Schnell kracht es, wenn der Fahrer einen „Tempo-Runter“-Hinweis an der Straße übersieht. Deshalb sind seit Juli in der EU handlungsbereite, intelligente Geschwindigkeitsassistenten in Neuwagen Pflicht. Sie sollen via Echtzeitdaten Unfälle reduzieren sowie vernetztem und automatisiertem Fahren Beine machen.
Automatisierungsattribute in Autos sind sinnvoll. Vor allem, wenn es darum geht, dass Menschen sicherer als bisher im Verkehr unterwegs sind. Ein Drittel weniger Unfälle, 20 Prozent weniger Todesfälle: Eine Realisierung solcher Schätzungen wäre schön. Deshalb kam „ISA“: Die drei Buchstaben kürzen die englische Bezeichnung „Intelligent Speed Assistance“-System, also eines intelligenten Geschwindigkeitsassistenten oder vielmehr einer Tempo-Assistentin, ab. ISA soll die im Moment zulässige Höchstgeschwindigkeit für die gerade befahrene Straße oder Spur in Augenhöhe des Fahrers auf einem Display anzeigen. Fährt er zu schnell, soll das fahrzeuginterne System den Menschen am Steuer warnen oder gar den Motor passgenau drosseln.
Verbindlich für alle Neufahrzeuge
Ein Zuckerl gibt es für den zusätzlichen Aufwand für die Automobilhersteller: Sie haben die Chance, im Rahmen des europäischen Programms zur Bewertung von Neuwagen (New Car Assessment Program, NCAP) eine höhere Punktzahl für Sicherheitsassistenz zu erreichen. Dafür müssen sie ihre Fahrzeuge mit genauen Informationen über Geschwindigkeitsbegrenzungen ausstatten. Seit 2022 schreiben EU-Rechtsvorschriften ISA für alle Neufahrzeuge und seit Juli 2024 verbindlich für alle bestehenden Fahrzeugreihen vor. Diese Rechtsvorschriften sollen für alle europäischen Pkw, Transporter, Lkw und Busse gelten.
Zuverlässigkeit wird überprüft
Heißt das im Umkehrschluss, dass ich ISA umgehen kann, wenn ich mit einem japanischen, chinesischen oder britischen Fahrzeug durch Europa fahre? Diese naheliegende Frage stellte ich Giovanni Giancaspro, Segment Manager für ADAS und automatisiertes Fahren bei TomTom. „Die Verordnung betrifft alle in Europa verkauften Neufahrzeuge, unabhängig von Marke und Herkunft, also auch japanische, chinesische und britische Fahrzeuge“, sagt der Manager des Spezialisten für digitales Kartenmaterial und Navigationssysteme. Ausweichen ist also nicht drin: Ohne ISA dürfen keine neuen Pkws und Nutzfahrzeuge mehr in die EU eingeführt werden. Egal, welche Typen oder Modelle.
Anders sieht es für ältere Autos, Busse, Transporter und Lieferwagen aus. Fahrzeuge, die bereits auf der Straße seien, unterlägen nicht der neuen ISA-Verordnung und müssten nicht nachgerüstet werden, betont Giancaspro. Stichwort „neu“. Die Hersteller bauen schon länger vor, weshalb ISA manchen als Mitfahrerin bekannt ist. Wenn auch vielleicht nicht namentlich: Piept es bei Ihnen schon, wenn Sie auf die Bremse treten sollen? Oder drücken Sie das Gaspedal gar kräftig durch, sobald Ihre Fahrassistentin ISA die Gaszufuhr sanft reduziert?
Was ist in Ihrem Auto los, wenn sich Widerstreit entwickelt, weil ISAs Ziel ist, das Tempo an die jeweils erlaubte Geschwindigkeit anzupassen? Die Absicht des Fahrers aber dahin geht, die Motorleistung auszukosten und ISA deshalb zu überlisten? Nach bestem Wissen, versteht sich: Warum nicht, ein Tempolimit-Schild sei ihm nun wirklich nicht aufgefallen? Wie auch, so ein verdrecktes Etwas im Nieselregen? Oder weil gar kein Verkehrsschild dasteht, die Vorschrift hier trotzdem nach allgemeinen Regeln gilt?
