich so mit den anderen unterhalte, höre ich heraus, dass es nicht nur mir so geht. Wir alle sind sehr reflektiert, sprechen über Schicksalsschläge, Privates. Aber auch über unseren Antrieb, unsere Hoffnungen. So gehen wir zu einem gemeinsamen Käse-Fondue. Eine Stärkung, bevor es um das geht, warum wir eigentlich alle hier sind: das Loslassen.

Das Hotel hat ein großes Feuer im Freien für uns angezündet, das wir für ein Ritual nutzen werden. Ein kleines Loslass-Ritual, wie Sinah es nennt. „Man kann sich das so vorstellen: Man gibt etwas ins Feuer und durch dieses Verbrennen wird es in die Atmosphäre, in den Kreislauf des Lebens zurückgegeben“, erklärt sie. Wir haben dafür Zettel geschrieben. Dinge und Emotionen, die wir loslassen wollen. Aber auch Dinge, für die wir dankbar sind. Solche, die wir uns wünschen.
Ich bin angespannt, als ich ans Feuer trete. Nicht nur, weil die lodernde Hitze vor mir mich gleichzeitig fasziniert und einschüchtert, sondern auch, weil eine gewisse Magie in diesem Moment liegt. Die Emotionen sind greifbar, für uns alle. Ich schlucke einmal heftig, bevor ich das Papier, auf dem so persönliche Dinge von mir stehen, den Flammen übergebe.
Wir stehen noch lange zusammen. Das Hotel hat uns dazu auf einen Drink eingeladen. Die Gesellschaft tut mir gut, das tut sie uns gerade allen. Es ist schon nach elf Uhr nachts, als wir uns zurück auf unsere Zimmer begeben, um die letzte Nacht im Retreat anzutreten.
Ich schlafe sehr gut und träume noch besser. Demnach erholt erscheine ich bei der morgendlichen Yoga-Session. Wir lassen es langsam angehen. Nach einer abschließenden Meditation mit verschiedenen Atemtechniken gehen wir ein letztes Mal gemeinsam frühstücken. Es ist ein wenig traurig, die Vertrautheit, die sich in diesem Retreat eingespielt hat, heute verabschieden zu müssen. Das zeigt sich auch in der abschließenden Runde, in der wir alle noch einmal unsere Gedanken zum Retreat teilen. Es ist keine steife Verabschiedung, nein. Sinah geht durch die Runde, nimmt sich für jede von uns einen Moment Zeit und richtet sehr persönliche Worte an uns. Dinge, die von einer Menschenkenntnis zeugen, die ich in dieser Form erst selten erlebt habe. Ich halte meine Tränen zurück, als sie mir Wünsche mit auf meinen Weg gibt, die mich so tief im Herzen berühren, die mir das Gefühl geben, sie würde mich seit Jahren kennen. Aber auch die Dinge, die sie den anderen Teilnehmerinnen mitgibt, berühren mich auf eine ganz eigene Art.
Am Ende schenkt sie uns allen eine Blume. Ein kleines Andenken, das eine weit größere Symbolik mit sich trägt: Strahlend und blühend reckt sie sich gen Himmel. Mit einer Energie und Willenskraft, der niemand trotzen kann. Ein wenig so, wie auch wir es hier gelernt haben. Und uns hoffentlich noch lange daran erinnern werden.