Mit seiner Reform will Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach die Krankenhauslandschaft fit für die Zukunft machen. Doch viele Bundesländer und Interessensverbände sind vom Erfolg der Reform nicht überzeugt. Auch Dr. Thomas Jakobs, Geschäftsführer der Saarländischen Krankenhausgesellschaft e.V., äußert massive Bedenken.
Herr Dr. Jakobs, Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach plant eine große Krankenhausreform. Geht es nach seinen Vorstellungen, könnte die Reform noch vor der parlamentarischen Sommerpause verabschiedet werden und zum 1. Januar 2025 in Kraft treten. Was bedeutet das konkret für die Krankenhäuser?
Dass die Krankenhauslandschaft vor großen Veränderungen steht, ist allen Beteiligten bewusst: den handelnden Gesundheitspolitikern, den Trägern der Krankenhäuser und der Ärzteschaft, dem Landespflegerat und den Patientenvertretungen. Der Veränderungsdruck ist enorm, sowohl innerhalb des Krankenhaussystems als auch von außerhalb. Die Bedarfe in der Gesundheitsversorgung steigen stetig, die Menschen werden immer älter und die Kosten galoppieren davon. Erschwerend hinzu kommt der Fachkräftemangel im gesamten Gesundheitssystem. Das gilt nicht nur für die Krankenhäuser, sondern auch bei den niedergelassenen Ärzten sowie bei den Therapeuten, dem medizinischen Fachpersonal und den Apothekern.
Der Bundesgesundheitsminister will mit seiner Reform die Krankenhäuser entökonomisieren, Bürokratie abbauen und gleichzeitig die Qualität der Häuser stärken. Der erste Referentenentwurf liegt mittlerweile vor und wir von der Krankenhausgesellschaft vertreten die Auffassung, dass die wesentlichen Ziele mit dem vorliegenden Entwurf nicht erreicht werden.
Warum nicht und welche Vorschläge zur Verbesserung gibt es seitens der Krankenhausgesellschaft?
Die Entökonomisierung ist der Knackpunkt der Reform. Dass etwas am bestehenden Finanzierungssystem geändert werden muss, ist allen Beteiligten klar. Die Krankenhäuser finanzieren sich derzeit vor allem aus den Fallpauschalen, mit denen der Betrieb des ganzen Hauses inklusive der Vorhaltung einer Grund- und Regelversorgung gewährleistet sein muss. Der Referentenentwurf sieht nun eine Weiterentwicklung des Fallpauschalensystems und eine separate Finanzierung der Grundversorgung vor im Verhältnis 40 zu 60 Prozent. Die Krux daran ist, dass der Bundesgesundheitsminister die Vorhaltefinanzierung an den jeweiligen Leistungsgruppen, sprich an den einzelnen Fachbereichen, und an den Fallzahlen festmachen will und nicht wie wir es fordern und wie es sinnvoll wäre am gesamten Krankenhaus. Sie können ja auch nicht eine Feuerwehr zur Brandbekämpfung nach hypothetischen Annahmen ausstatten, sondern sie muss im Fall der Fälle in ihren Grundzügen absolut zuverlässig und funktionstüchtig sein. Im Übrigen ist es so geplant, dass die Vorhaltefinanzierung der Leistungsgruppen alle drei Jahre auf den Prüfstand kommt und die Fallzahlen neu ermittelt werden. Daran richtet sich die künftige Vorhaltefinanzierung aus. Den Krankenhäusern wird eine ungeheure zusätzliche Dokumentationspflicht aufgebürdet, die dem Ziel des Bürokratieabbaus entgegensteht. Die Verknüpfung der Vorhaltefinanzierung mit den Leistungsgruppen und den Fallzahlen bedeutet: Das Hamsterrad des ökonomischen Drucks bleibt bestehen.
