Wenn die Lunge streikt, bricht der ganze Körper zusammen. Wie man die ersten Warnzeichen erkennt und welche Behandlungsoptionen zur Verfügung stehen, weiß Dr. med Özkan Kalem.
Herr Dr. Kalem, welche Funktion hat die Lunge?
Neben der Haut gehört die Lunge zu den größten Organen, die mit der Außenwelt zu tun haben. Sie ist dafür da, CO2 zu eliminieren und unser Blut mit Sauerstoff anzureichern, der von jeder einzelnen Zelle gebraucht wird. Kommt nicht genug Sauerstoff in den Zellen an, dann leiden die Zellen und damit auch alle anderen Organe. Das wiederum schränkt die Lebensqualität erheblich ein und kann in manchen Fällen sogar bis zum Tode führen.
Wie sehen die ersten Warnzeichen der Lunge aus?
Das erste Zeichen ist in der Regel Luftnot. Der Fachbegriff lautet Dyspnoe. Das ist eine subjektiv empfundene Luftnot, welche sehr stark zwischen den Personen variieren kann. Wenn es tatsächlich der Fall ist, dass die Lunge nicht funktioniert, dann leidet der gesamte Körper. Das heißt, dass sich der Allgemeinzustand verschlechtert: Die Kraft lässt nach, man kann sich nicht mehr so belasten wie vorher, etwa wenn man sich sportlich betätigt und Laufen geht. Man muss viel mehr Ruhepausen einlegen, um weitermachen zu können. Je weniger Luft, umso schlechter die Lebensqualität.
Auf der anderen Seite kommt es auch darauf an, womit die Lunge konfrontiert ist. Wenn sie beispielsweise mit Bakterien oder Viren konfrontiert ist, kann es zu einer allgemeinen Infektionskonstellation kommen. Neben Fieber können grippale Symptome auftreten. Es kann zu einem produktiven (verschleimten) Husten kommen. Das führt wiederum zu Luftnot und damit zur körperlichen Einschränkung.
Es gibt aber auch viele chronische Erkrankungen. Im Bergbau beispielsweise, der ja im Saarland sehr verbreitet war, hatten die Bergleute viel Kohle- und Steinstaub inhaliert, der sich natürlich auch in der Lunge abgesetzt hat, sogennannte Anthrakosilikose. Dadurch kann es zu einer Veränderung des Lungengewebes (Pneumokoniose, Lungenfibrose) kommen, die zur Luftnot und damit zur Einschränkung der körperlichen Aktivität und der Lebensqualität führen.
Stichwort Feinstaub: Welche Auswirkungen hat die ansteigende Luftverschmutzung auf die Gesundheit?
Es kommt natürlich auf den Wohnort an, aber auch auf den Beruf, der ausgeübt wird. Dabei spielen sowohl exogene Faktoren, also wo man sich aufhält und welche Luftqualität dort vorherrscht, als auch endogene Faktoren, damit ist die Reaktion des eigenen Körpers auf die äußeren Gegebenheiten gemeint, eine erhebliche Rolle.
Manche reagieren auf bestimmte Stoffe allergisch, wie zum Beispiel Pollen, oder atmen giftige Stäube, wie auch Feinstaub und entwickeln mit der Zeit Asthma oder chronische Bronchitis. Bei Asthma können unter anderem andere Faktoren auch eine Rolle spielen. Deswegen existieren diverse Asthmaformen wie kälteinduziertes Asthma, medikamenteninduziertes Asthma, allergisches Asthma und so weiter. Wer raucht, entwickelt eine chronische Bronchitis. Bei 90 Prozent aller COPD-Erkrankten (chronisch obstruktive Lungenerkrankung) lässt sich die Ursache auf das Rauchen zurückführen.
Und damit wäre man wieder bei den endogenen Faktoren. Die einen tolerieren das 30 oder 40 Jahre ohne starke Einschränkung, die anderen tolerieren es weniger. Bei dem Einen kann es zum Beispiel zu einer frühen Lungenkrebserkrankung, beim Anderen kann diese Erkrankung später kommen. Man kann sagen: Wer raucht entwickelt definitiv Lungenkrebs – er muss nur lange genug dafür leben. Aber auch andere Formen der Lungenerkrankungen können sich entwickeln. Diese Erkenntnis findet sich in zahlreichen Studien wieder. Je nachdem, auf welche Studien man sich bezieht, kostet jede gerauchte Zigarette zwischen sechs und acht Minuten Lebenszeit.
Wenn zudem Feinstaub dazu kommt, können sich unter anderem diese Erkrankungen deutlich schneller entwickeln und die Lebenserwartung dadurch reduziert werden. Aufgrund der Dyspnoe leiden oft die Patienten.
Es kommt also zu einer Dyspnoe und der Patient klagt über Atemnot. Wie läuft das weitere Prozedere ab?
Die Ursachen für Atemnot sind sehr vielfältig. Risikofaktoren für die Entwicklung der Dyspnoe sind Rauchen, hohe Luftschadstoffwerte, starkes Übergewicht, Medikamente und Bewegungsmangel. Aber auch sehr viele Erkrankungen spielen eine Rolle. Hier sind einige Beispiele: Die Psyche (Angststörung, Depression, Stress), Herzerkrankungen (Herzschwäche, koronare Herzerkrankungen), Lungenerkrankungen (chronische Bronchitis, Asthma, Lungengerüsterkrankungen), Stoffwechselstörungen, Blutarmut, Tumorerkrankungen (Lungenkrebs), Lungenhochdruck, Verletzungen des Brustkorbs und so weiter.
