Ein angeborener Hydrocephalus ist zwar relativ selten, doch nicht immer ohne Komplikationen. Bei Jonas Rannenberg aus Erfurt wurde vor seiner Geburt ein Verschlusshydrocephalus diagnostiziert.

Herr Rannenberg, was sollten nicht-betroffene Menschen über Hydrocephalus wissen?
Wenn man noch nie den Begriff „Hydrocephalus“ gehört hat, ist wichtig zu wissen, dass es das Gehirn betrifft. Das grundlegende Problem beim Hydrocephalus ist, dass der Liquor, also das Hirnwasser, aus den Ventrikeln nicht natürlich abfließen kann. So ist es auch bei mir gewesen.
Ventrikel sind die Hirnwasserkammern.
Genau. Und da liegt das Hauptproblem.
Kann man sagen, dass der Liquorfluss aus dem Gleichgewicht gekommen ist?
Genau, man kann sagen, dass der natürliche Kreislauf des Liquors gestört ist.
Sie sind 21 Jahre alt. Wie ist es damals dazu gekommen, dass ein Hydrocephalus bei Ihnen festgestellt wurde?
Ich selbst kenne nur die Erzählungen von meinen Eltern. Als meine Mutter mit mir schwanger war, haben die behandelnden Ärzte im Ultraschallbild in meinem Gehirn ein Blutgerinnsel gesehen. Das ist entstanden, als der Liquor abfließen sollte. Wie das genau passiert ist, wusste keiner und bis heute hat das kein Arzt herausgefunden. Die Ärzte sagten meinen Eltern, dass ich mit hoher Wahrscheinlichkeit einen Wasserkopf entwickelt habe oder entwickeln werde, wenn ich zur Welt komme.
War das ein sogenannter Verschlusshydrocephalus?
Ja, so kann man das nennen. Es gibt verschiedene Formen vom Hydrocephalus. Der Verschlusshydrocephalus ist einer, bei dem das Hirnwasser nicht mehr im Rückenmark abfließen kann.
Wie haben Ihre Eltern reagiert, als sie von der Diagnose erfahren haben?
Sie waren erst einmal geschockt, weil sie nicht wussten, wie sich das weiter entwickeln wird. Aufgrund der Tatsache, dass meine Mutter und mein Vater beide niedergelassene Fachärzte sind, wussten sie natürlich, was ein Hydrocephalus ist. Von den Kinderchirurgen aus Erfurt erhielt meine Mutter damals eine Überweisung an die Charité. Meine Eltern sind dann nach Berlin gefahren und haben mit dem Experten, der mittlerweile im Ruhestand ist, gesprochen. Tatsächlich war es so, dass er ihnen mitteilte, dass sie mit dem Schlimmsten rechnen sollten, wenn ich zur Welt komme, ich könnte ein Pflegefall werden. Es hätte in die eine Richtung gehen können oder in die andere. Gott sei Dank ist es in die richtige Richtung gegangen. Die Ärzte haben damals zuerst nur das Negative darin gesehen und meinen Eltern gesagt, dass sie vom Schlimmsten ausgehen müssen. Meine ganze Familie hat aber immer an mich geglaubt und wusste, dass ich es schaffen werde.
War das speziell ein Arzt oder mehrere Ärzte, die Sie damals behandelt haben?
In Erfurt wurde ich bis zum 18. Lebensjahr von einem Arzt behandelt. Einmal im Jahr war ich zur Kontrolle bei ihm. Der Neurokinderchirurg hat mich auch damals operiert.
War das ein Arzt oder mehrere Ärzte, die vor Ihrer Geburt gegenüber Ihren Eltern Ihre zukünftige Entwicklung schwarzmalten?
Nein, das waren tatsächlich einige. Sowohl der Arzt von der Charité als auch die in Erfurt haben meine Entwicklung eher negativ eingeschätzt. Ich kenne das von meiner beruflichen Tätigkeit in der stationären Pflege in einer Erfurter Klinik, dass viele Ärzte erst einmal schwarzmalen, um nicht Patienten und deren Angehörigen falsche Hoffnungen zu machen. Insofern, denke ich heute, haben die Ärzte ein bisschen präventiv gehandelt.
