Zum ersten Mal überhaupt gibt es eine offizielle Tierschutzbeauftragte in Deutschland. Im Interview spricht Ariane Kari über Stallhaltung, Wildtiere im Zirkus und ihre Sicht auf den Koalitionsvertrag.
Kritik an Massentierhaltung, Fleischbergen und zu laschen Gesetzen kam bislang vor allem von ehrenamtlich organisierten Verbänden. Nun hat die Bundesregierung erstmals eine offizielle Stelle geschaffen, die sich mit diesen Themen befasst. Die neue Bundestierschutzbeauftragte Ariane Kari muss mit wenig Personal auskommen und will deshalb klare Schwerpunkte setzen.
Frau Kari, was ist Ihr Lieblingstier?
Lassen Sie mich da als Bundestierschutzbeauftragte diplomatisch antworten: Ich habe ein großes Herz für alle Tiere.
Am 12. Juni haben Sie Ihr Amt angetreten. Welche Tiere haben Sie bisher schon geschützt?
Mir geht es nicht nur darum, einzelne Tiere zu schützen, sondern den Tierschutz in Deutschland insgesamt voranzubringen. Dafür habe ich in den ersten Wochen mein Team aufgestellt und über meine Arbeit in Interviews informiert. Das Interesse ist enorm, von der Lokalzeitung bis zum Fernsehsender. Was das Team angeht, bin ich sehr froh, drei weitere tolle und engagierte Mitstreiterinnen gefunden zu haben, die für den Tierschutz brennen.
Was können Sie denn mit so wenigen Leuten bewegen?
Die Erwartungshaltung ist sicherlich enorm. Als ich noch stellvertretende Tierschutzbeauftragte in Baden-Württemberg war, waren die vielen Wünsche, die an uns herangetragen wurden, schon nicht alle zu erledigen. Aber mit einer klaren Schwerpunktsetzung und großem Engagement lässt sich auch mit wenigen klugen Köpfen viel auf die Beine stellen.
Für eine Beschwerde über böse Nachbarn, die ihren Hund schlecht halten, haben Sie also keine Zeit?
Bei einer solchen Bürgeranfrage würden wir auf die zuständige Stelle verweisen, in diesem Fall an das Veterinäramt oder die Polizei. Mein Ziel ist es, Bürgerinnen und Bürger besser zu informieren. Wir sind gerade dabei, eine Homepage aufzubauen, die genau solche Fragen auf einen Klick beantwortet.
Und sonst?
Meine Aufgabe ist es unter anderem, die Vorhaben der Bundesregierung im Hinblick auf den Tierschutz zu überprüfen. Da werde ich mich einbringen. Zudem berate und unterstütze ich den für Tierschutz zuständigen Minister. Außerdem arbeite ich mit den neun Landestierschutzbeauftragten zusammen – es gibt sie leider noch nicht in allen Bundesländern. Ich sehe mich in einer Vermittlerrolle zwischen zahlreichen Verbänden, Tierschutzorganisationen, der Landwirtschaft und den Behörden. Da mein Team und ich nicht in die klassische Ministeriumsstruktur eingegliedert sind, bin ich unabhängig und kann Missstände kritisieren – auch bei der Regierung.
Was ist Ihr Herzensprojekt, das Sie unbedingt umsetzen wollen?
Mir ist die Schnittstelle zwischen Tiermedizin und Jura wichtig. Ob Heimtiere, Versuchstiere, Nutztiere oder Wildtiere: Wir haben ein großes Vollzugsdefizit im Strafrechtsbereich. Das liegt auch daran, dass beide Berufsgruppen die jeweils andere Sichtweise nicht kennen. Staatsanwälte sagen oft: „Das Gutachten ist so schlecht, dass man den Missstand gar nicht herauslesen kann.“ Aber welcher Tierarzt ruft schon bei der Staatsanwaltschaft an, um juristische Details zu diskutieren? Umgekehrt lernen Juristen bisher nichts über das Tierschutzrecht. Um das zu ändern, möchte ich eine bundesweite Jahrestagung ins Leben rufen und beide Berufsgruppen an einen Tisch bringen. Aktuell werden immer noch viel zu viele Gerichtsverfahren unnötig eingestellt.
Können Sie ein Beispiel nennen?
