Das Beratungsangebot ist vielfältig, die Kapazitäten sind am Limit und die Aufgaben werden nicht weniger. Trotzdem ist es ein „dynamisches und schönes Arbeitsumfeld“, sagt Stefan Schuhmacher, Leiter des Migrationsdienstes der Caritas für Saarbrücken und Umgebung.
Herr Schuhmacher, wie wirkt sich die aktuelle Entwicklung auf die Arbeit des Migrationsdienstes aus?
Bei der Frage denkt man zunächst einmal an die Probleme, daran, wo es im System hakt, wie es mit den Klientinnen und Klienten aussieht. Ich glaube, dass es falsch wäre, das alles nur als Negativfaktor zu sehen. Ich würde das Thema Migration vom Arbeitsalltag meiner Kolleginnen und Kollegen betrachten, denn ich glaube, dass es ein unheimlich schönes Arbeitsumfeld ist. Natürlich haben wir auch Probleme. Die Schwierigkeiten bestehen bei der Erreichbarkeit von Ämtern und natürlich auch bei der Frage der Unterbringung. Wohnraum ist knapp, es werden Container in Ensdorf aufgestellt, es sollen noch Dependancen (Außenstellen der Landesaufnahmestelle, Anm. d. Red.) entstehen. Also große Herausforderungen. Die Menschen kommen mit multiplen Problemstellungen zu uns: Bei Erstunterbringungen die Frage, wo bekomme ich Möbel und eine Erstausstattung her, über Antragstellung bei Ämtern, Jobcenter und Arbeitsagentur, es geht um Verfahrensberatung, also die Frage, welchen Status die Menschen haben, die zu uns kommen. Das sind alles Fragen, die bei uns aufschlagen. Es ist ein sehr dynamisches und ein schönes Arbeitsumfeld, weil man am Ende des Tages auch unheimlich viel für die Menschen erreichen kann.
Wie mühsam ist das im Alltagsgeschäft?
Mit der Frage der Unterbringung haben die Wohlfahrtsverbände nichts zu tun, das ist Aufgabe der Städte und Gemeinden, die meines Erachtens sehr gute Arbeit leisten. Aber es ist einfach momentan nicht genügend Wohnraum da. Für uns ist die größte Problemlage die Erreichbarkeit von Behörden und Ämtern. Es ist oft schwierig, den zuständigen Sachbearbeiter ans Telefon zu bekommen, die Ausländerbehörde hat Personalprobleme, das ist kein Geheimnis und ist nicht erst seit gestern so. Das macht es für unsere Klienten schwierig, für uns auch. An einem Aufenthaltstitel hängt für unsere Klienten unheimlich viel dran, da geht es um den Arbeitsplatz oder Beantragung von Leistungen. Es gibt auch strukturelle Probleme, die ich im Bereich der Migrationsdienste insgesamt unabhängig vom Träger sehe. Deutschland hat es immer noch nicht verstanden, dass wir ein Einwanderungsland sind und uns Migration dauerhaft begleiten wird. Sobald wir größere Flüchtlingswellen haben, wie etwa 2015 aus Syrien und Afghanistan, dann bekommen wir zusätzliche Mittel, Stellen werden hochgefahren. Bei einem Rückgang der Zahlen werden Stellen wieder gestrichen. Ich würde mir vonseiten der Politik Kontinuität wünschen. Nur dann können wir qualitativ hochwertige Arbeit leisten.
Die Entwicklung ist ziemlich dynamisch. Wie können sich ihre Angebote darauf einstellen?
Es gibt beim Caritasverband den Jugendmigrationsdienst, da ist ein Teil Lernförderung mit dabei. Dann haben wir Projekte für Erwachsene, für Berufsförderung und für Verfahrensfragen. Das macht es im Alltag nicht immer ganz einfach. Wenn Fragestellungen oder Klienten aufgrund von Altersgrenzen oder Beratungsspezifika nicht dem entsprechenden Projekt zugeordnet werden können, ist es schwierig, diese Menschen durch die projektbezogene Arbeit adäquat zu beraten. Das ist eine der Schwierigkeiten, die sich durch die Finanzierung von außen ergeben, dass wir sehr unflexibel sind und kaum die Möglichkeit haben, unseren Dienst selbst aufzustellen. Eigentlich müssten wir flexibel je nach Bedürfnissen und Situation unsere Angebote umstrukturieren können. Das dürfen wir aber im Grundsatz nicht, weil wir fremdfinanziert und damit auf bestimmte Dinge festgelegt sind. Natürlich bekommen wir auch Mittel von unserem Caritas-Dachverband in Trier. Aber das reicht bei Weitem nicht, um Sozialarbeiter finanzieren zu können. Und bei dem Rückgang der Kirchensteuermittel können wir davon ausgehen, dass das auch weniger wird. Am Ende werden wir nicht mehr alles finanzieren können. Deshalb noch mal: Wir müssen von den kurzfristigen Dingen wegkommen hin zu einer langfristig gesicherten Perspektive. Das sehen übrigens andere Verbände und Träger genauso.

