Iris Berben spricht im Interview über ihren neuen Film „791 km“, über Feminismus, Cancel-Culture und Künstliche Intelligenz – und warum sie so gern Schauspielerin ist.
Sie ist eine der erfolgreichsten und beliebtesten Schauspielerinnen Deutschlands mit internationalem Renommee. Iris Berben begann ihre Karriere schon in den 60er-Jahren und wurde Ende der 70er-Jahre einem breiten Publikum durch die TV-Klamauk-Serien „Klimbim“ und „Zwei himmlische Töchter“ bekannt. Danach war sie in zahlreichen TV-Filmen und Serien zu sehen, wie zum Beispiel. „Das Erbe der Guldenburgs“, „Krupp – Eine deutsche Familie“, „Buddenbrooks“, „Der Wagner-Clan“ und „Unter Freunden stirbt man nicht.“ Außerdem war sie von 1994 bis 2013 die Berliner Kriminalkommissarin Rosa Roth in der gleichnamigen TV-Serie. Zu ihren Filmen aus letzter Zeit gehören unter anderem „Jugend ohne Gott“ (2017), „Der Vorname“ (2018), „Der Nachname“ (2022) und „Triangle of Sadness“ (2022), der bei den Filmfestspielen in Cannes mit der Golden Palme ausgezeichnet wurde. In ihrem neunen Film „791 km“ glänzt sie einmal mehr als Charakterdarstellerin mit Herz.
Frau Berben, was hat Sie am meisten gereizt, bei diesem Film mitzumachen?
Diese fünf so unterschiedlichen Menschen, die in einem Taxi auf der langen Fahrt von München nach Hamburg auf engem Raum aufeinandertreffen. Und sich mit sich selbst und den anderen aus-einandersetzen müssen. Das alles, ohne die üblichen Klischees zu bedienen. Da ist viel Platz, damit sich jede Figur langsam herausschälen kann und das Innerste aus den anderen herausgekitzelt wird. Es war eine große Freude, dabei zu sein.
Sie spielen Marianne, eine Mischung aus Hippie und Alt-68erin. Hat man Ihnen die Rolle etwa auf den Leib geschrieben?
Der Regisseur Tobi Baumann hatte mich schon vor längerer Zeit auf das Projekt angesprochen. Es hat dann aber eine gute Weile gedauert, bis der Film gedreht werden konnte. Nicht zuletzt wegen der Covid-Pandemie. Als ich die Drehbuchfassung las, kamen mir manche Dinge durchaus bekannt vor! (lacht) Und ich glaube schon, dass dabei auch ein bisschen auf meine Biografie geblinzelt wurde.
„Die Frauenbewegung hat viel erreicht, aber leider auch einen Kollateralschaden hinterlassen“, sagt Marianne im Film. Sie treten in der Öffentlichkeit als selbstbewusste, politisch engagierte Aktivistin auf. Wie stehen Sie zu diesem Satz? Sind Sie eine Feministin?
Der Begriff Feminismus hat im Laufe der Zeit ja einige Veränderungen erfahren. Wenn man an die Feministinnen in den 50er- und 60er-Jahren zurückdenkt, hat man immer ein bestimmtes Bild vor Augen – auch was die Radikalität betrifft. Ich würde mich schon als Feministin bezeichnen, seit ich wahrgenommen habe, wie groß die Unterschiede zwischen Männern und Frauen sind. Gegen diese Benachteiligungen bin ich schon in den 60er-Jahren auf die Straße gegangen. Leider haben Frauen noch immer nicht die gleichen Rechte. Immer noch bekommen Frauen für die gleiche Arbeit weniger Lohn. Das führt zu einer Schwächung der sozialen Stellung von Frauen in unserer Gesellschaft. Daran hat sich bis heute eben nichts geändert. Aber es ist noch mehr dazugekommen: die „MeToo“-Debatten. Da wurden ganz andere Dinge infrage gestellt. Dinge, die wir Frauen zwar damals mit einer gewissen Rotzigkeit nicht zugelassen haben, die heute aber natürlich einen ganz anderen Stellenwert haben. Weil neue Generationen von Frauen dieses Selbstbewusstsein und Selbstverständnis auch heute immer noch einfordern müssen. Wir sind noch lange nicht fertig. Aber diese Veränderungen können wir nur gemeinsam mit den Männern erreichen. Und nicht gegeneinander.
