Wenn Protest-Trecker durch die Innenstädte rollen, geht es längst nicht mehr nur um die Belange der Landwirte. Gesunde Ernährung ist heute auch eine Klima-, Energie- und sozialpolitische Frage.
Beim Auftakt der traditionellen Bauernproteste Ende Januar wird es in diesem Jahr für Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir (Grüne) im Berliner Regierungsviertel nicht nur temperaturmäßig ungemütlich. Eine Stunde lang bei null Grad und Schneegriesel in Anzug und dünnen Lederschuhen in der Kälte zu stehen ist wahrlich kein Spaß. Der Landwirtschaftsminister erfreut sich bei den Protestierenden nach dem ersten Amtsjahr nicht mehr gerade großer Beliebtheit. Kaum angekommen, wird er auf dem Podium sofort von Ökolandwirten direkt angegangen. Umstehende Demonstranten deeskalieren die Situation zwar, aber die Stimmung ist reichlich aufgeheizt.
Breites Bündnis aus 80 Organisationen
Der Protest gegen die aktuelle Landwirtschaftspolitik hat mittlerweile eine gesellschaftliche Breite erreicht, die vor der Pandemie noch undenkbar schien. Das zeigt eindrücklich die Vielfalt des Protestbündnisses. 80 Einzelorganisationen beteiligen sich, natürlich Landwirte, sowohl aus herkömmlichen als auch aus Biobetrieben, dazu eine ganze Reihe Umweltverbände und in diesem Jahr zum ersten Mal auch zahlreiche Sozialverbände. Wortführer bei diesen Landwirtschaftsprotesten sind zwar weiterhin die Bauern, doch ihre Forderungen haben längst einen ganz anderen Klang als noch vor Jahren: „Die Ernährung der Bevölkerung ist nicht nur eine Produktionsfrage auf dem Feld und im Stall, sondern gerade im letzten Jahr eine sozialpolitische Frage geworden. Gesunde Ernährung muss allen zugänglich sein und nicht nur den Wohlhabenden.“
Bauer Georg Janßen von der Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft hatte vor einem Jahr noch die Hoffnung, dass mit dem Grünen Cem Özdemir nun tatsächlich eine Wende weg von der Massenproduktion, ob auf dem Feld oder im Stall, beginnen würde. Jetzt ist er sauer: „Das Höfe-Sterben ging auch unter Cem Özdemir im vergangenen Jahr ungebremst weiter. Und der Landwirtschaftsminister hat wie seine Vorgängerin (Julia Klöckner, CDU; Anm. d. Red.) einfach nur zugeschaut.“ Weiteres Ärgernis für Bauer Janßen aus Lüchow-Dannenberg in Nord-Niedersachsen ist das abgesagte Programm für die Beibehaltung von stillgelegten Flächen in der Landwirtschaft. „Noch vor einem Jahr hat mir Cem Özdemir das in die Hand versichert, doch nun werden die Flächen weitaus intensiver genutzt als vorher, so geht klimagerechte und ökologische Landwirtschaft nicht.“
Ein Grund für das Umschwenken von Özdemir bei der Flächenstilllegung ist natürlich der Krieg in der Ukraine. Nach dessen Beginn am 24. Februar vor bald einem Jahr hat sich auch die Versorgung mit landwirtschaftlichen Produkten global und auch in Europa drastisch verengt. Flächen, die für die natürliche Erholung vorgesehen waren, mussten plötzlich doch wieder aktiviert werden. Für Landwirtschaftsminister Özdemir die erste Zwickmühle, die nach Ansicht von Ökolandwirten gerade von der Lebensmittelindustrie schamlos ausgenutzt wird. Nach dem Motto: „Auf vielen Flächen produzieren und aus den Böden alles rausholen, was geht.“ Aber das ist für den Präsidenten des Naturschutzbundes Deutschland (Nabu), Jörg-Andreas Krüger, nur die halbe Wahrheit.
„Es gibt genügend Ackerflächen in Deutschland, um die Menschen mit gesunden Lebensmitteln zu versorgen, ohne dass Natur zerstört wird.“ Doch dafür, so Krüger gegenüber FORUM, müssen „die landwirtschaftlichen Produkte auf dem Teller und nicht im Tank oder dem Trog landen. Außerdem dürfen Ackerflächen nicht für die Energiewende verwendet werden.“ Spätestens hier trifft die Agrar- auf die Energiewende.