Menschen, die vor dem Krieg in der Ukraine geflüchtet sind, haben einen besonderen Status zuerkannt bekommen. Ist das mehr Erleichterung oder Beschwernis?
Für die Menschen aus der Ukraine ist es sicherlich eine Erleichterung. Aus der Sicht von Menschen anderer Nationalitäten ist es sicherlich eine Ungerechtigkeit. Uns als Mitarbeiter eines Wohlfahrtsverbandes gefällt das nicht, wenn wir eine Zweiklassengesellschaft bei Flüchtlingen haben. Das ist für das Miteinander schwierig, und für jemand etwa aus Syrien auch schwer nachvollziehbar. Das bringt durchaus Probleme mit sich. Wir würden uns insgesamt zügigere Asylverfahren bei Menschen aus anderen Ländern wünschen.
Es wird auch gesagt: Ukrainische Flüchtlinge wollen schnellstmöglich zurück in die Heimat, bei anderen sieht das anders aus. Stimmt das?
Ich glaube schon, dass da was dran ist. Ich glaube aber auch, dass beispielsweise viele Syrer wieder in ihre Heimat zurückwollen, wenn es die Umstände erlauben würden. Es ist ja nicht so, als ob Syrien befriedet wäre. Das ist vielleicht auch eine Frage der Berichterstattung und Wahrnehmung: Wenn man von einem Bürgerkriegsland lange Zeit nichts mehr hört, könnte man meinen, dort sei wieder Frieden eingekehrt. Das ist aber nicht so. Im Moment haben die Menschen durch die tägliche Berichterstattung die Ukraine im Blickfeld. Deshalb von einer Zweiklassengesellschaft bei Geflüchteten zu reden, halte ich für falsch. Ich glaube, dass Menschen grundsätzlich gern in ihrem Heimatland leben wollen, und auch stolz sind auf ihre Heimatländer. Aber wenn es nicht möglich ist, dort sicher zu leben, kann ich die Menschen verstehen, wenn sie bei uns bleiben wollen.
Es gibt Szenarien, wonach durch die Folgen des Klimawandels mit deutlich mehr Flüchtlingen zu rechnen ist. Was erwarten Sie?
Es werden sich ganz viele Menschen aufgrund von Hungersnöten in Bewegung setzen. Ob das unbedingt in Deutschland mündet, weiß ich nicht. Dass sich Menschen auf der Suche nach besseren Lebensbedingungen aufmachen, kann man niemandem verwehren. Wenn ich in Deutschland keine adäquate Arbeit finden würde, nicht wüsste, wie ich meine zwei Kinder und meine Frau finanzieren kann, aber wüsste, dass ich in Frankreich eine gute Arbeit finden würde, dann wäre ich in Frankreich ein Wirtschaftsflüchtling. Es kann doch nicht erwartet werden, dass Menschen in ihrem Leid gefangen bleiben. Wir werden sicher auch Menschen aus Afrika bekommen, auch aus Indien. Durch den Klimawandel wird einiges in Bewegung kommen, was uns noch nicht so bewusst ist. Deshalb noch mal zum Migrationsdienst: Zu glauben, dass wir den hoch- oder runterfahren können, je nach einer gerade aktuellen Entwicklung, ist eine falsche Sichtweise auf das Thema Migration.
Das heißt für Ihre Arbeit: Es geht nicht unbedingt nur um mehr Geld, sondern um die schon angesprochene Kontinuität?
Es geht natürlich um beides. Aber in der Tat würde ich mir manchmal wünschen, wir hätten einen etwas kleineren Migrationsdienst, dafür aber verlässliche Kontinuität über Jahre hinweg. Natürlich braucht es mehr Personal, wenn es eine größere Flüchtlingswelle gibt. In der Praxis sind wir seit 2014/2015 an unserer Kapazitätsgrenze, also seit acht Jahren. Der Öffentlichkeit muss bewusst sein, dass es eine sehr belastende Arbeit ist. Wir haben es mit Menschen zu tun, mit Schicksalen – und das lässt man nicht am Feierabend im Büro zurück.