Solche Ausreden nützen jedoch nichts mehr: ISA ist jetzt da, sie wurde zu größtmöglicher Genauigkeit verpflichtet. Auf sie zu hören, lohnt sich. Zum Hintergrund: Theoretisch genügt es für ISA, dass eine eingebaute Kamera Schilder zu Geschwindigkeitsbegrenzungen erkennt. Doch in der Praxis führen Regen, Schnee, Nebel oder auch fehlende Schilder dazu, dass ISA und Fahrer nicht wissen, welches Tempo gerade vorgeschrieben ist. Deshalb unterstützen digitale Daten und Systeme, verfeinert mit Künstlicher Intelligenz (KI) und maschinellem Lernen (ML), die Geschwindigkeitsassistentin darin, Karten- und Echtzeitwissen aus anderen Quellen zum Abgleich hinzuzuziehen. Erfahrene Zulieferer wie TomTom oder HERE bieten sie den Automobilherstellern für die jeweiligen ISA-Vorrichtungen in den Fahrzeugreihen an. Und setzen hierbei auch auf ADAS. Der ist kein griechischer Gott, sondern der Kurzname für automatische Fahrassistenzsysteme, wie sie schon länger mit an Bord sind.
Ein vorschriftsmäßig funktionierendes ISA-System sollte auch „implizite“ oder nicht ausgeschilderte Verkehrsregeln und -vorschriften erkennen, die laut HERE Technologies mehr als 60 Prozent aller Geschwindigkeitsbegrenzungen in der EU ausmachen. ISA muss etwa wissen, dass gerade ein Ortschaft-spezifisches Tempolimit gilt.
Seit ADAC-Experten fünf Geschwindigkeitsassistenten untersuchten und 2018 zum Ergebnis kamen: „Die Systeme funktionieren gut, aber mit zehn Prozent Fehlerquote sind sie nicht zuverlässig genug“, haben die EU und entsprechend die Automobilhersteller nachgerüstet. ISA muss nicht nur in alle neuen Pkw, Lieferwagen, Lkw und Busse der Fahrzeugserien der Klassen M und N verbaut sein, die seit Juli verkauft werden. Sondern die EU-Kommission fordert – gemäß der Verordnung – für zwei Jahre seit Juli 2024 auch halbjährliche Rückmeldungen aus der Blackbox an die Behörden der Typgenehmigung.
Es geht dabei etwa um Überblicks-auskünfte darüber, wie viel und wie lange mit ein- und ausgeschalteten Geschwindigkeitsassistenten gefahren wurde. Oder zu Zeit und Strecken, die mit zu viel Tempo beziehungsweise eingehaltener Geschwindigkeitsbegrenzung zurückgelegt wurden. Zudem darüber, wie lange es gegebenenfalls im Durchschnitt dauert, bis ein Fahrer ISA ausschaltet. Denn ISA ist nicht leicht zu ignorieren. Deshalb will die Kommission auch gesammelte Daten zum Fahren mit und ohne ISA getrennt zu „kaskadenartige akustische Warnfunktion“, „kaskadenartige vibrierende Warnfunktion“, „haptische Rückmeldefunktion“ und „Geschwindigkeitsregelungsfunktion“. So kann sich zeigen, ob die Fahrer auf ISA hören. Egal, ob sie piept, schuckelt, ihre Warnung zu ertasten ist oder ob sie selbst runterbremst.
20 Prozent weniger Tote
„Was die Auswirkungen von ISA auf die Straßenverkehrssicherheit betrifft, so schätzt der Europäische Verkehrssicherheitsrat, dass die Masseneinführung von ISA das Potenzial hat, die Zahl der Verkehrsunfälle um 30 Prozent und die Zahl der Verkehrstoten um 20 Prozent zu senken“, betont der Experte Giancaspro.
Weniger Unfälle sollten auch im Portemonnaie zu spüren sein. Sowohl das globale New Car Assessment Program (NCAP) als auch das Euro NCAP-Protokoll sind darauf ausgerichtet, Fahrzeugen mit ISA-Technologie eine höhere Sicherheitsbewertung zu geben. Werden wir niedrigere Versicherungsprämien zahlen müssen, wenn wir mit ISA fahren? „Es wird erwartet, dass die Masseneinführung von ISA in der EU die Zahl der Unfälle und die Häufigkeit von Schadensfällen verringern wird. Die Auswirkungen auf die Versicherungsprämien sind jedoch nicht eindeutig, und es ist noch nicht klar, ob die Versicherer die Prämien aufgrund des Vorhandenseins von ISA-Technologie in Fahrzeugen anpassen werden“, sagt der TomTom-Manager dazu. Allerdings könnten die Versicherer bereits Daten aus anderen Technologien nutzen, um das Risikoprofil eines Fahrers zu bestimmen.
Fazit: Eine wohlinformierte und handlungsbereite ISA ist keine Spaß- sondern eine Risikobremse. Willkommen, ISA.