Schauspieler David Kross spricht mit uns über seine Rolle als Max Brod in der Mini-Serie „Kafka“, darüber, wie er seine Filme auswählt, was er von der Künstlichen Intelligenz hält und bei welcher Gelegenheit er lügt.

Kehlmann, Liv Lisa Fries, Joel Basman und
David Schalko bei der „Kafka“-Premiere - Foto: picture alliance / Geisler-Fotopress
Herr Kross, welche Rolle hat Kafka in Ihrem Leben gespielt, bevor Sie in der Serie mitgewirkt haben?
Ich hatte Kafka nicht als Schullektüre. Ich habe natürlich aus eigenem Antrieb einige Bücher von ihm gelesen, wusste aber nicht viel über sein Leben. Geschweige denn über das Leben von Max Brod, den ich dargestellt habe. Aber als man mir dann die Drehbücher von Daniel Kehlmann zugeschickt hatte, habe ich sie alle in einem Rutsch gelesen. Ich konnte sie gar nicht mehr aus der Hand legen, so fasziniert war ich von der Art und Weise, wie er Kafkas Leben erzählt hat. Und auch davon, wie er verschiedene Werke von Kafka mit in die Geschichten einfließen ließ.
Daniel Kehlmann ist ja ein Literat. Hat man das beim Drehen gemerkt? Waren die Drehbücher auf einem anderen Niveau als sonst? Und bestand er, zum Beispiel, auf die wortgetreue Umsetzung der Dialoge?
Bei den Episoden, bei denen ich mitgespielt habe, sind wir wirklich sehr nahe am Drehbuch geblieben. Darauf hat unser Regisseur David Schalko sehr geachtet. Und das war auch gut so – weil man ja sah, wie gut die Texte waren und dass da alles stimmte.
Haben Sie zur Vorbereitung auf die Rolle auch in den Tagebüchern von Franz Kafka gelesen? Darin hat er ja auch viel über Max Brod geschrieben.
Bei der Vorbereitung waren mir vor allem die Drehbücher eine große Hilfe. Dann habe ich mich natürlich auch mit dem Leben von Max Brod befasst, zum Beispiel die Reiseaufzeichnungen der beiden gelesen. Sehr hilfreich war auch das Buch „Eine Freundschaft“ über den Briefwechsel der beiden. Da wir in der Serie immer in den Jahren hin- und herspringen – ich spiele Max Brod im Alter von 18 bis 76 Jahren –, hat es mir sehr geholfen, dass in den Briefen immer die Jahreszahlen angegeben waren. So konnte ich vor jedem Drehtag nachschauen, welche Briefe sie sich zu der Zeit geschrieben haben, und mich so sehr gut auf die Szenen einstimmen, die ich zu spielen hatte. In den Briefen stand natürlich auch viel Banales, oder es ging um Frauengeschichten. Doch es wurde auch sehr deutlich, wie sehr sich Kafka und Brod gegenseitig unterstützt haben. Sie waren wirklich – Yin-und-Yang-mäßig – durch eine sehr enge Freundschaft miteinander verbunden.

Franz Kafka hat auf dem Sterbebett Max Brod darum gebeten, dass er nach seinem Tod alles vernichtet, was er je geschrieben hatte. Brod hat sich nicht daran gehalten, weil „es kulturell nicht zu verantworten war“, wie er sagte. Wie stehen Sie dazu?
(denkt lange nach) Ich persönlich habe das immer als einen Akt der Liebe gesehen. So habe ich auch den emotionalen Zugang zu dieser Freundschaft gefunden. Sie haben sich ja über Jahre hinweg fast täglich gesehen. Sie waren wirklich sehr vertraut miteinander.
Brod hat Kafkas Texte editiert, manche sagen sogar zensiert. Sind Sie da als Schauspieler nicht in einer besseren Lage als ein Dichter? Denn das, was Sie spielen, kann man doch nur schwer manipulieren. Man müsste Sie schon herausschneiden …
(lacht) Das ist eine gute Frage. Aber auch die Arbeit des Schauspielers kann manipuliert werden. Nämlich durch den Schnitt. Der Schnitt kann eine Performance total verändern. Dadurch kann man sogar das Genre verändern. Man kann aus demselben Stoff einen Horrorfilm machen oder eine Komödie. Die Möglichkeiten sind da schier unbegrenzt. Man sagt ja nicht zu Unrecht: Es gibt das Drehbuch, das Drehen und den Schnitt. Und der Schnitt hat immer das letzte Wort.
Wenn Sie Ihren Freunden etwas erzählen aus Ihrem Leben oder ein UrlaubsÂerlebnis – ist das dann auch nur eine Version der Wahrheit?
Aber natürlich! Das machen wir doch alle ständig. Wir lassen Sachen weg und stellen andere mehr in den Mittelpunkt. Da ist jeder auch sein eigener Cutter.