Heißt das, Sie denken heute mit einem gewissen zeitlichen Abstand gelassener darüber?
Das kann man sagen. Meine Eltern haben in der schwierigen Zeit der Ungewissheit viel Zuspruch von den Schwestern und teilweise auch von den Ärzten bekommen. Ich nehme ihnen das nicht übel. Als ich später mit meinem Kinderchirurgen darüber gesprochen habe, sagte er, dass er froh sei, wie ich mich entwickelt habe. Aber damals hätte er das nicht gedacht.
Spannend ist, dass Sie heute mit einer Ableitung im Gehirn leben. Können Sie die Funktion dieses Systems erklären?
Es gibt zwei Möglichkeiten: Das Hirnwasser kann zum einen vom Kopf zum Herzen geleitet werden oder vom Kopf zur Bauchhöhle. Am häufigsten wird eine Ableitung zur Bauchhöhle gelegt – so wie auch bei mir. Wenige Wochen nach meiner Geburt hat man ein kleines Loch in meinen Schädel gebohrt und einen dünnen Schlauch bis in die Ventrikelkammer hineingeführt. Der Schlauch wurde dann an ein hinter meinem Ohr liegendes Ventil angeschlossen. Von dort leitet ein ungefähr zwei Meter langer Schlauch den Liquor hinab zum Bauchraum.
Gibt es in Ihrem Ventil auch eine Gravitationseinheit?
Es gibt unterschiedliche Ventile. Ich habe tatsächlich immer noch das Baby-Ventil, das mir kurz nach der Geburt implantiert wurde. Wenn ich liege, fördert das Ventil, aber im Stehen fördert es wegen der Schwerkraft noch mehr. Es gibt mittlerweile etwas größere Ventile, die man von außen per Magnetismus einstellen kann. So kann man die Fördermenge des Liquors über den Tag genau einstellen. Allerdings kann man das bei meinem Ventil nicht, weil ich ein älteres Modell habe.
Wie leben Sie mit dem Modell?

Als ich 18 geworden bin, habe ich mich beim Neurochirurgen vorgestellt und ihn auf ein neues Modell angesprochen. Er sagte mir, solange das Ventil fördert und ich keine Einschränkungen wie etwa Bauchschmerzen habe, will er daran nichts verändern. Das habe ich eingesehen, denn ein Eingriff im Kopf ist immer etwas tricky.
Sind Sie im Alltag und Beruf durch die Ableitung in irgendeiner Hinsicht eingeschränkt?
Manchmal ja, doch das kommt vermutlich daher, dass ich Migräne-Patient bin. Wenn ich zum Beispiel viel gegessen habe, meine ich den Katheter, der im Bauchraum liegt, zu spüren. Sonst habe ich keinerlei Einschränkungen. Ich kann wirklich unbeschwert damit leben – das ist genial!
Haben Sie Kontakt zu anderen Betroffenen?
Nein, das habe ich überhaupt nicht. Um ehrlich zu sein, habe ich auch noch nie daran gedacht.
Was sollte sich im Umgang mit den Menschen, die wie Sie Hydrocephalus-erfahren sind, ändern?
Ich denke es sollte mehr auf das Thema aufmerksam gemacht werden. Das ist eine Erkrankung, die man nicht sieht. Man sieht nur, wenn der Mensch eine Einschränkung beim Sprechen oder in der Beweglichkeit hat. Im Falle der Hydrocephali sieht man nicht die Einschränkung, weil in aller Regel die Shunt-Systeme gut funktionieren. Ich finde, man sollte nicht vergessen, dass es einen Hydrocephalus bei der Geburt gibt. Auch wenn mittlerweile das Krankheitsbild gut therapiert werden kann, sollte in der Pränatal-Diagnostik auf diese mögliche Schwangerschaftskomplikation hingewiesen werden.