Der deutsche Schauspieler Oliver Masucci über seine Rolle in der TV-Serie „Eine Billion Dollar“, warum er Schauspieler werden wollte, ob er Politikern noch trauen kann und was ihm wichtiger ist – Ruhm oder Sex.
Herr Masucci, Sie sind mit dem Regisseur Florian Baxmeyer schon lange befreundet. War das der Grund, warum Sie bei der TV-Serie „Eine Billion Dollar“ mitgemacht haben, in der Sie einen skrupellosen Finanzhai spielen?
Das war sicherlich ein Grund. Ich habe mit Florian ja schon viele Filme gedreht. Und mit einem Regisseur, mit dem man gut zusammenarbeiten kann, sind die Dreharbeiten immer schön. Und dann wollte ich auch etwas für das junge Publikum machen. Das ist aufgegangen, meine Töchter sind begeistert. Und das will was heißen.
Florian Baxmeyer hat Sie als sehr fordernden Schauspieler beschrieben, der auch viele Ideen hat. Welche Ideen konnten Sie beim Drehen einbringen?
Ich spiele jemanden, der einen Fonds von 1.000 Milliarden Dollar verwaltet. Die meisten Leute stellen sich da einen Mann im blauen Anzug mit Krawatte und weißem Hemd vor. Ich habe dabei aber an die Cordhose von Bill Gates gedacht. Leute, die viel Geld haben, kleiden sich mitunter sehr nachlässig. Vor Kurzem habe ich einen Schlossbesitzer in Irland getroffen, mein Sohn geht nahe Dublin aufs Internat. Der Mann hatte Löcher in den Strümpfen und in seinem Ralph Lauren Pullover. Das hat mich dazu inspiriert, meinem Fonds-Manager dieses Outfit zu verpassen, das konträr zu den Erwartungen steht. Florian Baxmeyer schätzt meine Fantasie und ich schätze, dass er mich wirken lässt.
„Jedes Projekt ist auch ein Statement“, sagten Sie mal. Was sagt „Eine Billion Dollar“ denn über Sie persönlich aus?
Dass ich einen Heidenspaß hatte, die Serie zu drehen. Ich hoffe, der überträgt sich. Wir sehen ja alle, dass sich die Welt in einer schwierigen Lage befindet. In dieser Serie bekommt ein junger Mann 1.000 Milliarden Dollar geschenkt – mit der Auflage, damit die Welt zu retten und besser zu machen. Eine nicht ungefährliche Aufgabe, wie sich herausstellt. Ich will ihm dabei helfen. Ob das funktioniert, kann man sich auf Paramount+ ansehen. Aber jenseits davon: Wir müssen eine neue Energiequelle finden und weniger Müll verursachen, um nur zwei Dinge aufzugreifen. Die Antworten auf die wirklich großen Fragen stehen noch aus. Wir denken doch alle viel zu kurzfristig. Ich habe vor Kurzem eine andere Rolle gespielt, den Deutsche-Bank-Manager Alfred Herrhausen, der zu seiner Zeit ein humanistischer Vordenker war, bevor er ermordet wurde. Er setzte sich zum Beispiel für den Schuldenerlass der Dritten Welt ein und entgegnete den Wachstumsskeptikern, dass wir erst mal zwei Drittel der Weltbevölkerung auf ein Mindestniveau heben müssen, um überhaupt Handel treiben zu können. Er war ein Mann, der durchaus auch die Probleme der Zukunft gesehen hat. Und jemand, der über seinen eigenen Tod hinauszudenken vermochte. Er sagte einmal: „Wir müssen vor allem analysieren und dann daraus die richtigen Schlüsse ziehen. Und dann müssen wir sagen, was wir denken und tun, was wir sagen und sein, was wir tun“.
Sie sind einer der wenigen deutschsprachigen Schauspieler mit internationalem Renommee. Sie spielen auch in Roman Polanskis neuem Film „The Palace“ mit. Wie haben Sie diese Rolle ergattert?
Ich habe in meinem Buch „Der Träumertänzer“, das gerade erschienen ist, ein ganzes Kapitel über Polanski geschrieben. Ich bin mit seinen Filmen aufgewachsen, also wollte ich unbedingt mit diesem großen Filmemacher arbeiten. Ein befreundeter Produzent hat dann Kontakt mit ihm aufgenommen. Er war 88 Jahre alt, als ich ihn kennengelernt habe. Wir sind zusammen Ski gefahren – er ist topfit –, in Gstaad, wo er wohnt. Und er hat mir tatsächlich eine Rolle angeboten. Aber die wollte ich gar nicht. Stattdessen habe ich ihm die Rolle vorgespielt, die ich haben wollte – die Hauptrolle als Manager des „Palace Hotels“, das es in Gstaad ja tatsächlich gibt. Das ist die Figur, die alle anderen Figuren miteinander verbindet, die also auch mit allen anderen Szenen hat: mit Fanny Ardant, John Cleese und Mickey Rourke. Als Hotelchef konnte ich tatsächlich mit ihnen allen spielen! (lacht)
Sie sind in der Gastronomie aufgewachsen. Ihr Vater hatte italienische Restaurants in Bonn, die sie eigentlich einmal übernehmen sollten. Das wollten sie aber nicht. Was hat Sie denn angetrieben, Schauspieler zu werden?
