Im Rahmen von „Zeitgeist Irland“ wird dieses Jahr in ganz Deutschland Kunst und Kultur von der „Grünen Insel“ präsentiert – mit all ihren Facetten. In Berlin ist jetzt Sheena McGrandles’ „MINT: An Opera on Money“ zu sehen.
Wenn sich am 24. März im Hebbel-Theater, dem HAU1, über Sheena McGrandles’ „MINT: An Opera on Mo-ney“ der Vorhang hebt, dann steht dieses viertägige Gastspiel im Schnittpunkt gleich zweier Großereignisse. Zum einen ist das „Zeitgeist Irland 24“. Als Initiative von Culture Ireland und der Botschaft von Irland in Deutschland wird es eine ganze Saison lang zeitgenössische Kultur aus der Inselrepublik auf Bühnen und an Aufführungsorten verschiedener Städte geben, von Literatur bis zu traditioneller irischer Musik, Gesang, Tanz und Performances. „Zeitgeist Irland 24“ präsentiert eine neue Generation irischer Künstler, die sich ihrem nationalen Erbe verpflichtet fühlen und ebenso fest in der Gegenwart verankert sind.
Neue Generation irischer Künstler
Mit mehr als 120 Projekten, die über 400 Künstlerinnen und Künstler einschließen, wird sich Irland dieses Jahr fast flächendeckend in gut 100 Städten und Gemeinden der Bundesrepublik präsentieren. Den Startpunkt gab im Januar eine Gala im Berliner Metropol, die den Reichtum und die Vielfalt irischer Kunst feierte. Weitere Veranstaltungen laufen etwa am Staatstheater Mainz und beim Literarischen Colloquium Berlin, bei der Transmediale und dem Internationalen Trickfilm-Festival Stuttgart. Irische Kunst von Theater bis Tanz ist zwar seit eh und je fest im deutschen Veranstaltungskalender vertreten. Diesmal jedoch geht es um eine größer angelegte Charmeoffensive, die freilich auch andere Interessen verfolgt. Entsprechend teilen sich mehrere Partner die Kosten von 2,5 Millionen Euro. So stellen Culture Ireland, zuständig für die weltweite Förderung irischer Kunst, und Tourism Ireland, beide Teil des Ministeriums für Tourismus, Kunst, Kultur, Sport und Medien, 1,5 Millionen Euro zur Verfügung; die restliche Million steuert das Ministerium für Auswärtige Angelegenheiten bei. Das führt, so hofft man, auch dem Inseltourismus neue Kunden zu.
Zweiter Schnittpunkt, in dem Sheena McGrandles’ Gastspiel steht, ist eine ambitionierte Programmreihe im HAU Hebbel am Ufer. „Wem gehört die Welt?“, fragt sie provokant die gesamte Spielzeit über und nimmt weniger die soziale Herkunft als die gesamtgesellschaftliche Verteilung von Eigentum ins Visier. In Theaterproduktionen, (Online-)Performances und Diskursveranstaltungen beschäftigt sie sich mit den Klassenverhältnissen, wie man sie seit dem Zusammenbruch des Sozialismus überholt wähnte. Doch soziale Ungerechtigkeit, die sich in einer zunehmenden Streikbereitschaft ausdrückt, ungleiche Bildungschancen, Abstiegsszenarien und der Ruf nach Vergesellschaftung als Allheilmittel bringen den alternativlos geglaubten Kapitalismus in Bedrängnis.
Was hat all das mit Sheena McGrandles und ihrem Stück „MINT: An Opera on Money“ zu tun? Da ist einmal ihre Herkunft aus der Arbeiterklasse. Geboren wurde sie in einer nordirischen Kleinstadt nahe Belfast, ist jedoch katholisch konfessioniert. Die Mutter hatte neun Schwestern, der Vater verließ mit 13 die Schule. Weil Sheena keinerlei direkten Zugang zu Tanz hatte, lernte sie Ballett, zum Festhalten mit der Hand auf der Heizung, auto-didaktisch aus einem Buch, das sie fand und Tanz allgemein aus dem Fernsehen. Die Eltern nahmen auf ihr Haus eine Hypothek auf, von der sich die Tochter einen Ausbildungsplatz am Laban Centre in London leisten konnte. Dort wurde sie mit verschiedenen Techniken konfrontiert, Cunningham, Graham, Release, und erwarb nach drei Jahren einen Bachelor-Titel. So wurde sie zum ersten Familienmitglied mit Hochschulabschluss.