Ja, zum Beispiel bei Tierschutzstraftaten auf Schlachthöfen. Nach dem Tierschutzgesetz wird bestraft, wer Wirbeltieren erhebliche Schmerzen oder Leiden zufügt oder sie ohne vernünftigen Grund tötet. Eine Wirbeltiertötung ist nur dann straffrei, wenn für einen nachvollziehbaren, billigenswerten Zweck auch das rechte Mittel eingesetzt wurde. Wird also bei einer Schlachtung vorsätzlich gegen Rechtsvorgaben verstoßen, ist die Handlung strafbar. Das wird regelmäßig bei Missständen auf Schlachthöfen verkannt. In diesen Strafverfahren geht es meist nur darum, ob den Tieren erhebliche Schmerzen zugefügt wurden. Das ist aber bei der Auswertung von Bildmaterial nicht immer feststellbar. Das Zufügen von Beeinträchtigungen kann also nicht sicher festgestellt werden und die Verfahren werden eingestellt. Wenn aber Kenntnisse darüber vorliegen, dass unsachgemäße Betäubungsverfahren eingesetzt wurden, sollte dies im Hinblick auf eine Wirbeltiertötung ohne vernünftigen Grund beachtet werden.
Welche weiteren Schwerpunkte wollen Sie in Ihrem Amt setzen?
Öffentlichkeits- und Aufklärungsarbeit! Ich bin überzeugt, dass Wissen Tiere schützt und umgekehrt Nichtwissen dazu führt, dass Tiere unnötig leiden. Anders kann ich es mir nicht erklären, warum jeden Sommer Hunde im Auto sterben, die Menschen dort zurückgelassen haben. Bisher ist es für Tierhalter unheimlich schwer, an seriöse Informationen über eine bedürfnisgerechte Tierhaltung zu kommen. Die 2015 vom Bundeslandwirtschaftsministerium beauftragte „Exopet“-Studie stellt dieses Defizit klar fest. Deshalb möchte ich einen Heimtierratgeber erstellen lassen. Außerdem werde ich für bessere Gesetze und Verordnungen eintreten. Ich möchte Tieren in der Bundespolitik eine Stimme geben.
Und was sagt diese Stimme aktuell?
Dass die Tierschutz-Nutztierhaltungsverordnung dringend überarbeitet werden muss. Man mag es kaum glauben, aber für die Haltung von Rindern gibt es aktuell keine rechtlichen Mindestanforderungen – nur Kälber bis zum Alter von sechs Monaten sind klar geregelt. Wie viel Platz ein Mastbulle braucht, steht nirgendwo. Auch für Puten gibt es keine Mindestanforderungen. Im Koalitionsvertrag steht, dass dieses Problem angegangen werden soll. Das Bundeslandwirtschaftsministerium arbeitet schon daran. Dabei werde ich mich einbringen.
Aber Sie können doch nur Empfehlungen aussprechen. Wie viel Macht haben Sie denn, Ihre Forderungen auch umzusetzen?
Diese Frage werde ich wohl erst in zwei Jahren beantworten können, wenn meine Amtszeit endet. Meine Stimme wird mit Sicherheit nicht immer deckungsgleich mit den Beschlüssen der Regierung oder des Parlamentes sein. Zum Beispiel im Stall: Aus tierschutzfachlicher Sicht ist es ganz klar, wie viel Platz die Tiere haben sollten. Aber da kommen natürlich auch die Interessen der Landwirte und wirtschaftliche Erwägungen ins Spiel, die der Gesetzgeber berücksichtigen muss. Meine Stelle ist dafür da, dass es den Tieren besser geht. Dafür setze ich mich ein.
Die CDU hat Ihr Amt bereits kritisiert und würde es am liebsten wieder abschaffen.
Darüber war ich selbst irritiert. In den Bundesländern, in denen die CDU mitregiert und in denen es schon Tierschutzbeauftragte gibt, wurden die Stellen jedenfalls nicht wieder abgeschafft – auch nicht in Baden-Württemberg, wo ich zuletzt tätig war. Immerhin ist Tierschutz seit über 20 Jahren im Grundgesetz verankert. Aber dafür, dass es Staatsziel ist, passiert immer noch viel zu wenig.
Weil die gesetzlichen Vorgaben fehlen, geht die Wirtschaft inzwischen selbst voran. Aldi zum Beispiel will nach und nach Fleisch aus Massentierhaltung aus seinen Kühlregalen verbannen. Reicht das?
