In Zeiten, in denen fast täglich über CO2-Emissionen diskutiert wird, erscheint es fragwürdig, sich einen sterbenden Baum ins Wohnzimmer zu stellen. Der Weihnachtsbaum hat eine lange Tradition. Und es gibt Möglichkeiten, sie und die Umwelt zu schützen.
Insgesamt 6,4 Megatonnen Kohlenstoff wurden 2022 laut CAMS Global Fire Assimilation System (GFAS) durch Waldbrände in Europa allein zwischen dem 1. Juli und dem 22. August freigesetzt. Zahllose Bäume wurden von den Flammen zerfressen. Ist es da noch zulässig, sich zu Weihnachten einen Tannenbaum ins Haus zu holen und ihm dann langsam beim Sterben zuzusehen?
In Deutschland werden im Schnitt pro Jahr 29 Millionen Tannenbäume verkauft. Davon stammen laut Statista rund zwei Millionen aus dem Import, 91 Prozent laut Statistischem Bundesamt aus Dänemark. Die Nordmanntanne ist mit 75 Prozent nach wie vor am beliebtesten, wie die Schutzgemeinschaft Deutscher Wald (SDW) bestätigt. Das wertvolle Saatgut wird aus Georgien importiert.
Die Klimabilanz eines konventionellen Tannenbaums ist also nicht optimal. Und das liegt nicht alleine an der CO2-Bilanz seines Transportweges. Zwar stammen laut Nabu rund 90 Prozent der in Deutschland verkauften Tannenbäume aus deutschem Anbau. Der Naturschutzbund und der SDW machen aber auch hier auf den häufigen Einsatz von Dünger, Pestiziden und Herbiziden aufmerksam. Zwar hält der Bundesverband der Weihnachtsbaum- und Schnittgrünerzeuger in Deutschland (BWS) diesen für noch geringer als bei üblichem Ackerbau. Trotzdem landen die Schadstoffe letztendlich vor allem in den Wohnzimmern von Familien mit Kindern.
Weihnachtsbäume im Topf zur Miete
Schon länger werden nachhaltigere Alternativen diskutiert. Der Nabu rät zu heimischen Fichten, Kiefern oder Tannen. Sogenannte „Öko-Weihnachtsbäume“ kommen laut SDW am besten direkt aus dem Wald oder von Plantagen aus der Region. Zertifizierungen wie „FSC“, „PEFC“, „Naturland“ oder „Bioland“ garantieren einen pestizid- und herbizidfreien Anbau mit natürlichem Dünger durch Schafe. Dazu erfreuen sich Weihnachtsbäume im Topf neuer Beliebtheit, sogar zur Miete. Doch auch diese Bäumchen sollten genauer unter die Lupe genommen werden. Das rät Andreas Frädrich vom „Weihnachtsurwald“ in Potsdam, der sich speziell auf wiedereinpflanzbare Weihnachtsbäume spezialisiert hat.
„Discounter und Baumärkte gaukeln einem häufig vor, man hätte einen lebensfähigen Baum im Topf als Baumschulware. Aber das sind meistens ausgestochene Bäume. Im Grunde ist das Betrug. Das sind Bäume, die nicht mehr anwachsen können, weil die Pfahlwurzel zerstört wurde“, so Frädrich. Weihnachtsbäume im Topf müssen verschult, das heißt über mehrere Jahre von einem kleineren Topf in einen größeren Topf herangezogen werden. Diese Arbeit ist pflegeintensiv, weshalb Bäume aus Baumschulen häufig teuer sind. Deswegen hat Andreas Frädrich ein Konzept entwickelt, bei dem die Töpflinge über eine Plantage gezogen werden können.
„Bäume im Topf fallen oftmals anders aus. Denn sie müssen ja mit dem wenigen Volumen im Topf auskommen“, erklärt der Inhaber des Weihnachtsurwaldes und fährt fort: „Umso schöner die Bäume, umso bedenklicher die Geschichte. Die Idee ist, dass der Baum nicht perfekt sein muss, aber dafür wieder eingepflanzt oder anderweitig wiederverwendet werden kann.“ Frädrich gibt seinen Bäumen eine sechsmonatige Anwachsgarantie. Für alle die, die keinen Garten oder Wald zum Einpflanzen haben, gibt es die Mietoption. „Wieso soll ein Baum für ein Fest zu einem Wegwerfartikel werden? Da kann der noch so nachhaltig angepflanzt werden. Das bringt ja nichts, wenn er dann trotzdem irgendwo auf dem Müll landet“, so Frädrich.