Und bei welcher Gelegenheit lügen Sie?
(zögert etwas mit der Antwort.) Selbst auf die Gefahr hin, dass ich mir jetzt ein Eigentor schieße: Ich habe schon mal gelogen, als man mich beim Casting fragte, ob ich die neueste Drehbuchfassung schon gelesen hatte (lacht). Oder als man mich fragte, ob ich Französisch sprechen kann. Und wenn Steven Spielberg einen fragt, ob man reiten kann, sagt man natürlich auch Ja! (Er spielt hier auf den Film „Gefährten“ an; Anm. d. Red.). Das sind aber eher Notlügen. Allerdings muss man sich das alles schon vor den Dreharbeiten wirklich aneignen, damit es nicht auffällt.
Apropos Wahrheit: Sind Sie schon einmal im Internet verfälscht dargestellt worden? Wurde zum Beispiel schon mal ein Foto von Ihnen manipuliert?
Nein, das ist zum Glück noch nicht vorgekommen. Das wäre wirklich unheimlich. Allerdings gab es schon den ein oder anderen Vorfall, bei dem sich eine fremde Person in den sozialen Medien für mich ausgegeben hat.
Haben Sie schon selbst KI-Programme benutzt? Zum Beispiel Chat GPT?
Ja, ich habe das tatsächlich schon mal selbst ausprobiert. Aber nur zum Spaß.
Fühlen Sie sich als Schauspieler durch die sogenannte Künstliche Intelligenz bedroht?

Noch nicht wirklich. Ich glaube auch nicht, dass ich in absehbarer Zukunft als Avatar durch die Gegend hüpfe. Aber wer weiß, wie das in zehn Jahren aussieht? Allerdings habe ich das Gefühl, dass sich die Arbeitsweise durch die KI gerade in anderen Bereichen verändert. Ich habe manchmal den Verdacht, dass bei Drehbüchern auch ein Computerprogramm mitschreibt. Oder dass gewisse Geschmäcker getroffen werden müssen, und Drehbücher dann danach ausgerichtet werden. Da bleibt natürlich der kreative Prozess auf der Strecke.
Sie können mit Ihren 33 Jahren eine Reihe beeindruckender und sehr vielfältiger Filme vorweisen. Wie haben Sie es geschafft, dass man Sie nicht in eine Schublade steckte?
Ich wähle meine Rollen eigentlich immer nach dem Bauchgefühl aus. Das Beste ist dann, wenn ich das Gefühl habe, dass ich diese Figur gerne spielen oder diese Geschichte gerne erzählen würde. Vielleicht erzählt die Geschichte ja auch eine Wahrheit von mir. Oder der Film beschäftigt sich mit einem Thema, mit dem auch ich mich gerade beschäftige. Oft geschieht diese Auswahl auch unbewusst. Erst beim Drehen merke ich dann, dass mich das wirklich tief berührt. Deshalb bin ich auch sehr dankbar dafür, dass ich so viele Angebote für unterschiedliche Rollen bekomme. Das ist ja nicht immer der Fall. Und wenn es dann passiert, fühle ich mich sehr privilegiert.

Welche Ihrer Filme sind Ihnen besonders ans Herz gewachsen?
Ach, da gibt es immer mal wieder Projekte … Und die „Kafka“-Serie gehört auf jeden Fall dazu. Das war für mich eine ganz tolle Erfahrung. Vor allem die Zusammenarbeit mit dem Regisseur David Schalko und mit Joel Basman, der den Kafka spielt, war wirklich sehr gut. Und natürlich ist auch die Serie so besonders, weil die Drehbücher von Daniel Kehlmann so herausragend waren. Auch diese enge Freundschaft zwischen Kafka und Brod hat mich privat sehr berührt. Das geht nicht spurlos an einem vorüber.
Können Sie beschreiben, wie die Schauspielerei Ihren Blick aufs Leben beeinflusst?
Ja, da passiert viel bei mir. Weil ich mich durch die Schauspielerei ja oft mit Dingen und Situation beschäftige, die ich auch aus meinem eigenen Leben kenne. Und diese intensive Auseinandersetzung mit der Rolle, mit der Figur und auch mit mir selber hat dann manchmal sogar eine therapeutische Wirkung. Da lerne ich mich wieder näher kennen. Aber es ist schwer, darüber zu sprechen und nicht pathetisch zu klingen.
Und was haben Sie vom „Kafka“-Projekt gelernt?
Dass Brod eine ungeheure Angst hatte, Kafka zu verlieren. Sich mit so einer Angst als Schauspieler auseinanderzusetzen, ist schon auch ein persönliches Erlebnis. Oder in der Serie „Davos 1917“, die ich davor gedreht hatte, habe ich jemanden gespielt, der durch hochdramatische Umstände mit seiner eigenen Feigheit konfrontiert wird. Das bin dann auch ich, während ich ihn spiele. Und das macht schon etwas mit einem.
Wie halten Sie sich fit?

Im Moment klappt das nicht wirklich. Sonst mache ich natürlich etwas Sport. Ich war gerade lange in Thailand, dort habe ich eine neue Serie gedreht. Und da gab es jede Menge Shakes (lacht).
Haben Sie ein Lebensmotto?
Ich versuche immer wieder aus meiner Komfortzone auszubrechen. Das ist mir sehr wichtig. Nicht zu versacken, sondern sich neuen Herausforderungen zu stellen. Dann versuche ich auch immer, ehrlich zu mir selbst zu sein.
Wenn Ihr Leben ein Film wäre, wie wäre der Titel?
(lacht) Super Frage! Leider fällt mir da keine gute Antwort ein. Vielleicht etwas mit zwei verschiedenen Welten … Also einmal die Filmwelt, die für mich anfangs auch etwas total Fremdes war … und dann …
Wie wäre es mit „David in Wunderland – und zurück“?
(lacht) Ja, okay.