Seit Jahresbeginn ist das deutsche Lieferkettengesetz in Kraft, aber weiterhin herrscht viel Unsicherheit. Über die Ziele ist man sich im Grunde einig – gerungen wird weiter über Praktikabilität bei der Umsetzung.

Vom Smartphone bis zu Avocados – Produkte fallen weder vom Himmel noch werden sie in aller Regel direkt vor der Haustür produziert. Vieles reist erst um die halbe Welt, bevor es bei uns in den Regalen und Auslagen auftaucht. Manches wird bekanntlich unter Bedingungen hergestellt, die wir nicht sehen möchten. Einiges hat sich in der Vergangenheit bereits ‚erzwungen-freiwillig‘ verbessert. Freiwillig, weil noch ohne gesetzliche Vorgaben – erzwungen, weil wir Verbraucher und viele NGOs (Nicht-Regierungs-Organisationen) Druck gemacht haben.
Weil das aber an Grenzen stößt, hat der deutsche Gesetzgeber Unternehmen verpflichtet, bei ihren Lieferketten auf die Einhaltung von Menschenrechten und menschenwürdige Arbeitsbedingungen zu achten: keine Zwangsarbeit, keine Kinderarbeit, sichere Arbeitsbedingungen und angemessene Löhne.
Das sogenannte Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz, umgangssprachlich Lieferkettengesetz, gilt seit Jahresbeginn – und stiftet immer noch Verwirrung. Für zusätzliche Verunsicherung sorgt, dass auf EU-Ebene weitergehende Regelungen diskutiert werden. Das entspricht dem hohen Anspruch der EU, betont Prof. Thomas Giegerich vom Europa-Institut in Saarbrücken, nämlich einen Beitrag zu leisten „zu globaler nachhaltiger Entwicklung, fairem und gerechten Handel, Beseitigung der Armut, Schutz der Menschenrechte, insbesondere Rechte des Kindes, Menschen- und Grundrechten weltweit zu stärkerer Geltung verhelfen“.
Bislang hätten nur Deutschland und Frankreich ein solches Lieferkettengesetz, in den Niederlanden gebe es ein Gesetz speziell gegen Kinderarbeit, so Giegerich bei einer Diskussion der Asko Europa-Stiftung in Saarbrücken. Vorteil einer europäischen Regelung wäre, dass interner Wettbewerb zwischen den Mitgliedsländern verhindert würde. Das Problem ist, dass Regelungen effektiv genug sein müssen, um die Ziele zu erreichen, aber Unternehmen nicht überlasten dürfen. „Darüber sind sich alle einig. Aber wo genau der Weg ist, daran scheiden sich die Geister.“
Zufrieden, dass es endlich eine gesetzliche Regelung gibt, ist Roland Röder von der Aktion 3. Welt Saar. „In gewisser Weise haben wir euch das eingebrockt“, betont Röder, denn die Aktion 3. Welt Saar ist Mitglied der bundesweiten Initiative für ein Lieferkettengesetz. Allerdings geht auch er nicht davon aus, dass nun alles klar sei. „Ja, es bedeutet für Unternehmen mehr Aufwand, ja, es verteuert die Angelegenheit, aber es wird ein sehr langer Weg, das umzusetzen. Es ist sehr komplex, bietet auch viele Schlupflöcher.“
Michael Arretz, Nachhaltigkeitsmanager mit Erfahrungen von Otto bis Kik und heute Geschäftsführer des Verbandes der Fertigwarenimporteure, räumt ein, dass der Druck durch NGOs, insbesondere die Discounterkampagne, wesentlich dazu beigetragen hat, dass Nachhaltigkeit und Einhaltung von Menschenrechten besser beachtet werden. Umfragen bestätigen das. Rund 75 Prozent der Befragten sprechen sich für ein Lieferkettengesetz aus. Aber bei der Einhaltung von Menschenrechten in Lieferketten seien viele Unternehmen immer „noch nicht wirklich so aufgestellt, dass man sagen könnte, es ist gut“. Er begrüßt eine gesetzliche Regelung, „damit alle sich daran halten“. Das deutsche Lieferkettengesetz sei „mit 24 Paragrafen auf elf Seiten nicht so kompliziert, wie es den Anschein hat“. Deshalb gebe es auch „keine Entschuldigung, weil zu kompliziert – alle müssen mitmachen“.
