Der sensationelle WM-Triumph der deutschen Basketballer hat viele überrascht – offenbar auch die TV-Sender. Gibt es jetzt einen Basketball-Boom? Die Szene ist vorsichtig optimistisch.
Die deutschen Basketball-Helden waren nur noch wenige Minuten vom sensationellen Gold-Coup bei der Weltmeisterschaft entfernt und hatten die heimischen Sportfans komplett in ihren Bann gezogen, als der Deutsche Fußball-Bund eine Mitteilung verschickte. Um 16.25 Uhr, also in der heißen Schlussphase des WM-Finals in Manila zwischen dem deutschen Team um Kapitän Dennis Schröder und Serbien, verkündete der DFB das Aus von Bundestrainer Hansi Flick. Viele Sportfans bekamen die Nachricht kurze Zeit später als Push auf ihr Handy und waren abgelenkt. Oder sauer. Auf der Onlineplattform X (ehemals Twitter) verschafften sich viele User ihrem Unmut Luft. Einer schrieb von einem „respektlosen Timing“, ein anderer von einer „schäbigen“ Aktion des DFB. Nur die wenigsten nahmen die parallel zum größten Basketballspiel der deutschen Sportgeschichte verlautbarte Flick-Entlassung mit Humor, so wie dieser Fan nach der Schlusssirene: „Entlassung von Flick wirkt sofort: Deutschland ist Weltmeister.“
Hart umkämpfte Partie gegen Serbien
Den Champions um Schröder war das im Jubelrausch in der Mall of Asia-Arena nach dem 83:77 gegen Serbien völlig egal. Ex-Nationalspieler Patrick Femerling aber nicht, er zeigte sich „verwundert und verärgert“ und äußerte Unverständnis am Vorgehen des DFB: „Ich fand das einfach ein bisschen frech, weil das so ein großer Sportmoment war.“ Sollte der DFB die Strategie verfolgt haben, die Wucht der Flick-Trennung durch die Ereignisse auf den weit entfernten Philippinen abdämpfen zu können, wäre es ein Eigentor. Massive Kritik prasselte auf den Fußball-Verband ein – auch aus der Politik. „Das hat mich auch geärgert. Es war ein so schöner Moment am Sonntag, den wollte man einfach nur genießen“, sagte Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD).
Die für den Sport zuständige Ministerin hatte während des packenden WM-Finals mitgefiebert, genau wie Bundeskanzler Olaf Scholz. Der SPD-Politiker war gerade auf dem Rückflug vom G20-Gipfel in Neu Delhi und konnte sich nur via Live-Ticker über den Spielstand informieren, weil das Internet an Bord der Regierungsmaschine zu schwach war. Für das Absetzen eines Glückwunsch-Posts in den sozialen Medien hat es aber ausgereicht: „Weltmeister! Sensationell, historisch und so verdient.“ Scholz lud zudem das Weltmeister-Team und Trainer Gordon Herbert „bei allernächster Gelegenheit“ ins Kanzleramt ein. Herbert hatte er schon vor dem Endspiel eine persönliche Nachricht geschrieben, wie der Bundestrainer nach dem Triumph verriet: „Als ich am Morgen um 6.30 Uhr bei meinem Work-out auf mein Handy geschaut habe, hatte ich eine Nachricht von Olaf Scholz. Ich musste es ein paarmal lesen, denn die Nachricht war auf Deutsch.“