Andreas Frädrich strebt eine Bio-Zertifizierung für sein Konzept an. Da es sich um eine Sonderkultur handele, müsse extra ein Gelände geschaffen und mit den Behörden abgesprochen werden. Im Sinne des Weihnachtsurwaldes und der Biodiversität soll keine Monokultur entstehen. Andreas Frädrich erzählt: „Es werden hier eher zertifizierte Bio-Bäume bevorzugt, aber die kommen dann aus Thüringen oder sonst wo her. Dann muss man sich ja schon fragen, wie das mit dem ökologischen Fußabdruck ist, wenn die quer durch Deutschland gekarrt werden.“ Das habe ihm den Denkanstoß für die eigene Zertifizierung gegeben.
Zwar muss auch er das Saatgut für seine Nordmanntannen wegen der Botanik aus Georgien importieren, wo noch dazu prekäre Arbeitsbedingungen für Erntehelferinnen und -helfer herrschen. Aber auch darüber ist sich Andreas Frädrich im Klaren. Er bemüht sich deshalb, die Nachhaltigkeitsbilanz seiner Nordmanntannen so gut es geht auszugleichen. Die Weihnachtsbäume, die nicht weiter vermietet werden können, wandern daher nach Schleswig-Holstein oder Bayern, wo sie in Mischwäldern angepflanzt werden. Auch hier muss Frädrich die CO2-Bilanz des Transports wohl oder übel in Kauf nehmen, da die Böden Brandenburgs durch den Klimawandel zu trocken sind, um die Tannen einzupflanzen. Trotz allem soll bald im Oberhafenland, einer feuchteren Region Brandenburgs, ein regionales Auspflanzungsprojekt starten. „Aber es wird sicherlich nicht ohne eine Wasserversorgung gehen“, erklärt der Weihnachtsbaumexperte.
Ob das Interesse an anderen Bäumen im Sinne des Umweltbewusstseins gestiegen ist? „Die Nordmanntanne wird weiter traditionell wegen ihrer weichen Nadeln bevorzugt, obwohl sie nicht gebietsheimisch ist. Ortsansässige Kiefern, die zu DDR-Zeiten beliebt waren, wären eigentlich regional lokal. Die Akzeptanz als Weihnachtsbaum ist aber nicht da, das Klischee fehlt. Und Fichten sind leider out, obwohl sie sehr interessant aussehen, aber sie pieken zu sehr“, winkt Frädrich ab. Daneben kritisiert er das Überangebot an Tannen auf einem Markt, auf dem sich schlecht bezahlte Arbeitskräfte gegenseitig unterbieten. „Es gibt ein Preis-Dumping. Und dann hat man im Frühjahr Müllberge an Bäumen. Das ist doch Quatsch.“
Müllberge an Bäumen im Frühjahr
Was passiert mit den toten Bäumen, wenn sie keiner mehr braucht? Viele trösten sich damit, dass die Tannenbäume in Zoos gebracht werden. Doch auch das betrachtet Andreas Frädrich kritisch: „Das sind immer so Schönrechnungen, die einem jedes Jahr zu Weihnachten unter die Nase gehalten werden, beispielsweise das mit dem Elefantenfutter. So viele Elefanten haben wir gar nicht, wie wir übriggebliebene Weihnachtsbäume haben.“
Laut SDW liefern die circa 350.000 übriggebliebenen Weihnachtsbäume in Berlin 500 Haushalten Strom und Fernwärme über Biomassekraftwerke. In Leipzig werden die Bäume kompostiert und zu Humus, in München fertigt man daraus wenigstens zum Teil Spanplatten. Doch für Andreas Frädrich ist der Weihnachtsbaum im Topf, ob gekauft oder zur Miete, immer noch die umweltfreundlichste Option. Denn diese Bäume müssen nicht sterben. „Wir schmeißen keinen lebendigen Baum weg. Wenn der Baum grün ist und ein funktionierendes Wurzelwerk hat, dann hat dieser Baum einen Wert.“
Die Frage nach einem Plastikbaum als Alternative ist für ihn schnell geklärt: „Ich halte nichts von Plastikbäumen. Es ist erwiesen, dass diese noch viel schädlicher sind.“ Aufgrund von Produktion und Transport müsste ein Plastiktannenbaum laut SDW 17 Jahre aufgestellt werden, um überhaupt als ökologische Alternative gelten zu können. Und dann bleibt immer noch der Plastikmüll. Andreas Frädrich findet: „Man braucht nicht auf einen Weihnachtsbaum zu verzichten. Viele Menschen haben gar keine Beziehung mehr zur Natur. Der Weihnachtsbaum ist ein schöner und erhaltenswerter Brauch aus unserem Kulturkreis, mit dem die Leute sich ein Stück Natur nach Hause holen.“ Und das soll auch so bleiben.