Zwischen Effektivität und Praxistauglichkeit
Aber ganz so einfach scheint es dann doch wieder nicht zu sein. Denn wie weit müssen Unternehmen ihre Lieferketten zurückverfolgen? Es habe „keinen Sinn, dass man daneben stehen muss, wenn seltene Erden geschürft werden“, unterstreicht Oliver Groll, bei der IHK Saar für Internationales zuständig. Dabei geht es ihm schlicht um „die Praxistauglichkeit, nicht um das Prinzip, denn dass der Staat Richtlinien setzt, ist unbestritten“. Das gelte schon lange für Umweltaspekte. Dass dies nun auch für soziale Standards gelte, sei relativ neu, aber nicht völlig überraschend. Unternehmen seien jedenfalls „nicht aus allen Wolken gefallen“. Ihm geht es vor allem um Praxistauglichkeit und Verhältnismäßigkeit der Regelungen: „Bringt eine Maßnahme im Vergleich zum Aufwand das gewünschte Ergebnis?“
Natürlich werde auch die IHK den Unternehmen bei der Umsetzung zur Seite stehen, aber vieles sei eben noch nicht abschließend klar. „Irgendwie wird es schon gehen. Aber natürlich sind die elf Seiten nur der Anfang.“ Auch Thomas Giegerich räumt ein, dass das Gesetz „wie jedes Gesetz auch Auslegungsschwierigkeiten mit sich bringt, was zum Beispiel mit einem Begriff genau gemeint ist“. Erwartbar sei folglich, dass es bei der Umsetzung auch zu Klagen kommen werde, und sich durch Gerichtsentscheide Dinge klären.
Wie weit muss nun ein Unternehmen seine Lieferkette kontrollieren? Michael Arretz meint, das deutsche Gesetz verlange, dass ein System aufgebaut wird, „mit dem ich die Einhaltung der Menschenrechte kontrollieren kann. Ich muss nicht die gesamte Lieferkette kontrollieren“. Das werde dann über die EU geregelt. Giegerich wiederum meint, das Gesetz erfasse alle Schritte bis zum mittelbaren Zulieferer, also eigentlich bis hin zur Rohstoffgewinnung. Das aber „in angemessener Weise, wir wollen es nicht übertreiben, aber grundsätzlich deckt es die ganze Lieferkette ab“. Für Arretz gibt das deutsche Gesetz sozusagen „Zeit zum Üben“, bevor schärfere Regelungen auf EU-Ebene greifen.
In Deutschland gilt das Lieferkettengesetz für Unternehmen mit mehr als 3.000 Beschäftigten, ab 2024 wird die Grenze auf 1.000 Beschäftigte sinken.

In diesem Jahr sind nach Angaben des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung rund 700 Unternehmen betroffen, im kommenden Jahr wird die Zahl auf knapp 3.000 steigen. Betroffen sind auch deutsche Tochterunternehmen ausländischer Firmen, wenn diese ihren Sitz in Deutschland haben.
Unternehmen müssen jährliche Berichte vorlegen, die vom Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle kontrolliert werden. Bei Verstößen drohen durchaus beachtliche Bußgelder, bei schwerwiegenden Verstößen auch der Ausschluss der jeweiligen Unternehmen von öffentlichen Beschaffungen.
Bislang würden nach Angaben des Bundesministeriums gerade mal 20 Prozent der Unternehmen die Vorgaben erfüllen. Oliver Groll hält das für durchaus nachvollziehbar. „Aus Unternehmenssicht wartet man, bis man hinreichend Gewissheit hat, was auf einen zukommt.“ Allerdings mache es durchaus Sinn, sich mit seinen festen Lieferanten frühzeitig darüber zu unterhalten.
Dass es auch Widerstand gegen das Lieferkettengesetz gibt, ist wenig verwunderlich, denn ohne Mehrbelastung für die Unternehmen wird es nicht umgesetzt werden können. Roland Röder rät aber mit einem Vergleich zur Gelassenheit: „Auch nach der Einführung des Mindestlohns ist die Wirtschaft nicht untergegangen.“