Gerade ist Sommer im südlichen Afrika: Mit dem Regen verwandelt sich in Botswana die sonst karge Kalahari in eine Welt des Überflusses. Zebraherden wandern durch die Salzpfannen, Geparden und Schwarzmähnenlöwen gehen im hohen Gras auf die Jagd. Bei einer Safari erlebt man die Halbwüste in all ihren Facetten.

Mutter Natur ist unbarmherzig. Dann jedenfalls, wenn man sich den lange gehegten Wunsch erfüllen möchte, einmal Botswanas Frühaufsteher zu treffen und auf ihrer morgendlichen Jagd zu begleiten. Die Tiere starten aber zu Sonnenaufgang – und zwar nicht „African time“, sondern pünktlich, keine Minute später. Wir müssen uns also noch viel zeitiger vom komfortablen Himmelbett und dem im Kolonialstil mit Antiquitäten ausstaffierten Safarizelt verabschieden.
Immer noch ein Geheimtipp
Deswegen steuert Chabba Sele, der erfahrene Guide des „Jack’s Camp“, seinen Game Viewer bereits in der Dämmerung über rutschige Matschpisten und durch Wasserlachen, in denen man Kleinwagen versenken könnte. Zum Ende der Regenzeit müssen immerhin keine Kameras vor puderfeinem Staub geschützt werden. Dafür sind wir Menschen unerwartet Ziel von perfiden Attacken: An manchen Stellen fährt Chabba trotz der schlechten Piste recht zügig – schneller jedenfalls, als die Schwärme offensichtlich ausgehungerter Moskitos fliegen können. Hand auf Herz: Manch einer fragt sich da schon, ob sich ein solcher Ritt wirklich lohnt. Hinterher ist man dann schlauer. Und wie sich das lohnt!
Das erste Erdmännchen krabbelt aus dem Bau und stellt sich auf die Hinterbeine. Dann erscheint das nächste. Und noch eins. Ihr Bau hat viele Ein- und Ausgänge, und so ploppen die putzigen Nager nun überall aus dem Boden. Ihre scharfen Augen prüfen Landschaft und Himmel. Doch Raubvögel sind keine in Sicht. So tobt ein paar Augenblicke später die ganze Kolonie mit allen Jungtieren herum – ein wogendes Fellknäuel mit haarigen Schwänzen und neugierigen Nasenspitzen.

„Nein, die Erdmännchen sind nicht gezähmt. Es sind wilde Tiere. Aber sie haben gelernt, dass von uns Menschen keine Gefahr ausgeht“, erklärt Chabba Sele. Man kann sie also bei ihren Feldzügen beobachten und miterleben, wie raffiniert sie Käfer und Skorpione erschnuppern und ausbuddeln. Doch weil immer Gefahr drohen könnte, muss einer aus der Truppe stets Wache halten. Wenn kein Termitenhügel parat steht, aber ein Mensch dasitzt wie ein Stein, klettert der Aufpasser dort hinauf. Das geht rasend schnell, über Rücken und Schulter ganz rauf auf den Kopf. Das Erdmännchen denkt wohl: Was für ein toller Ausguck!
Ein weiter Teil des Zentrums von Botswana steht unter Naturschutz. Und bleibt doch ein Geheimtipp unter Safari-Enthusiasten. Hierher kommen viel weniger Besucher als ins Okavango-Delta und den Chobe-Nationalpark weiter nördlich. Dabei gibt es im Central Kalahari Game Reserve, mit 52.800 Quadratkilometern deutlich größer als die Schweiz, aber auch dem Nxai Pan National Park und dem Makgadikgadi Pans National Park einiges zu entdecken. Und viele, die sich einmal für die Kalahari begeistert haben, wollen auch immer wieder zurück.
So wie Liane Merbeck, die Gründerin des Reiseveranstalters Abendsonne Afrika. Vor über 20 Jahren hat sie die Region für sich entdeckt und führt seither zur besten Reisezeit kleine Gruppen durch ihre zweite Heimat. „Es ist nicht nur die Weite des Himmels und die karge Schönheit der Landschaft, die mich jedes Mal verzaubert“, sagt sie. „Es sind auch die kleinen Entdeckungen am Wegesrand.“
Da gibt es neben Wiesen voller gelber Butterblumen und violettem wilden Sesam, über die Monarchfalter tanzen, noch viele weitere, auf Deutsch wohl noch namenlose Blüten. In den Salzpfannen, vor allem aber in der Halbwüste bekommt man auch jene Tiere zu Gesicht, die sich in der dichter bewachsenen Dornbuschsavanne viel besser vor einem verstecken können: Löffelhunde, Honigdachse und Karakals, die Wüstenluchse Afrikas.

