Wenn man sich Fotos bekannter Models, Schauspieler und Make-up-Artists anschaut, taucht immer wieder ein Name auf: Peter Müller. Der Fotograf aus Rödermark spricht darüber, was Paris so perfekt für Fashion-Fotografien macht und warum er am liebsten in Schwarz-Weiß fotografiert.
Herr Müller, wie sind Sie zur Fotografie gekommen, wie haben Sie das technische Know-how erlernt?
Mit sieben Jahren hat mir mein Vater mit einer Leica CL und Voigtlaender Vito B die Fotografie, Lichtmessung, manuelle Entfernung und so weiter beigebracht. Da wir auch eine Dunkelkammer in der Schule hatten, zeigte er mir alles, was zur Filmentwicklung und Bildervergrößerung nötig ist. Seitdem bin ich immer am Fotografieren gewesen. 2010 habe ich dann Greg Gorman kennengelernt, der mir die Arbeit mit natürlichem Licht und Dauerlicht noch einmal von Anfang an gezeigt hat und der mich seitdem bei der Fotografie und der Art, wie ich heute arbeite, als Mentor begleitet.
Sie fotografieren regelmäßig für bekannte Magazine, Marken, Models und Schauspieler. Wie gestaltete sich Ihr Weg dorthin?
Steinig, mit sehr vielen Absagen, Ablehnungen und Enttäuschungen. Ich war bis 2018 Partner in einer globalen Unternehmensberatung, bevor ich den Schritt in die Profi-Fotografie machte. Daher dachte ich, dass ich für das Geschäft und die Menschen dort bestens vorbereitet sei.
Das war Fehler eins: Ich war in dem Geschäft neu, hatte keinen Namen, ein paar gute Bilder, und die Welt hatte nicht auf mich gewartet.
Fehler zwei: Meine eigene Überschätzung, was der Markt will und was ich liefern muss. Da waren junge Fotografen, die meine Töchter oder Söhne hätten sein können, die modern, anders, frech und laut auftraten und die Sprache des Marktes kannten, auf allen Roten Teppichen waren und kein Event ausließen. Und dann ich mit meiner eher zeitlosen und dann auch noch Schwarz-Weiß-Fotografie.
Meine finanzielle Unabhängigkeit aus der Vergangenheit hat mir nach einem kurzen Schock und Zweifeln an meiner Qualifikation dann aber doch die Freiheit gegeben, meinen Stil so lange einfach weiter zu verfolgen, zu verfeinern und immer mal wieder was zu veröffentlichen beziehungsweise in den sozialen Medien Aufmerksamkeit zu bekommen, bis der Markt auf mich reagiert hat.
Ich habe am Anfang Strecken selbst produziert und sie eingereicht. Über Absagen habe ich Kontakte zu Magazinen, Stylisten und Brands bekommen. Diese habe ich stetig kontaktiert, Neues eingereicht und so weiter, bis ich die ersten Chancen bekam. Jetzt nach vier bis fünf Jahren stellt sich eine kontinuierliche Arbeit mit Magazinen und Brands ein.
Schauspieler und Models habe ich schon sehr früh einfach angeschrieben und ihnen Editorials vorgeschlagen, die ich komplett vorbereitet und mit ihnen abgestimmt habe. Zu Beginn waren das auch eher junge Schauspieler und Models, die auch erst am Anfang ihrer Karriere standen. So kam es schnell zu Win-win-Situationen, die bis heute anhalten. Es ist ein besonderes Erlebnis und auch spannend, mit Talenten wie zum Beispiel Anna Maria Mühe, Jeanne Goursaud, Sabin Tambrea, Caroline Hartig, Lea van Acken, Emily Kusche, Lukas Reiber, Ludwig Simon und noch vielen anderen zu arbeiten und die Schauspielkunst mit meinem Stil zu verbinden.
Welche Eigenschaften sind für Ihren Job unabdingbar?
Netzwerken, Netzwerken, Netzwerken ... und Offenheit für Menschen. Ich war 30 Jahre im Beruf ein Teamplayer und habe gelernt, dass das Team mehr schaffen kann als der Einzelne. Daher gehören Neid und Abschottung zu den Tabus, um Erfolg zu haben. Ich gebe regelmäßig Workshops – auch mit anderen Fotografen zusammen – und teile alles, was ich zur Fotografie weiß und kann.
Viele Ihrer Mode-Fotos mit aufwendigen Kleidern sind in Paris entstanden. Was macht Paris für Sie zur Stadt der Mode und
so perfekt für Fashion-Fotografien?