Schon seit vielen Jahren kommen viele Bundesländer und auch das Saarland ihren gesetzlichen Investitionsverpflichtungen aus ganz unterschiedlichen und zum Teil sicherlich auch nachvollziehbaren Gründen nicht nach. Im Jahr 2015 haben wir einen Investitionsbedarf von 80 Millionen Euro festgestellt, heute sind es rund 100 Millionen Euro. Die saarländischen Krankenhäuser erhalten aber nur 32,5 Millionen Euro im Jahr, eine deutliche Unterdeckung. Ich nenne das schlichtweg Systemversagen.
Apropos Bürokratieabbau: Die erste Stufe der Reform, das sogenannte Krankenhaustransparenzgesetz, hat kürzlich den Bundesrat passiert und wird Bundesgesetz. Was steckt dahinter?
Das Krankenhaustransparenzgesetz ist Bundesgesetz und muss von den Krankenhäusern deutschlandweit umgesetzt werden. Was uns als Krankenhausgesellschaft besonders Sorge bereitet, ist die Tatsache, dass der Bundesgesundheitsminister mit seinem Transparenzgesetz eine Leveleinteilung der Krankenhäuser vorwegnimmt mit der Begründung der Transparenz. Die damit verbundene vorläufige Zuordnung von Leistungsgruppen und die Einteilung in Level nimmt der geplanten Krankenhausreform ein zentrales Element und greift in die Hoheit der Länder ein. Diese Einteilung, das heißt Krankenhaus A hat ein hohes Level, Krankenhaus B ein niedriges Level, birgt die Gefahr, Patienten zu verunsichern, da sie sich an den Einteilungen orientieren werden. Es erhöht zudem das wirtschaftliche Risiko für Krankenhäuser, wenn sie einem vermeintlich schlechten Level zugeordnet werden und Patienten fernbleiben, obwohl das medizinisch unbegründet ist. Außerdem entsteht weitere bürokratische Last aufgrund zusätzlicher Meldepflichten der Krankenhäuser. Die Krankenhausplanungsbehörden der Länder fühlen sich zu Recht durch das Transparenzgesetz des Bundes in ihren Zuständigkeiten beschnitten.
Im Übrigen klingt die Begründung für das Krankenhaustransparenzgesetz aus dem Bundesgesundheitsministerium sehr fadenscheinig. Die Krankenhausgesellschaften betreiben ein funktionierendes Deutsches Krankenhausverzeichnis, das sogar bis zum Sommer 2023 finanziell vom Bund gefördert wurde. Dieses Portal mit einer umfassenden Datengrundlage auf Basis der Qualitätsberichte der Krankenhäuser ist belastbar und gibt detailliert und neutral Auskunft über die Fachabteilungen und die Leistungsfähigkeit aller Krankenhäuser in Deutschland. Die vorläufige Leveleinteilung erfolgt nur an Hand von Abrechnungsdaten der letzten Jahre und bezieht sich jeweils auf das ganze Krankenhaus. Dabei wird außer Acht gelassen, dass vielfach Krankenhäuser eine oder zwei hochspezialisierte Fachabteilungen haben und daneben andere Fachabteilungen ohne besondere Spezialisierung. Da aber bei der Leveleinteilung nur das ganze Krankenhaus betrachtet wird, kann die Besonderheit des Krankenhauses mit dem Etikett „Level 1“ nicht erkannt werden. Wir hätten uns gewünscht, dass dieses Gesetz in dieser Form so nicht kommt.
Planung ist die eine Seite, die Umsetzung eine andere. Wie viel Zeit verbleibt den Krankenhäusern letztendlich, das Reformvorhaben umzusetzen, wenn es denn tatsächlich so kommt?