Ich wollte gesehen werden! In der frühen Kindheit bin ich wahnsinnig gehänselt worden. Andere Kinder haben mich als „Spaghettifresser“ beschimpft, als „Itaker“. Aber meine Eltern hatten es schwerer. Wir sprechen von den späten 60er- und 70er-Jahren … Als meine Mutter 19 war und schwanger mit mir, von einem Italiener, da hat meine Oma sie kurzerhand aus der Wohnung geschmissen. Meine Großeltern waren eben klassische deutsche Ex-Nazis und mein Opa ist ausgerechnet in italienischer Kriegsgefangenschaft gewesen. Meine Oma hat ihr ganzes Leben lang gegen meinen Vater opponiert. Wir mussten den Rassismus also schon in der eigenen Familie überwinden. Mein Vater kam als Gastarbeiter nach Deutschland und wollte etwas erreichen. Er hat Restaurants aufgebaut, meine Eltern haben beide geschuftet und standen von morgens bis abends im Restaurant. Mein Bruder und ich haben täglich mitgearbeitet. Ich wollte mehr als das. Ich wollte schon sehr früh Künstler werden. Aber um mich herum hat niemand diese Sehnsucht verstanden.
Sie haben es trotzdem geschafft, auf die Schauspielschule zu gehen.
Ja, und wie ich das geschafft habe, steht auch in „Träumertänzer“. Ich hatte da schon 15 Jahre Gastronomie hinter mir. Noch mal: Ich wollte gesehen werden – mit meiner Fantasie. Doch meine Familie hat das nicht kapiert. Meine Oma sagte immer abschätzig: „Der wird gar nix, höchstens Müllmännchen“. Und mein Vater fragte: „Warum biste du so eine Träumertänzer?“ Ich habe das dann positiv umgedeutet und dachte, ja, ich will meine Träume wahr machen. Das hat zum Glück auch geklappt. Über das Theaterspielen habe ich zum ersten Mal überhaupt die Möglichkeit bekommen, mich mit der deutschen Sprache richtig auseinanderzusetzen. Als Ausländerkind dachte ich, dass ich gar nicht richtig Deutsch kann; ich habe mich selbst ausgegrenzt und nicht richtig mitgelernt. Nur durch das Theaterspielen habe ich die freie Rede, die Sprache und die Weltliteratur erlernen und erleben können. Die Sprache ist das Allerwichtigste. Ich wurde endlich gesehen! Und sogar beklatscht. (lacht) Offenbar hatte mich ein Defizit angetrieben, um auf der Bühne zu stehen und mich anstarren zu lassen. Erst, wenn man dieses Defizit in sich begreift, wird es künstlerisch. Dann kann man damit arbeiten.
Sie verbringen beruflich viel Zeit in Hotels. Wo ist Ihr Lebensmittelpunkt? Dort, wo Sie Ihren Wein anbauen oder Ihre Olivenbäume stehen?
Ich lebe eigentlich in der Schweiz. Oder auf Mallorca. Also Berge oder Meer. Das sind meine beiden Lebensmittelpunkte, wenn man das überhaupt so nennen kann. Ich war letztes Jahr fast elf Monate unterwegs … also ist mein Mittelpunkt noch am ehesten da, wo ich gerade koche. Zum Beispiel in meinem Hotelzimmer. Ich reise mit einem Multi-Kocher mit Edelstahl-Einsatz, damit nichts anbrennt. Und am liebsten koche ich italienisch. Während der Pandemie war ich zu den Dreharbeiten für „Phantastische Tierwesen: Dumbledores Geheimnisse“ in London und der fast einzige Gast im „Grove“, einem sehr schönen ländlichen Golf-Hotel. Die Speisekarte war auf zwölf Gerichte reduziert. Die hatte ich in einer Woche durch … und habe dann im Hotelzimmer nebenan gekocht, das sie mir extra zur Verfügung gestellt haben. Das gab mir das Gefühl von Heimat.
Inwiefern haben Ruhm und Erfolg Sie charakterlich verändert?
Da müssten Sie diejenigen fragen, die mich schon lange kennen. Wenn wir über uns selbst reden, lügen wir doch eigentlich immer … Und sehen uns, wie wir uns selbst gern sehen würden. Und nicht, wie die anderen uns sehen. Dabei sind wir doch das Konglomerat aus allem.
Selbstwahrnehmung ist nicht das Gleiche wie Fremdwahrnehmung.