Im Film werden viele Zeitgeist-Themen angesprochen, auch die sogenannte Cancel Culture. Wie stehen Sie denn dazu?
Ich stehe auf dem Standpunkt: Wir sind erwachsene Menschen! Gebt uns die Möglichkeit, über Veränderungen, die auch in der Sprache und im Umgang mit Menschen im Gange sind, selbst entscheiden zu können. Und auch darüber, wie wir das angehen. Ich halte es für kontraproduktiv, Kinder in eine Welt zu entlassen, in der man ihnen die Korrekturen schon mitgegeben hat. Ohne zu sagen: „Schau mal, so haben wir früher etwas benannt. Jetzt erkläre ich dir, warum man das heute nicht mehr tut.“ Ich finde diese Auseinandersetzung wichtig. Und natürlich ist es auch sehr wichtig, dass wir eine Gesellschaft haben wollen, die niemanden und nichts ausgrenzt. Aber einen Schalter umzulegen oder Dinge einfach nicht mehr sichtbar zu machen, halte ich für falsch. Denn damit sind so wichtige Themen wie Ausgrenzung, Antisemitismus, Selbstbestimmung, Fremdenfeindlichkeit und so weiter plötzlich scheinbar erledigt. Doch diese Diskussionen müssen auf jeden Fall stattfinden – und nicht das Canceln!
Sie haben vor einiger Zeit sehr eloquent durch die TV-Doku-Serie „Schickeria – als München noch sexy war“ geführt. Damals haben viele den „Sex, Drugs and Rock’n’Roll“-Lebensstil noch praktiziert. Das sollte man heute weder verklären, noch sollte man sich dafür entschuldigen. Das kann man doch auf moderne Art weiterleben.
Ich versuche es nach wie vor! (lacht) Und wir könnten doch heute sagen: „Alkohol ist auch eine Droge.“ Wir sind erwachsen genug und sollten uns auch zu unseren Fehlern bekennen. Und uns mit der Unwissenheit, die wir hatten – und immer noch haben – auseinandersetzen und darüber reden, warum das heute anders ist als damals.
In Hollywood haben Künstler lange für eine bessere Entlohnung gestreikt und auch gegen den Einsatz der sogenannten Künstlichen Intelligenz. Befürchten Sie, dass die KI gerade in die Arbeit von Schauspielern massiv eingreifen könnte? Oder in Zukunft Schauspieler sogar überflüssig machen könnte?
Zunächst ist die Künstliche Intelligenz eine ungeheure Entwicklung und Erleichterung, denken wir nur mal an den Bereich Medizin. In Bezug auf den Schauspielerberuf ist die KI ein sehr komplexes Thema. Schon jetzt merken wir ja, dass Synchron-Arbeit fast gar nicht mehr nötig ist, weil Stimmen von der KI gesampelt werden können. Dadurch fällt nach und nach eine ganze Berufsgruppe weg. Aber die KI hat auch Auswirkungen auf andere kreative Branchen. Und in Zukunft, fürchte ich, wer-den wir da keine Möglichkeiten mehr haben, wirklich einzugreifen. Es ist also allerhöchste Zeit, dass wir eine verbindliche Rechtslage schaffen, die kreative Menschen und ihre Arbeit schützt. Es muss absolut sichergestellt werden, dass du das Recht an dir selbst behältst. Da gibt es eine Menge zu tun.
Sonst geistern wir in absehbarer Zukunft alle als Avatare herum.
Da ist natürlich zuerst die Politik gefragt, um den Schutz unserer Persönlichkeit rechtlich durchzusetzen. Uns macht aus, dass wir sind, wie wir sind. Was wir zulassen – und was nicht. Unsere Erlebnisse, Erfahrungen, Verletzungen, unsere Triumphe, das macht uns so individuell. Und diese Individualität, die gibt man nicht einfach her. Man kann die Entwicklung nicht aufhalten, aber man kann daran mitwirken und das sollten wir verstärkt einfordern.
Da ist natürlich auch wesentlich, wie verantwortungsbewusst wir – also jeder von uns – künftig mit der KI künftig umgehen. Allerdings bin ich da ziemlich pessimistisch. Da ist doch meist Bequemlichkeit, Unwissenheit und Unmündigkeit an der Tagesordnung.