Tritt das Gesetz tatsächlich am 1. Januar 2025 in Kraft, und soll es dann im laufenden Jahr vernünftig in die Praxis umgesetzt werden – das Saarland will hier übrigens unter den Bundesländern mit Vorreiter sein –, dann ist das für die Krankenhäuser eine gewaltige Herausforderung. Schließlich haben wir es nicht nur mit einer Finanzierungsreform, sondern auch mit einer Struktur- und Planungsreform zu tun, die in die gesetzlich garantierte Hoheit der Länder eingreift. Die Bundesländer müssen dieses Reformvorhaben in ihren jeweiligen Landesgesetzen umsetzen. Das dauert und es bestehen noch viele Unwägbarkeiten. Die so genannte Konvergenzphase, sprich der Übergang vom alten zum neuen System, ist beispielsweise noch nicht geregelt und das Bundesgesundheitsministerium hat bis heute keine belastbare Auswirkungsanalyse vorgelegt, das heißt, dass wir noch nicht wissen, welche ökonomischen Verbesserungen die Reform den Krankenhäusern wirklich bringt. Es ist ein Blindflug in eine ungewisse Zukunft. Und es gibt bisher keine Zusage für zusätzliches Geld, obwohl alle wissen, dass diese Reform nicht zum Nulltarif zu haben sein wird. Der Referentenentwurf sieht zwar einen Transformationsfonds vor, der jährlich mit fünf Milliarden Euro hälftig vom Bund und von den Ländern beziehungsweise Trägern gespeist werden soll. Der Bund sagt allerdings schon heute, dass sein Anteil von den gesetzlichen Krankenkassen finanziert werden soll. Ärger ist mit solchen Aussagen bereits vorprogrammiert.
Ganz gleich, wie das Reformvorhaben umgesetzt wird, es wird in absehbarer Zukunft zu Veränderungen in der stationären Krankenhausbehandlung kommen. Auf was müssen sich Patienten einstellen?
Die Krankenhauslandschaft ist reformbedürftig. Das ist auch im Saarland so. Die künftige Ausrichtung der heute 19 Krankenhäuser im Land muss sich auch künftig vorrangig an den Bedürfnissen der Patienten orientieren und gleichzeitig die Wirtschaftlichkeit der Häuser im Auge behalten. Die im Gesundheitsministerium angesiedelte Planungsbehörde wird sich bei der Erarbeitung des neuen Krankenhausplanes dazu mit den Trägern der Krankenhäuser und den Krankenkassen besprechen, um unter den neuen Bedingungen eine vernünftige Konstellation auf den Weg zu bringen. Die Patientenversorgung in der Fläche soll aber auf jeden Fall im Saarland gesichert bleiben. Das hat die Landesregierung mit Ministerpräsidentin Anke Rehlinger deutlich betont.
Grundsätzlich wird es in Zukunft allerdings schon so sein, um mit den Worten von Ärztekammerpräsident Dr. Josef Mischo zu sprechen, dass der Patient bekommt, was er medizinisch braucht, aber nicht mehr unbedingt das, was er sich wünscht. Es wird mehr und mehr eine Spezialisierung der Krankenhäuser geben, das heißt bestimmte Leistungen werden sich auf wenige Standorte konzentrieren, ohne die Grund- und Regelversorgung zu gefährden. Der medizinische Fortschritt, verstärkte Kooperationen unter den Krankenhäusern, aber auch die Digitalisierung wie das Virtuelle Krankenhaus werden uns dabei helfen. Die ambulante Versorgung – auch am Krankenhaus – wird, wo immer möglich, einen größeren Stellenwert bekommen.
Erläutern Sie das bitte einmal an konkreten Beispielen.
Nehmen wir exemplarisch die Augenheilkunde. Heute können Operationen am Auge dank der medizinischen Weiterentwicklung zu rund 90 Prozent ambulant durchgeführt werden. Der Patient muss in der Regel nicht mehr stationär aufgenommen werden, es sei denn, es gibt Kontextfaktoren wie Alter, Risiken oder Vorerkrankungen, die eine stationäre Unterbringung des Patienten erfordern.
Oder nehmen wir als Beispiel die Leistenbruch-Operation, die früher immer stationär durchgeführt wurde. Aufgrund des medizinischen Fortschritts, konkret durch einen minimalinvasiven Eingriff, auch Schlüsselloch-OP genannt, und der damit verbundenen geringeren Belastung für den Körper ist das bis auf die oben genannten Ausnahmen (Alter, Risiken, Vorerkrankungen und so weiter) nicht mehr erforderlich, wenn es zu keinen Komplikationen beim Patienten kommt.
