Benjamin Appl gilt als einer der großen Künstler in seinem Metier. Mit dem Programm „Heimat“ gastiert der Bariton am 22. Mai mit Pianist Simon Lepper im Schloss Münchweiler.
Auch wenn man ihn fürs Interview zu Hause erwischt, er eigentlich gerade eine Arbeitspause einlegt – die Musik lässt ihn dennoch einfach nicht los. „Man muss Konzertprogramme zusammenstellen, die Noten zusammenstellen, Flüge buchen, Hotels ansehen“, sagt Benjamin Appl. Der Bariton aus Regensburg konzertiert am Donnerstag, 22. Mai, 19 Uhr, im Festsaal des Schloss Münchweiler. In seiner Wahlheimat London erläutert er im Gespräch per Zoom, dass er auch abseits von Musik Termine hat.
„Man knüpft wieder Kontakte zu alten Freunden“, sagt er. Denn es sei schon eine Herausforderung, Freundschaften zu pflegen. Zwei-, dreimal könne man noch sagen, man sei unterwegs, „aber beim vierten Mal suchen sie sich dann neue Freunde“, so der 43-Jährige, der auch die britische Staatsbürgerschaft besitzt. Er sei im Schnitt etwa drei Wochen im Jahr zu Hause. Da denke man schon darüber nach, wo genau das ist. Die Freiheit zu haben und viel zu reisen, das sei schon schön, „macht es aber manchmal nicht einfacher“, so Benjamin Appl.
Und schon sind wir mitten im Programm seines Auftritts während der Musikfestspiele Saar. Gemeinsam mit Simon Lepper am Klavier präsentiert er „Heimat“. Die beiden begeben sich dabei auf die Suche nach Heimat, der Bedeutung von Heimat in unterschiedlichen Epochen und an unterschiedlichen Orten. Gibt es heute überhaupt noch so etwas wie Heimat? Und was bedeutet Heimat für jeden von uns?
„Gerade bei Liederabenden ist der direkte Kontakt zum Publikum wichtig“
Der Künstler sagt: „Für mich beinhaltet Heimat drei Komponenten. Zum einen sind das die Orte, die einem wichtig sind. Dazu zählt der Geburtsort, wo die Familie lebt, wo man sich niederlässt. Dann sind es die Menschen, die einem wichtig sind, Familie, die Menschen, die man liebt, Freundschaften, die man schließt. Die dritte Komponente sind die Erfahrungen, die man mit Menschen an gewissen Orten macht.“
Appl lebte bereits selbst an zahlreichen Orten: Seine musikalische Reise begann er – natürlich – bei den Domspatzen in seiner Geburtsstadt, später studierte er an der Hochschule für Musik und Theater München und an der Guildhall School of Music & Drama in London. An Festivals hat er bereits so ziemlich alle namhaften beehrt: das Ravinia in Illinois, das Rheingau, SHMF, Mecklenburg-Vorpommern, Bregenz, die Schubertiade in Schwarzenberg und viele mehr. Er konzertierte in den großen Häusern – Concertgebouw Amsterdam, Konzerthaus Wien, Elbphilharmonie, Carnegie Hall sind nur einige davon.
Ist der Wechsel zu einem kleinen Veranstaltungsort wie Schloss Münchweiler in Wadern dann nicht schwer? „Ich muss gestehen, ich mag sehr gerne die kleinen Veranstaltungen. Gerade bei Liederabenden ist die Intimität sehr wichtig, der direkte Kontakt mit dem Publikum. Eine aktive Teilnahme verändert immer meine Interpretation. Es ist außerdem meist ein sehr offenes Publikum, das unvoreingenommen in Konzerte geht. Und ich habe den Eindruck, dass sich die Menschen und die Veranstalter freuen, wenn man kommt. Diese Komponenten sind wichtiger als Größe.“
Der Auftritt in Schloss Münchweiler ist nicht seine erster Besuch im Saarland. Als Knabe war er mit den Domspatzen in Saarlouis, wie er erzählt. Mit der Deutschen Radio Philharmonie Saarbrücken Kaiserslautern hatte er für ein Projekt in der Landeshauptstadt geprobt, mit dem sie dann in Baden-Baden aufgetreten sind. „Ich hatte damals schöne Spaziergänge gemacht. Ich freue mich sehr, diese schöne Gegend von Deutschland zu erkunden und hoffe, dass ich diesmal etwas mehr Zeit dafür habe.“
Orte und Umgebungen inspirieren ihn, auch für die Konzerte, die er gibt; Spaziergänge, die Menschen, aber auch Museen oder andere Kunstformen. Malerei mag er grundsätzlich, er ist „großer Fan von Skulpturen, mag gerne Architektur, bin interessiert an anderen Arten von Musik. Neugierig zu sein, ist eine ganz großartige Eigenschaft, die mir meine Eltern beigebracht haben“, so der Bariton. Auf seiner To-do-Liste steht es immer noch, Gesangsstunden für Popmusik zu nehmen, um seine Stimme zu trainieren und zu lernen, wie man sich vielfältig durch sie ausdrücken kann. An Pop mag er Whitney Houston, Celine Dion, Adele oder „Jacob Collier, den ich sehr spannend finde“.