Zebras können Regen riechen
Der Boteti-Fluss, auch in der Trockenzeit eine Lebensader für Elefanten und andere Wildtiere, ist nach den Regenfällen das Ziel einer kaum bekannten Migration: Jedes Jahr ziehen 15.000 bis 20.000 Zebras aus dem Okavango-Delta hierher. Das taten sie vermutlich bereits, bevor in den 1960er-Jahren einige Veterinärzäune errichtet wurden, um Rinder vor der Maul- und Klauenseuche zu schützen. Nun sind zwar längst nicht alle Hindernisse wieder abgebaut – es gibt weiterhin Streit zwischen Naturschützern und Farmern, die ihr Vieh vor Löwen und anderen Raubtieren schützen müssen. Einige wichtige Routen sind aber wieder frei.
So kann man am Boteti nach der Regenzeit riesige Herden an Huftieren sehen, die ihren Durst stillen. Der beste Platz zum Beobachten ist das Camp Meno a Kwena, dessen Chalets hoch über dem Fluss thronen. Ob sich Prinz Harry einst an diesem Platz in Afrika verguckt hat, ist nicht überliefert. Fest steht, dass Meno a Kwena einer seiner Lieblingsorte ist, den er regelmäßig besucht. Vor ein paar Jahren kam er in Begleitung und anschließend waren Harry und Meghan ein Paar. Wundern muss man sich nicht – es ist eine Aussicht zum Verlieben.

Es gibt noch eine weitere Wanderroute, länger als die berühmte Migration der Gnus in Ostafrika, die inzwischen wieder möglich ist. Mehr als tausend Kilometer lang ist der Hin- und Rückweg jener Zebras, die aus Namibia nach Botswana kommen. Erst schwimmen sie durch den Chobe River. Dann ziehen sie in zwei bis drei Wochen zum Nxai Pan National Park, um sich dort an frischem Gras satt zu fressen. Anschließend geht es langsam wieder zurück. Natürlich zeigt ihnen niemand den Weg. Einige Forscher vermuten deshalb, dass sich die Routen ihrer Vorfahren ins kollektive Gedächtnis der Tiere eingeprägt haben. Vielleicht liegt es auch am guten Geruchssinn: Zebras können Regen riechen, auch wenn der viele Kilometer entfernt niedergeht – und machen sich umgehend auf den Weg.
Auch Camping ist hier möglich

Im Nxai Pan National Park stehen Baobabbäume wie die „Seven Sisters“, die der Entdecker Thomas Baines vor mehr als 150 Jahren mit Wasserfarben verewigt hat. Wenn sich die Giganten zum Ende der Regenzeit beim Sundowner im Wasser der Kudiakam-Pfanne spiegeln, ist das ein magischer Moment. Vielleicht hat man auch Glück und sieht, wie sich eine grüne Knospe entfaltet und plötzlich ein süßlicher Duft in der Luft hängt. Nachts schmücken sich die Affenbrotbäume mit weißen Blüten, um Nachtfalter, aber auch Flughunde für die Bestäubung anzulocken. Baobabs werden uralt – und sind dabei nicht einmal echte Bäume mit Borke und Jahresringen, sondern zählen zur Familie der Sukkulenten.
Feste Unterkünfte gibt es in der Region nur wenige. In Botswana, wo Safaris deutlich mehr kosten als in Südafrika, zahlt man nicht nur für die beste Lage und die Möglichkeit, mit nur wenigen anderen Besuchern auf Game Drive gehen zu können, sondern auch für den Luxus der Abgeschiedenheit. Wer auf Komfort weniger Wert legt, kann aber auch campen. Wir machen beides und ruhen auf dem Feldbett ebenso gut wie auf dem Daunenkissen.
Jedenfalls, solange niemand brüllt, scheinbar direkt hinterm Zelt. Nachschauen will man dann doch nicht, aber wir treffen die Störenfriede später. Nach dem Regen ziehen große Herden an Springböcken und Oryxantilopen durch die fossilen Flussbette der Kalahari. Sie werden verfolgt von vielen Geparden. Vor allem aber von den imposanten Kalaharilöwen mit ihren schwarzen Mähnen: So imposant wie hier präsentieren sich die Raubkatzen nirgendwo sonst in Afrika.