Zunächst einmal ist es gut, dass die Tierhaltungskennzeichnung bei Schweinefleisch beschlossen wurde. Daran können Verbraucherinnen und Verbraucher erkennen, wie das Tier gehalten wurde. Das kann aber nur ein erster Schritt sein. Der Einzelhandel kann natürlich auch selbst viel tun. Wenn bestimmte Produkte nicht mehr im Regal liegen, treibt das über das Angebot automatisch den dringend notwendigen Paradigmenwechsel voran. Neben Fleischersatzprodukten, von denen es immer mehr gibt, ist dann nur noch Fleisch aus tiergerechterer Haltung erhältlich. Das würde einen großen Unterschied machen.
Was direkt neue Fragen aufwirft: Wer kann sich das leisten? Und wo soll der ganze Platz für Auslaufflächen herkommen, wenn die gesamte Fleischproduktion auf Bio umgestellt wird?
Es geht ja darum, dass Tiere besser gehalten werden, indem sie etwa mehr Platz bekommen. Das bedeutet ja aber nicht, dass die Tierzahlen genauso hoch bleiben müssen. Der Fleischverzehr geht seit Jahren zurück, und das ist auch vernünftig, denn letztlich ist es keinesfalls gesund, so viel Fleisch zu essen. Das ist übrigens auch aus Klimaschutz-Sicht sehr problematisch.
Und wie sieht’s mit der Haltung von Haustieren aus?
Den Heimtier-Ratgeber habe ich schon angesprochen. Dabei will ich darauf hinweisen, dass es bis heute keine konkreten und einheitlichen Mindestanforderungen für Heimtiere gibt – außer bei Hunden, da steht dann drin, wie groß ein Zwinger sein muss. Die Länder stützen sich bisher auf unterschiedliche Gutachten, die teilweise sehr veraltet sind. Nehmen Sie einen Graupapagei als Beispiel: Wenn Sie den halten wollen, soll der Käfig nach dem Gutachten des BMEL (Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft) zwei Quadratmeter groß sein. Andere Gutachten gehen von weit mehr Fläche und Freiflug aus. Länder wie Österreich oder die Schweiz haben längst eine Heimtierverordnung – warum nicht auch wir?!
Ist das schon eine Kritik an der Regierung?
Im Koalitionsvertrag stehen über 20 Punkte zum Tierschutz. Wenn die alle umgesetzt werden, wäre schon viel getan. Die Reduktionsstrategie zu Tierversuchen etwa finde ich gut. Aber zu Heimtieren hat die Koalition keine Pläne für konkrete rechtliche Mindestanforderungen vereinbart, auch nicht zur Einführung eines Verbandsklagerechts auf Bundesebene. Bisher kann meistens nur klagen, wer selbst betroffen ist. Weil Tiere aber eben nicht selbst vor Gericht ziehen können, muss es möglich sein, dass andere ihnen eine Stimme geben.
Seit Jahrzehnten kritisieren Tierrechtsorganisationen, dass Wildtiere im Zirkus vorgeführt werden. Wie stehen Sie dazu?
Ich bin fachlich komplett überzeugt, dass die Bedürfnisse von Wildtieren in einem fahrenden Betrieb nicht ausreichend berücksichtigt werden können. Schon mehrfach gab es dazu Gesetzesinitiativen, die aber zum Beispiel im Bundesrat gescheitert sind. Zum Glück steht im Koalitionsvertrag, dass Regelungen zu Wildtieren in Zirkusbetrieben getroffen werden sollen. In fast allen EU-Staaten gibt es das, bei uns aber nicht. Da werde ich die Koalition mit Nachdruck an ihre eigenen Vereinbarungen erinnern.
Essen Sie selbst eigentlich Tiere?
Ich versuche generell auf tierische Produkte zu verzichten, sei es bei Kleidung oder beim Essen. Eine vegetarische Ernährungsweise reicht in meinen Augen einfach nicht aus. Denn wenn man Eier essen möchte, muss man auch über das Suppenhuhn und den Bruderhahn sprechen. Wenn man Milch trinkt, muss man auch über Kälber sprechen. Aber ich bin da durchaus pragmatisch: Wenn es sein muss, esse ich auch mal ein Stück Käse, bevor ich verhungere.
Jetzt haben Sie die Frage aber elegant umschifft.
Was ich gesagt habe, trifft auch auf ein Stück Fleisch zu. Bevor ich verhungere, esse ich eins. Ich wüsste aber nicht, wann ich das zuletzt getan habe.