Paris ist für mich unter anderem auch deshalb sehr besonders, weil es in nur knapp drei Stunden von mir mit der Bahn erreicht werden kann. Nach drei Stunden ist man in einer anderen Welt, einer anderen Kultur und mehr. Paris ist im Krieg nicht zerstört worden, das heißt alles hier ist ursprünglich, echt, nicht nachgebaut. Das strahlt ein besonderes Flair aus, eine besondere Stimmung. Die Steine von Paris sind alle sehr hell und strahlen ein besonderes Licht aus. Rom zum Beispiel ist viel „wärmer“, was Gebäude und Straßen anbelangt, hier dominieren die roten Töne.
Paris ist neben Mailand die Hauptstadt der Mode. Hier sind unendlich viele Designer und Stylisten, die sich auch noch beweisen müssen, die auch an Teamwork interessiert sind und die offen und dankbar für eine Chance sind. So haben sich mit jedem Besuch immer wieder neue Türen geöffnet, Freundschaften sind entstanden, Jobs haben sich ergeben.
Ich arbeite momentan mit einem Fashion-Produzenten, der mehrere Designer vertritt, ihre Shows produziert und ihre medialen Auftritte und das Marketing macht. Er mag meinen Stil und so ist eine Symbiose aus tollen Designs von seinen Künstlern und meiner Art, sie in Paris zu fotografieren, entstanden. Die besondere Herausforderung für mich hat er nach den ersten Veröffentlichungen so zusammengefasst: „Ich möchte, dass du unsere Mode so in Paris fotografierst, dass der Pariser weiß, wo das Bild entstanden ist, ein Tourist aber nicht mal, wo das in Paris gewesen sein könnte.“
Hat sich der Blick auf Mode in der Fashion- und Werbefotografie in den letzten Jahren verändert?
Durch Künstliche Intelligenz wird sich die Mode- und Werbefotografie noch einmal signifikant verändern. Das klassische Katalog-Bild (Mode vor weißem/farbigem Hintergrund) wird wohl recht bald nur noch am Computer entstehen. Es ist nur noch ein weiterer Schritt, das am Computer entworfene Kleid dann auch noch mit dem KI-erzeugten Model gleich komplett zu erstellen. Das gebietet das Einsparpotenzial in Zeiten, in denen es T-Shirts für 3,99 Euro gibt. Das klassische Look-Book, das die Mode, das Produkt in seiner Umgebung, mit Menschen, Gruppen, in Straßen und so weiter zeigt, wird für hochwertige Brands immer mehr zum USP (Unique Selling Point, auf Deutsch etwa „Alleinstellungsmerkmal“; Anm. d. Red.): Differenzierung durch eine besondere und emotionale Bildsprache. Ich bin der Meinung, dass wir uns damit wieder in die Zeit der 80er/90er-Jahre zurückbewegen werden, in denen etwa 50 bis 100 Fotografen weltweit die Bildsprache bestimmten. Heute sind es Lachlan Bailey, Alessio Albi, Mert Alas und Marcus Piggott und viele weitere „junge“ Talente, die das in Zukunft unter sich ausmachen werden.
Sie sind auch bekannt für Ihre Schwarz-Weiß-Fotografien. Was macht für Sie den speziellen Reiz der S/W-Fotografie aus?
Peter Lindbergh hat einmal gesagt: „Ich habe das Gefühl, Schwarz-Weiß, das geht durch die Haut und die Farbe geht da nicht durch.“ Dem kann ich mich nur anschließen. Schwarz-Weiß lenkt nicht ab, man kann den Blick des Betrachters einfacher auf das Ziel lenken, wohin er schauen soll. Porträts in Schwarz-Weiß wirken natürlicher und authentischer.
Vielleicht liegt es aber auch daran, dass ich die ersten 30 Jahre meines Lebens hauptsächlich S/W fotografiert habe und es selbst entwickelt habe. Nur auf Reisen hatte ich Farb-Diafilme dabei. Ich fotografiere auch heute immer in Monochrom, das heißt meine Bilder in der Kamera sind immer schwarz-weiße JPEGs und zusätzlich habe ich immer das RAW (Rohdatenformat, Anm. d. Red.), damit ich Farbe machen kann, wenn ich muss. Selbst Produktionen, die in Farbe abgeliefert werden, fotografiere ich in Monochrom, hier kann ich am besten Licht und Schatten beurteilen.