Da sind wir beim Thema: Bildung. Da muss sehr viel mehr investiert werden. Bildung wird hierzulande unterschätzt. Dadurch haben wir immer mehr mit Menschen zu tun, die sehr zufrieden sind in der kleinen Blase, in der sie selber leben. Ihre Welt ist das Handy. Auch ihre Welt nach draußen. Handy, Internet, KI sind ja nicht per se schlecht – es ist aber wichtig, wie wir damit umgehen. Was wir zulassen. Ein großes Problem scheint auch zu sein, dass wir in Deutschland immer hinterherhinken. Wir waren doch einmal das Land, das allseits bewundert wurde, wegen unserer innovativen Fantasie und für die Kraft, daraus etwas zu machen. Wir haben uns aber schon viel zu lange bequem zurückgelehnt. Dadurch haben wir den Anschluss verloren. Jetzt müssen wir wirklich hart daran arbeiten, die Menschen mitzunehmen und zu kommunizieren, wie wir uns diesen neuen Entwicklungen gegenüber verhalten.
Der Medienwissenschaftler Neil Postman hat schon in den 80er-Jahren sein Buch „Wir amüsieren uns zu Tode“ auf den Markt gebracht. Das war leider visionär. Wenn man sich die – auch staatlich subventionierte – Verblödung im TV, die infantilen Spielshows, die tumben Nachmittags-Serien oder Wachkoma-Krimis und so weiter ansieht, kann einen schon das Grausen packen. Wollen Sie dazu etwas sagen?
(lacht) Dazu ist nicht genug Platz an dieser Stelle. Nur das: Noch haben wir das Publikum, das all das goutiert (Einer Sache positiv gegenüberstehen; Anm. Red.). Aber es wächst eine Generation heran, für die ist das alles kein Thema mehr.
Sie waren Präsidentin der Deutschen Filmakademie und haben dadurch viele Einblicke hinter die Kulissen des Filmbusiness bekommen. Was schätzen Sie: Wie viel Prozent der Schauspieler können hierzulande von ihrem Beruf leben?
Ich glaube, es sind extrem wenige. Das liegt natürlich auch daran, dass wir sehr viele Schauspielerinnen und Schauspieler haben. Da gibt es ja keine wirkliche Grenze – wer ist ein Schauspieler und wer ist keiner? Und es gibt auch die Tendenz, dass da oft Menschen in den Vordergrund kommen, die sich dann nur sehr kurzfristig halten. Aber auch wenn man den Beruf ernst nimmt – mit all der Leidenschaft, die dazu gehört, der harten Arbeit und Disziplin, und auch dem Respekt, Filme zu machen – gibt es trotzdem sicher viele von meinen Kolleginnen und Kollegen, die sehr zu strampeln haben. Dazu kommt noch, dass viele Produktionsfirmen mittlerweile kurz vor dem Aus stehen. Viele Projekte werden ja gerade jetzt abgesagt oder nicht mehr weitergeführt. Man sagt immer, dass sich der Markt gerade säubert – aber so einfach kann man da nicht argumentieren. Unsere Branche ist gerade sehr dünnhäutig und steht wackelig auf den Beinen. Da bleiben im Moment viele Menschen auf der Strecke.
Haben Sie schon mal daran gedacht, eine eigene Produktionsfirma zu gründen? Da könnten Sie doch Ihre eigenen Stoffe entwickeln …
Nein, aber ich habe doch einen Sohn, der macht das ganz gut!
Sie sind künstlerisch auf vielen Gebieten unterwegs. Was ist denn Ihr größtes Anliegen?
Den größten Teil meines Lebens nimmt sicher das Filmemachen ein. Das ist schön und gleichzeitig ist es auch ein großer Luxus, dass ich einen Beruf habe, der mir auch viel Freude macht. Und mich erfüllt. Viele Menschen müssen ja ihren Lebensunterhalt mit etwas finanzieren, das ihnen eigentlich keine große Freude macht, sondern eher pragmatisch ist. Da bin ich also in einer sehr exponierten und schönen Situation. Ich halte auch viele Lesungen, ich spreche viele Hörbücher ein und beschäftige mich sehr gerne und sehr intensiv mit Literatur. Wenn ich eine Leidenschaft habe, dann ist es die Sprache. Sprache ist etwas ganz Besonderes. Etwas ganz Bereicherndes. Mich mit Sprache zu beschäftigen ist das, was ich am häufigsten mache.
Wie würden Sie sich denn selbst mit vier Worten beschreiben?
Ungeduldig, neugierig, großzügig, witzig.