Ihn selbst stört es nicht, dass seine meistgestreamte Interpretation bei Spotify „Holder Friede, heil’ger Glaube“ „nur“ rund 125.000 Streams hat. „Ich habe mir mit dem deutschen Kunstlied eine Kunstform ausgewählt, die immer intim bleiben wird und keine großen Massen anzieht. In unserer Zeit sind wir, glaube ich, eh in Gefahr, dass man sich immer über Größe und Anzahl definiert“, sagt der Opern-, Konzert- und Liedsänger, der als einer der wichtigsten Botschafter für das deutsche Kunstlied gilt. Das Kunstlied wird nur aufgrund von Musiknoten interpretiert und unterscheidet sich durch den Aufführungsrahmen des Liederabends von einer Opernarie.
Viele der Lieder, die Benjamin Appl singt, haben einen kirchlichen Hintergrund. Er erläutert: „Ich bin im katholischen Bayern aufgewachsen, was mich natürlich sehr geprägt hat. Daher ist das sicherlich auch ein Teil meiner Persönlichkeit. Wenn man viel geistliche Musik singt, denke ich, dass es als Ausführender wichtig ist, zumindest spirituell zu sein. Wir verkörpern häufig Propheten wie Elias oder Paulus und große Figuren mit wichtiger Botschaft. Ob man ganz konkret hinter dieser Botschaft oder diesem Glauben steht, ist eine andere Frage.“
Geistliche Musik klingt häufig schwermütig, doch der Abend im Rahmen der Musikfestspiele Saar soll nicht nur melancholisch sein. „Es ist ja das Schöne am deutschen Kunstlied, dass die Lieder relativ kurz sind. Jedes Stück hat eine andere emotionale Komponente.“ Diese Emotionalität werde im Ausland gar nicht unbedingt mit Deutschen in Verbindung gebracht, da würden Deutsche oft eher als „quadratisch und rational angesehen“. Der Liederabend werde Themen behandeln wie das Verliebtsein oder die Angst vor dem Tod – doch das Eröffnungsstück heißt „Seligkeit“. „Es ist überschrieben mit dem Wort „lustig‘“, sagt er schmunzelnd.
„Es wird auch englische Lieder geben, die meine neue Heimat symbolisieren“
Das Kunstlied sei einer der größten Exportschlager der vergangenen 200 Jahre aus unserer Heimat. „Es gibt in Japan Menschen, die die ganzen Texte auswendig lernen“, erzählt er. Im Zweiten Weltkrieg sei in England gelehrt worden, dass die Menschen, die die Bomben warfen, ganz anders seien als die, die diese wunderbaren Lieder komponiert hätten. Nach dem Krieg sei die Kunstform in New York oder London als Versöhnungselement genutzt worden.
Zurück zu „Heimat“. Für das etwa 80-minütige Programm des Liederabends habe er eben viel über den Begriff nachgedacht. Es beinhaltet Stücke, die er bereits als Kind gesungen hat. Manche Lieder seien für Klassik-Liebhaber direkt erkennbar. „Dann gibt es manche Schubert-Lieder, die über die Jahre meine Lieblingslieder geworden sind. Es gibt auch ein paar englische Lieder, die meine neue Heimat symbolisieren. Es ist eine Art autobiografische Erzählung mit verschiedenen Aspekten, die man mit Heimat in Verbindung setzt.“
Der umtriebige Künstler hat neue Projekte am Start. In Kürze erscheint sein Booklet über „den großen Sänger Dietrich Fischer-Dieskau“, sein Lehrer, der Ende Mai 100 Jahre würde. Dazu veröffentlicht Appl auch eine CD. Im August und September geht er mit Liederabenden und Meisterkursen auf ausgedehnte Tour durch Asien und Australien. Zum 80. Jahrestag der Befreiung des KZ Buchenwald wird er dort konzertieren. Das Konzerthaus Dortmund plant im Mai ein „Wandelkonzert“ mit Liedern an verschiedenen Orten der Stadt, wie der Synagoge aber auch im Konzertsaal unter dem Motto „um nach vorne zu schauen und friedlich miteinander zu leben“.