Zu guter Letzt ist da aber auch meine „Unfähigkeit“, Photoshop und Farbe am Computer zu bearbeiten. Ich kann kein Photoshop und habe auch keinen Ehrgeiz, es zu lernen. Daher bin ich oft mit Farbabweichungen überfordert. Monochrom ist da viel einfacher und schneller.
Wirken Motive und Geschehnisse in Schwarz-Weiß anders als in Farbe? Inwiefern?
In meinen Augen eignet sich S/W bis heute als bestes Medium der Reportage-Fotografie. Pressebilder sind seit über 100 Jahren fast immer in Schwarz-Weiß. Wir assoziieren mit solchen Bildern oft eine Momentaufnahme, eine Tatsache und so weiter. Weil wir so über Jahrzehnte sozialisiert wurden.
Schwarz-Weiß erlaubt uns auch, das schlimmste Grauen anzuschauen, da es uns eine gewisse Distanz ermöglicht. Zum Beispiel schockt uns rotes Blut in einem Farbbild mehr als das gleiche Blut als schwarze Lache in einem S/W-Bild. Fast alle Kriegsfotografen arbeiten heute immer noch in S/W. Salgados Meisterwerke „Genesis“ und „Workers“ zeigen uns die Welt in all ihrer Schönheit und Grausamkeit in Schwarz-Weiß.
Peter Lindbergh hat bis zu seinem Tod Mode, Menschen und auch Werbung in Schwarz-Weiß präsentiert, und in einer „farbigen“ Welt wecken diese Bilder dann noch mehr unser Interesse, weil sie eben anders sind.
Zu welchen Motiven passt Schwarz-Weiß besonders gut und wann entscheiden Sie sich lieber für Farbfotos? Von welchen Faktoren ist das abhängig?
Generell fotografiere ich Menschen, aber auch Landschaften am liebsten in Schwarz-Weiß. Das Arbeiten in der Sonne eignet sich in meinen Augen besonders für Schwarz-Weiß, da es besonders harte Schatten und Licht-Situationen gibt, die dem Bild eine besondere Dramatik verleihen. Farbe ist für mich oft eine Pflicht, da die Kunden, die Designer ihre Mode gern in Farbe sehen. In farbenfrohen Ländern wie Cuba oder Marokko fotografiere ich auch gern in Farbe, da hier das Zusammenspiel von Licht, Umgebung und Menschen oft mehr harmoniert.
Wie muss ein Bild sein, damit Sie zufrieden sind?
Es muss der Person, die darauf abgebildet ist, gefallen. Es muss Menschen, die die Person zum Beispiel nicht kennen, dennoch berühren und irgendwie dazu verleiten, innezuhalten und sich das Bild länger anzuschauen. Oft höre ich von Models, dass ihre Mütter zum Feedback geben, dass ihnen ihre Kinder auf meinen Bildern am besten gefallen. Das ist fast das schönste Lob, da Mütter doch sehr oft strenger auf die Bilder ihrer Kinder schauen.
Es gibt eine besondere Geschichte eines holländischen Models, das seit über zehn Jahren erfolgreich vom Modeln leben kann. Wir haben in Domburg am Strand gearbeitet und als sie eins der dort entstandenen Bilder auf Instagram postete, hat sich wohl ihre Mutter gemeldet und das erste Mal seit zehn Jahren etwas zu einem Bild ihrer Tochter gesagt. Dass ich es geschafft habe, durch mein Bild Bewegung in diese Mutter-Tochter-Beziehung zu bringen, hat mich sehr berührt. Das war dann wohl ein gutes Bild.
Haben Sie ein Faible für spezielle Model-Typen oder Details?
Ich mag Charakterköpfe, Menschen mit „Besonderheiten“, die Stil haben, wissen, wie man sich kleidet, und so weiter. Bei Frauen liebe ich kurze Haare, ich habe Frauen ohne Haare fotografiert, Pixicuts und so weiter, also besondere Haarschnitte. Sie sind schon deshalb besonders, da doch die meisten weiblichen Models immer noch lange Haare haben. Ich finde, mit kurzen Haaren kann man mehr auf den Menschen fokussieren, Haare erlauben, sich auch ein wenig zu verstecken. Tattoos mag ich nicht so, besonders wenn sie dominant sind. Sie lenken meiner Meinung nach zu sehr von den Augen der Menschen ab. In meinen Porträts möchte ich manchmal der „Beobachter“ sein, dann ist Augenkontakt nicht wichtig. Aber wenn ich ein starkes Porträt mache, dann möchte ich den Blick auf mir und meiner Kamera, und dann sind Tattoos oft ablenkend, da man instinktiv zuerst versucht, zu entschlüsseln, was das für ein Tattoo ist.