Danach jobbte sie unter anderem in einem Sozialamt, ehe sie 2010 nach Berlin kam. Ein Exzellenz-Stipendium der Studienstiftung des deutschen Volkes ermöglichte ihr hier ein Masterstudium am Hochschulübergreifenden Zentrum (HZT), dem sich eine achtmonatige Residenz auf Kampnagel, Hamburgs renommierter Spielstätte für zeitgenössischen Tanz, anschloss. Von 2013 bis 2018 intensivierte sie ihre Arbeit als freischaffende Tänzerin und Choreografin und unterrichtete im Bachelor- und Masterprogramm am HZT.
Sheena McGrandles hat sich mit zähem Fleiß eine Position im zeitgenössischen Tanz erobert. Bereits zweimal wurden ihre Arbeiten zur Tanzplattform Deutschland, einer Leistungsschau der Besten, eingeladen. Welche Themen interessieren sie besonders? Es gebe zwei Hauptlinien: choreografische Fragen zum Komplex Zeit, wie er sich im Körper spiegelt, und als Material, mit dem man virtuos umgehen kann, mit Tempo oder in Langsamkeit. Die zweite Hauptlinie bilden soziopolitische Fragen, stets in Zusammenarbeit mit anderen Künsten und Künstlern. Teamwork ist ihr enorm wichtig. Seit 2017 hat sie sich mit einer kleinen künstlerischen Familie um-geben. Dazu zählen Performer, die Dramaturgin Mila Pavićević, der Komponist Stellan Veloce. Mit ihm verstehe sie sich fast wortlos, sagt sie: Wenn sie ihm ein Thema nennt, weiß er schon, was er zu liefern hat. Auf diese Weise sind rund zehn Produktionen entstanden, fünf davon abendfüllend. Auf ein schon gezeigtes Musical wird 2025 ein Ballett folgen. Zwischendrin steht die Oper „MINT“.
Jeder hat eine Beziehung zu Geld
Im Deutschen steht das Kürzel MINT für Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik. Nein, sagt Sheena McGrandles, damit habe ihr Stück nichts zu tun. Vielmehr beziehe sich der Titel auf seine britisch-englische Bedeutung, jemand sei reich, eben minted. Womit wir beim Geld wären. Ausgangspunkt für sie war jene noble Tat der Eltern, ihr durch Geldaufnahme ein Studium zu finanzieren. Niemand spreche in Deutschland über Geld, meint sie, in Großbritannien aber schon. Obwohl doch jeder eine Beziehung zu Geld hat. Ursprünglich sollten all ihre Performer aus der Arbeiterklasse stammen, was dann doch nicht ganz gelungen ist. Dennoch gehe es für jeden um die Spannweite monetärer Beziehungen, von Horror über Melancholie bis Glück, mal poetisch, mal hart und krass. So sei gemeinsam die „Oper um Geld“ entstanden. Ob mit Geld als Glaubenssache und als Äquivalent für geleistete Arbeit.
Es wird gesungen und getanzt, einstudiert mit einem Meister für irischen Stepptanz. Ein nordirischer Poet steuerte Texte bei. „MINT“ biete weder eine neue Weltvision noch Antworten auf drängende Zeitfragen, resümiert Sheena Mc Grandles, es sei aber auch kein utopisches Stück. Momentan gebe es ganz allgemein keine in die Zukunft weisenden Aspekte, sagt sie. Lediglich über eine zweijährige Basisförderung seitens des Berliner Senats finanziell abgesichert, will sie ihre politische Arbeit über den Raum und um Geld für die Tanzszene fortsetzen. Nebenbei engagiert sie sich noch in der kollektiven Leitung des Heizhauses als Teil der Uferstudios. Es sei hart, in Berlin zu überleben, sagt sie – und spricht damit wohl für einen Großteil der Freien Szene.