Was heißt das für den Patienten? Kann der sich seinen Chirurgen aussuchen?
Das ist so. Er kann sich einen niedergelassenen Chirurgen suchen, im Krankenhaus nachfragen, im Internet schauen oder sich bei der Kassenärztlichen Vereinigung informieren und sich sogar einen Termin unter der Rufnummer 116 117 bei einem Facharzt vermitteln lassen. In der Praxis wird es so sein, dass der behandelnde Hausarzt auf einen Chirurgen oder ein Krankenhaus verweist. Um solche Nachfragen künftig besser zu steuern, dürfte der Hausarzt wieder eine Art Lotsenfunktion übernehmen. Er bekommt letztendlich auch die Krankenberichte zugeschickt und weiß über mögliche Medikamentengaben seines Patienten am besten Bescheid.
Welche Folgen hat die verstärkte ambulante Versorgung für die Krankenhäuser?
Die Krankenhäuser werden sich umstellen müssen. Mehr ambulante Operationen heißt im Umkehrschluss eine andere Ausstattung mit Sozialräumen wie Wartezimmer, Umkleiden, Aufwachräume, aber auch mit technischen Einrichtungen, mit denen solche Operationen durchgeführt werden können. Aufgrund der damit verbundenen hohen Kosten und dem zu beachtenden Wirtschaftlichkeitsgebot wird sich das nicht jeder niedergelassene Arzt oder jedes Krankenhaus leisten können oder wollen. Hinzu kommt das knapper werdende medizinische Personal. An einer Spezialisierung auf ganz bestimmte Operationen und aufwendige Behandlungen werden die Häuser nicht herumkommen. Das heißt, nicht jedes Krankenhaus muss alle Leistungen vorhalten. Kooperationen unter den Krankenhäusern und die Telemedizin gewinnen zunehmend an Bedeutung und können einen wichtigen Beitrag zur bestmöglichen Patientenversorgung leisten.
Das heißt, das Virtuelle Krankenhaus wird dank technischem und medizinischem Fortschritt kommen?
Ja, und da sind wir im Saarland schon weit fortgeschritten. Für 13 Krankenhäuser haben wir in einem ersten Schritt ein gemeinsames Patientenportal vereinbart, und die Beauftragung zur Umsetzung erfolgt noch im zweiten Quartal dieses Jahres. Verläuft die Realisierung dieses Projekts planmäßig, könnte es Ende 2024 einsatzbereit sein. Die anderen Krankenhäuser haben bereits ihr Interesse bekundet. In einem zweiten Schritt werden niedergelassene Ärzte, Therapeuten und andere Leistungserbringer voraussichtlich Anfang 2025 mit Hilfe einer Kommunikationsplattform vernetzt werden können. Der Patient, der stets seine Zustimmung zur Freigabe seiner Daten geben muss, bekommt einen entscheidenden Mehrwert: Ihm steht das bestmögliche medizinische Know-how zur Verfügung. Über die Telemedizin kann ein Spezialist bei einer Operation beratend dazu geschaltet oder seine Meinung zuvor eingeholt werden. Die Digitalisierung macht’s möglich. Es ist eine klare Qualitätsverbesserung für die Patienten und soll deren Zufriedenheit erhöhen, aber ohne eine entsprechende Anschubfinanzierung kann es nicht funktionieren.
Wie sieht die Krankenhauslandschaft im Saarland künftig aus?
Es ist eigentlich schon fünf Minuten nach zwölf, und wir dürfen keine Zeit mehr verlieren. Trotzdem bin ich zuversichtlich, dass wir es in gemeinsamer Anstrengung schaffen können, den Turnaround hinzubekommen und es hoffentlich zu keinen weiteren Schließungen kommt. Wir müssen es aber alle wollen und konstruktiv nach Lösungen suchen.