Welche Shootings waren Ihre aufwendigsten und außergewöhnlichsten?
Ein Shoot in einem alten Filmset-Motel und Diner in der Nähe von L.A. Es hat fast vier Jahre gedauert, den Vermieter zu finden, mit ihm ein bezahlbares Arrangement zu finden und dann alles zu organisieren. Wir wollten eine 60er-Jahre-Story machen und haben dazu in L.A. Kostüme geliehen, mussten einen Wohntrailer mieten, da es dort keine sanitären Anlagen gab, brauchten Strom-Generatoren und ein Security-Team, mussten in Amerika eine Haftpflicht abschließen und vieles mehr.
Wir waren dann zwei Tage mit einem Team von acht Models und zwei Make-up-Artists vor Ort und haben von Sonnenaufgang bis -untergang gearbeitet.
Haben Sie Lieblingsfotos oder Bildserien von sich?
Ich mag meine Ballerina-Serie sehr, da sie das erste von nachfolgend vielen Projekten war, die auf meiner Bucketlist stehen. Ich habe im Kostümverleih alte Ballerina-Kostüme geliehen und in Hannover mit einem Model und drei ihrer Freundinnen, die gemeinsam Ballettunterricht nehmen, die ganzen Anzieh- und Aufwärm-Aktivitäten fotografiert. Und es war eine so schöne Dynamik in dem Ganzen, die ich mir zwar gewünscht, aber in dieser Form nie erwartet hätte.
Die zweite Geschichte war von Peter Lindberghs „Novel Romance“ inspiriert. Zwei Frauen treffen sich in Paris und man weiß nicht, ob sie ein Paar sind. Sie streunen durch die Stadt, verbringen Zeit miteinander, diskutieren und so weiter. Das habe ich in die 40er-Jahre transportiert, wieder Kostüme von Chanel und anderen Designern der Zeit geliehen und mit meinen beiden Lieblingsmodels in Paris an zwei Tagen, an denen es nur geregnet hat, bestmöglich umzusetzen versucht. Die Bilder gehören bis heute zu meinen Lieblingen.
Welches Licht benötigt man für makellose Fashion- und Werbeaufnahmen?
Da ich eigentlich am liebsten mit Tageslicht arbeite, bin ich nicht direkt ein unbefangener Kandidat für die Frage. Also, entweder die direkte Sonne, wenn das Model in dem Licht gut die Augen öffnen kann. Oder alternativ Blitze mit Para-Schirmen, die machen einfach das schönste Licht und erlauben, mit kleiner Blende – also viel Schärfe – zu arbeiten.
Viele Menschen möchten gerade im Sommer gern ansprechende Fotos von sich, zum Beispiel im Urlaub, sind aber nicht posingsicher. Welche Posen sehen immer gut aus?
Die natürlichen Posen, die bei der Bewegung entstehen. Ich lasse meine Models sich immer bewegen, weil sie nach kurzer Zeit in ihren eigenen Flow kommen und ich so die natürlichen Bewegungen und kein Gepose erhalte, das die Agenturen und Magazine immer wieder zeigen.
Haben Sie Tipps für tolle Locations im Sommer?
Ich persönlich fahre immer an die toskanische Küste in der Nähe von Elba. Wenige Touristen, tolle lange und leere Strände, tolle Landschaften und Dörfer.
Gibt es Wunschmodelle oder Schauspieler, die Sie gern einmal fotografieren möchten? Wie würden Sie diese in Szene setzen?
Meryl Streep oder Jodie Foster würde ich sehr gern mal fotografieren. Sie sind in Würde gealtert und in meinen Augen immer noch ganz wunderschöne Frauen. Ich würde ihnen weite Leinenhosen der 50er und weiße Leinenhemden anziehen und sie gegen meinen grauen Lieblingshintergrund in meinem Studio stellen. Das Ganze dann auch gern am Strand mit ähnlichen Hosen, Hosenträgern und geschlossenen Männerhemden.
Welche besonderen Shootings stehen diesen Sommer bei Ihnen an?
Seit fünf Jahren bin ich in der Krebs-Initiative „Yeswecan-cer“ engagiert und fotografiere Menschen mit Krebsnarben. Besonders Frauen leiden oft unter den Folgen der Therapie und fühlen sich nicht mehr schön. Ich möchte ihnen mit meinen Bildern von ihnen zeigen, wie schön sie sind und dass es keinen Grund gibt, sich schlecht zu fühlen.