Dazu kann ich Ihnen etwas erzählen: Am ersten Tag auf der Schauspielschule haben wir etwas gemacht, das Feldenkrais-Therapie heißt. Da mussten wir alle durchs Zimmer gehen und uns gegenseitig grüßen. Wir hatten keine Ahnung, worauf das hinausläuft. Und dann sagte die Feldenkrais-Lehrerin: „Setzt euch mal alle hin – nur der Oliver läuft jetzt allein durch den Raum.“ Danach sollte ich mich hinsetzen und die anderen sollten so laufen, wie ich gelaufen war. Da laufen also neun Leute wie ich, und ich denke: Das kann nicht wahr sein – das bin doch nicht ich! Aber neun Leute können ja nicht lügen. Keiner von uns sah seine Körperlichkeit so, wie die anderen sie sahen. Das Gleiche traf früher auf die Stimme zu, wenn man sich das erste Mal sprechen hörte. Mittlerweile obsolet durch die eitle Selbstreflektion auf Social Media. Man hört sich selbst zu gerne und nimmt sich viel zu wichtig. (lacht) Wissen Sie, wie nachhaltig das ist? Was davon bleiben wird in 100 Jahren? Nichts!
Bitte priorisieren Sie folgende Begriffe nach Wichtigkeit: Ruhm – Sex – Geld – Freundschaft – Essen.
Freundschaft – Sex – Essen (Essen nach dem Sex, das ist besser) – Geld und erst dann der Ruhm. Denn man kann auch glücklich sein mit Freunden, Sex, italienischer Küche und viel Geld, ohne dass man berühmt ist, glaub’ ich (lacht).
Ein ganz anderes Thema: Trauen Sie unseren Politikern eigentlich noch zu, die Probleme der Welt zu lösen?
Der schmale Grat, auf dem wir leben, wird mit der Zeit immer schmaler. Vielleicht leben auch mittlerweile zu viele Menschen auf diesem schmalen Grat. Und wir sind eine sehr invasive Spezies. Da gibt es viel Verdrängung und dadurch Kriege um knappe Rohstoffe. Ich will an dieser Stelle einmal etwas Positives über unsere Regierung sagen, weil man sonst eigentlich viel Schlechtes sagen kann: Da versuchen drei sehr unterschiedliche Parteien miteinander klarzukommen. Und ich bin sehr froh, dass sie sich einheitlich zu Israel bekannt haben. Ich schäme mich, dass auf deutschen Straßen „Scheiß Juden!“ gerufen wird. Das finde ich grausam. Ich bin auch dagegen, jetzt Dinge zu relativieren. Israel ist von der Terror-Organisation Hamas angegriffen worden – und das hat nicht nur Opfer und unvorstellbares Leid in Israel hervorgerufen, sondern auch den Krieg, den die Hamas will, denn sie braucht ja palästinensische Opfer für ihre perfide Propaganda. Natürlich muss man zwischen Hamas und Palästinensern unterscheiden. Nur leider sehe ich bislang in Deutschland keine Palästinenser, die gegen die Hamas protestieren, gegen die Unterdrücker. Ich sehe Palästinenser, und Aktivisten, Linke und nützliche Idioten, die gegen den jüdischen Staat demonstrieren – die einzige Demokratie in der Region – und zweifeln, dass Israel überhaupt eine Existenzberechtigung hat. Die Hamas ruft weltweit zur Gewalt gegen Juden auf. Es ist eine Schande, dass bei uns in Deutschland wieder Davidsterne an Türen geschmiert werden, dass Juden beschimpft und bedroht werden, dass sie Angst haben, Fußball zu spielen … Alle Menschen, die in Deutschland leben, müssen mit dem Erbe dieses Landes umgehen und das heißt, Verantwortung zu übernehmen und mit Zivilcourage Diskriminierung und Antisemitismus zu bekämpfen. Wir kämpfen dabei übrigens nicht nur für unsere jüdischen Freunde hier, sondern auch für uns selbst: für unseren freiheitlichen und liberalen Lebensstil, den es in Gaza eben nicht gibt und den die Hamas überall vernichten will.
Es wäre gut, wenn den starken Worten der Politiker – Stichwort „klare Kante“ – endlich auch Taten folgen würden.
Da stimme ich Ihnen zu. Wir dürfen aber nicht aufgeben, es immer wieder zu versuchen. In Schulen aufzuklären, in Medien die echten Hintergründe zu schildern. Da brodelt etwas und da muss man schon genau hinschauen. Antisemitische Straftaten zum Beispiel wurden bislang oft wegen Geringfügigkeit eingestellt. Das soll geändert werden, und wir müssen sicherstellen, dass das auch wirklich geschieht. Ich hoffe, dass es genug Politiker gibt, die nicht nur schöne Reden halten, sondern die über den Tag hinaus denken und dafür Verantwortung tragen. Zum Beispiel dafür, dass Deutschland es trotz seines föderalen Systems schafft, die Kinder in diesem Land wieder anständig historisch, sprachlich und humanistisch zu bilden. Ich habe in der SZ ein Interview mit Adam Tooze, einem Wirtschaftshistoriker gelesen. Der sagt, „Migration muss als Investitionsproblem verstanden werden. Wenn die Schulen nicht darauf vorbereitet sind, Kinder mit Migrationshintergrund zu betreuen, muss man sich nicht wundern, dass es zu Protesten kommt. Es wirft nichts höhere Renditen ab, als die Investition in frühkindliche Erziehung.“ Da sollten wir mal ein paar Hundert Milliarden investieren. Den Rest in Forschung und die Umsetzung der Erkenntnisse, um auf „Eine Billion Dollar“ zurückzukommen.