Deutschlandweit sollen zwei Prozent der Fläche bis 2030 für Windkraft und Fotovoltaik genutzt werden. Doch diese Flächen gehen auf Kosten der Landwirtschaft, in besiedelten Gebieten lassen sich die für die Energiewende notwendigen Anlagen praktisch nicht bauen. Wie das ausgeglichen zwischen Agrar- und Energiewirtschaft bewerkstelligt werden kann, darüber gibt es zwischen den Agrar- und den Energie-Bauern keine klare Linie – auch wenn sie zusammen demonstrieren.
Weiterer Knackpunkt in dieser Debatte ist die soziale Frage. Nicht nur erneuerbare Energie muss bezahlbar sein, sondern auch gesunde Ernährung. Weniger tierische, dafür mehr pflanzliche Produkte stehen dabei bei einem Gutteil der Bevölkerung hoch im Kurs. Doch bedeutet mehr vegane Kost, dass mehr Ackerflächen gebraucht werden, um die zusätzlich benötigten pflanzlichen Produkte anbauen zu können?
Inka Lange vom Bündnis „Wir haben es satt“ argumentiert: „Wenn wir zum Beispiel weniger Futtermais anbauen und die damit frei werdenden Flächen nutzen, um für die Menschen Essen zu schaffen, wäre schon eine Menge gewonnen. Das Angebot würde sich erhöhen und damit wird es für jedermann auch wieder bezahlbar.“ Aus Sicht von Bauernpräsident Joachim Rukwied eine heikle These, die er so nicht stehen lassen will. Auf FORUM-Nachfrage, warum sich denn nun auch die Futtermittelpreise verdoppelt, in einzelnen Sparten gar verdreifacht hätten, verwies er auf die großen Lebensmittelkonzerne, die in großen Chargen den Futtermittelmarkt leergekauft hätten. Hintergrund, so Ruckwied, seien die explodierten Soja- und Weizenpreise während der Pandemie und nach dem Überfall Russlands auf die Ukraine mit den daraus resultierenden Lieferengpässen gewesen.
Explodierende Preise für Soja und Weizen
Anstelle von Soja wird in Europa auch Weizen als Grundstoff zum Beispiel für Ersatzprodukte zu tierischen Produkten wie Schnitzel, Wurst, Hühnchen oder Gans verwendet. Doch nach der Preisexplosion sei man halt auf die Futtermittel für die Tierhaltung umgestiegen. Geschmacklich macht das keinen Unterschied, Lebensmittel-Chemiker und Ingenieure sorgen beim fertigen Produkt für den entsprechenden Geschmack. Damit ist zumindest eine erste Forderung von Nabu-Präsident Krüger in Erfüllung gegangen: Landwirtschaftliche Produkte landen tatsächlich nicht mehr im Trog, sondern auf dem Teller, auch wenn das dem Verbraucher nicht immer ganz klar wird und so auch nicht wirklich kommunizierbar ist. Allein dieses Beispiel zeigt, dass nicht nur die Produzenten der landwirtschaftlichen Grundversorgung der Bevölkerung zwiegespalten sind. Selbst bei der gesunden Ernährung ist der richtige Weg nicht klar erkennbar.
Allen inneren Widersprüchen zum Trotz sind sich Bauern, Natur- und Klimaschützer und Sozialaktivisten einig: So wie bisher kann es nicht weitergehen.
Landwirtschaftsminister Cem Özdemir kann beim besten Willen keine einfache Antwort auf diese schwierige Gemengelage finden. Immerhin geht es um vernünftige Produktionspreise für die Landwirte, Tierschutz, bezahlbare gesunde Ernährung durch natürliche Lebensmittel, das alles unter dem Anspruch des Klima- und Artenschutzes, und obendrein soll dann noch eine Energiewende im Einklang mit der Natur auf den Weg gebracht werden. Landwirtschafts-, Energie- und soziale Ernährungswende werden nur klappen, wenn die Verbraucher mitspielen. Dass das kein einfaches Unterfangen ist, liegt auf der Hand.