Der Kanadier Herbert hatte das Bundestrainer-Amt 2021 von Henrik Rödl übernommen, der nach dem Viertelfinal-K.-o. bei Olympia in Tokio seinen Platz räumen musste. Herbert gelang es seit seinem Amtsantritt, die unbestritten große individuelle Qualität zu einem einzigartigen Teamgefüge zusammenzuführen. Wie erfolgsfördernd die Teamchemie ist, zeigte sich schon beim Gewinn der Bronzemedaille im vergangenen Sommer bei der Heim-EM. Darauf baute Herbert auf, und er löste auch den Streit zwischen den NBA-Stars Maximilian Kleber und Schröder mit der knallharten, am Ende aber wohl goldrichtigen Entscheidung: keine Nominierung für Kleber. „Mein Team ist extrem geil“, sagte Schröder: „Ich glaube, das ist das beste Team, was ich je hatte.“
Die Mannschaft ließ es in der Siegernacht von Manila ordentlich krachen, bei der Rückkehr nach Deutschland versteckten viele Spieler ihre müden Augen hinter schwarzen Sonnenbrillen. „Ich bin sehr stolz und sehr glücklich“, sagte Innenministerin Faeser beim feierlichen Empfang für den zweiten deutschen Basketball-Titel nach dem Triumph bei der Heim-EM 1993: „Was ist das für eine Basketball-Mannschaft! Da kann man nur gratulieren. Insbesondere Dennis Schröder an der Spitze.“ Der Kapitän, der zum wertvollsten Spieler des Turniers gewählt worden war, bedankte sich bei den Fans für die Unterstützung und äußerte eine Hoffnung: „Ich hoffe, dass viele Kinder und Erwachsene jetzt anfangen, Basketball zu spielen.“ Diskus-Olympiasieger Robert Harting war schon mal Feuer und Flamme, er schrieb unmittelbar nach dem nervenaufreibenden Finale bei X: „Ich will auf jeden Fall und genau jetzt Basketball spielen.“
Wunsch nach Basketball-Boom
Der Wunsch nach einem Basketball-Boom durch den WM-Titel ist in der Szene groß. Aber ist er auch realistisch? Sowohl nach dem EM-Triumph 1993 als auch nach WM-Bronze 2002 mit Superstar Dirk Nowitzki als Kapitän war der Hype um die Sportart hierzulande schnell wieder verflogen, die positiven Auswirkungen auf Mitgliederzahlen, TV-Erlöse und Sponsoring hielten sich in Grenzen. Geschäftsführer Stefan Holz von der Basketball-Bundesliga glaubt daher auch nicht, dass der Weltmeister-Titel „der totale Gamechanger“ sei. „Es ist jetzt nicht sofort eine andere Welt, und ganz Deutschland schaut jetzt Basketball und nicht mehr Fußball“, äußerte Holz. Man dürfe diesen vielleicht einmaligen Erfolg „nicht mit Erwartungen überfrachten“, mahnte der BBL-Chef, „aber es hilft natürlich“. Alle Basketballclubs könnten vom Titel und von den Protagonisten profitieren, „das haben wir letztes Jahr schon nach der EM gemerkt“. Man sei in den wirtschaftsrelevanten Aspekten „auf einem höheren Plateau in die neue Saison gestartet“. Das soll auch für die am 28. September beginnende Spielzeit 2023/24 gelten, die größtenteils beim neuen TV-Partner Dyn gezeigt wird. Dann kann die BBL sich als „Liga im Land des Weltmeisters“ framen – was für ein Marketing-Gold!
Dass die Sportart auch sehr telegen ist und ein Millionen-Publikum anlocken kann, zeigte das WM-Finale am Sonntagabend des 10. Septembers. Durchschnittlich 4,626 Millionen Menschen hatten im ZDF das Spiel gesehen und für einen hervorragenden Marktanteil von 35 Prozent gesorgt. Beim Streaminganbieter MagentaSport verfolgten mehr als zehn Millionen Menschen die acht deutschen WM-Spiele, die kostenfrei bei der Telekom-Tochter ausgestrahlt wurden. Vielleicht wird sich der ein oder andere Verantwortliche der öffentlich-rechtlichen Sender im Nachhinein ärgern, nicht schon früher auf den WM-Zug aufgesprungen zu sein. Denn bei allen anderen deutschen Spielen zuvor – auch beim phänomenalen Halbfinal-Sieg über Topfavorit USA – hatten ARD und ZDF abgewunken. Genau wie die Privatsender RTL und ProSiebenSat1. Dass sich die TV-Anstalten nicht um eine Sublizenz von Rechte-Inhaber Telekom bemüht hatten, habe ihn „erzürnt“, gab DBB-Präsident Ingo Weiss zu: „Vielleicht sind ARD und ZDF auch zu konservativ, sich an spannende Sportarten wie Basketball heranzuwagen.“
Das Argument, dass die Spiele durch die Zeitverschiebung oft zu einer ungünstigen Uhrzeit in Deutschland liefen, ließ Weiss nicht gelten: „Mit dem Quoten-Argument muss mir niemand kommen – die öffentlich-rechtlichen Sender haben einen Auftrag.“ Weltmeister-Kapitän Schröder berichtete davon, dass er und seine Teamkollegen wegen des Blackouts im klassischen Fernsehen überrascht gewesen seien. „Wir dachten zuerst, die WM käme im Fernsehen“, erzählte der 29-Jährige. Er wünscht sich, dass das WM-Gold auch in dieser Hinsicht einen positiven Einfluss haben werde: „Basketball ist ein großartiger Sport und ich hoffe, wir können den Respekt bekommen für das, was wir die letzten zwei Jahre getan haben. Ich wünsche mir, dass jedes einzelne Spiel im Fernsehen kommt.“ Und das nicht nur, weil er als Superstar über allem schwebe. Die Zeiten, als ein Nowitzki oder später ein Schröder das Nationalteam alleine getragen habe, seien vorbei. „Als wir vor zehn Jahren losgelegt haben, hatten wir Dirk Nowitzki, aber keiner kannte die anderen Jungs. Jetzt kommen wir nach Japan und auf die Philippinen, und alle kennen uns“, sagte Schröder.
Plötzliche Bekanntheit
Auch in Sport-Deutschland und selbst in Amerika sind plötzlich Basketballer wie Daniel Theis, Isaac Bonga oder Andreas Obst bekannt. Vor allem Flügelspieler Obst stieg in den WM-Tagen zum zweiten großen Helden neben Schröder auf, seine phänomenale Leistung gegen die NBA-Stars aus den USA im Halbfinale bleibt wohl für immer unvergessen. Schröder habe gut gespielt, sagte hinterher US-Nationaltrainer Steve Kerr, „aber der Schlüssel zum Sieg für die Deutschen war Obst“. Der 27-Jährige sei „der beste Werfer dieses Planeten“, meinte Teamkollege Johannes Voigtmann. Doch bei der WM zeigte Obst, dass er sich in den vergangenen Jahren von einem reinen Shooter zu einem kompletten Spieler entwickelt hat, der für das gegnerische Team nur sehr schwer auszurechnen ist.
Solche Spieler sind natürlich begehrt. Dem Vernehmen nach steht der Name „Andreas Obst“ auf den Zetteln einiger NBA-Clubs, die Verantwortlichen von Bayern München müssen den Verlust eines ihrer drei Weltmeister fürchten. Aber auch Clubkollege Bonga und Johannes Thiemann (Alba Berlin) werden mit einem Wechsel in die beste Basketballliga der Welt in Verbindung gebracht. „Natürlich täte es uns gut, wenn jetzt gerade die Helden, die auch wichtige Rollen bei der WM gespielt haben, wie Obst, wie Bonga, wie JT, wenn die uns noch ein bisschen erhalten blieben. Das wäre großartig“, sagte BBL-Chef Holz. Doch er ist auch realistisch: Klopfen die NBA-Vereine an oder winken die finanzstarken Clubs aus Europa mit den großen Geldscheinen, sind die Spieler weg. „Da ist die NBA, und da sind auch noch zahlungskräftige EuroLeague-Teams, die woher auch immer Geld bekommen. Logischerweise verlieren wir dann Gesichter.“ Die Basketball-Bundesliga stehe eben „nicht am Ende der Nahrungskette“. Auch nicht als Liga im Land des Weltmeisters.