Deshalb muss der Arzt zunächst gut hinhören und die entsprechenden Fragen stellen, was der Patient haben kann und welches Organ am ehesten betroffen ist. Manchmal sind auch mehrere Organe beteiligt.
Neben der körperlichen Untersuchung und dem Labor werden je nach vermuteter Erkrankung entsprechende apparative Untersuchungen durchgeführt.
Die Lungenfunktion kann mit sogenannter Bodyplethysmographie, Spirometrie oder Spiroergometrie überprüft werden. Hier können unter anderem Aussagen über das Lungenvolumen, ob diese geschrumpft oder überbläht ist, ob Verengung der Luftwege bestehen und so weiter getroffen werden. Mit der Blutgasanalyse weiß man, ob das Blut ausreichend mit Sauerstoff versorgt und der CO2-Wert eliminiert wird. COPD-Patienten beispielsweise können die Luft zwar gut aufnehmen, aber haben Probleme, diese komplett auszuatmen. Mit der Zeit führt dies zu einer Überblähung und bei anhaltender Überblähung zur Zerstörung des Lungengewebes, sogenanntes Lungenemphysem. Es kommt zunächst zum Sauerstoffabfall und dann zum Anstieg des CO2-Werts. In dieser Konstellation sind die Patienten körperlich deutlich eingeschränkt. Neben der medikamentösen Therapie wird Sauerstofflangzeittherapie und häusliche Beatmungstherapie (NIV) durchgeführt. In speziellen Situationen können bei einem Lungenemphysem Ventile in die Bronchien implantiert werden. Damit sorgt man dafür, dass gesunde Areale der Lunge besser belüftet werden, sodass die Patienten mehr Luft zur Verfügung haben. Dieses Verfahren wird in sehr spezialisierten Lungenfachabteilungen angeboten, ebenfalls auch bei uns.
Bei Lungenschrumpfung, also Lungenvolumenreduktion beziehungsweise restriktiven Ventilationsstörung ist am ehesten von einer Lungengerüsterkrankung (Lungenfibrose) auszugehen. Eine radiologische Bildgebung mittels Röntgenaufnahme der Lunge, besser mittels Computertomographie können dies bestätigen und zusätzliche Informationen liefern. Bei unklaren Lungenerkrankungen kann eine Lungenspiegelung (Bronchoskopie) durchgeführt werden. In speziellen Fragen wie Lungenkrebs, ob diese die Lymphknoten um die Luftwege (Trachea, Bronchien) metastasiert (ausgestreut) haben, kann zudem eine ultraschallgesteuerte Punktion (EBUS-TBNA) erfolgen. Das ist bereits sehr speziell und bieten wir bei uns ebenfalls an. Um gegebenenfalls noch weitere Ursachen zu finden, kann auch ein Ultraschall vom Herzen erfolgen. In der Regel haben Patienten mit fortgeschrittenen koronaren Erkrankungen bei Belastung ein Druckgefühl auf der Brust. Bei weiterem Progress tritt das Gefühl auch im Ruhezustand auf. Lungenkranke Patienten haben in der Regel Luftnot, aber nicht unbedingt ein Druckgefühl auf der Brust. Hier gibt es natürlich immer wieder Ausnahmen, deshalb sind eine gute Anamnese und entsprechende apparative Untersuchung auch so wichtig.
Und was kommt danach?
Bei bestimmten Erkrankungen kann man eine gezielte Blutuntersuchung vornehmen. Die Blutgasuntersuchung (BGA) beispielsweise – diese kann man sowohl im Ruhezustand als auch unter Belastung vornehmen und damit kann man Hinweise auf Diffusionsstörung finden. Ist die Lunge gesund, wird der Körper mit ausreichend Sauerstoff versorgt und CO₂ problemlos eliminiert. Die Frage nach dem Säure-Basen-Haushalt des Patienten können beantwortet werden. Aber auch andere spezielle Laborwerte werden herangezogen, um in der Diagnostik weiterzukommen.
Bei manchen Erkrankungen – dazu zählen die unterschiedlichsten entzündlichen Veränderungen der Lunge – müssen auch Proben aus der Lunge entnommen werden, um das veränderte Gewebe genauer definieren zu können. Dann werden von den Stellen, die auffällig geworden sind, durch unterschiedliche Verfahren Proben entnommen. Weitverbreitet ist zum Beispiel die Entnahme mit der Zange. Dabei wird das Gewebe abgezupft, was allerdings auch oft zu Quetschungen der Zellen führt, die vom Pathologen nicht mehr eindeutig beurteilt werden können.
Deshalb bedienen wir uns in unserem Haus einer speziellen Kryo-Sonde. Diese Minisonde wird über das Bronchoskop an die Stelle, an der die Probennahme gemacht werden soll, geführt und vereist das Gewebe bei bis zu minus 65 Grad und das Gewebe kann entnommen werden. Ein sehr schonender Vorgang, der im Vergleich zur Zange das Gewebe weder beschädigt noch quetscht.
Unter anderem kommen andere spezielle diagnostische Verfahren wie Brusthöhlenspiegelung (Thorakoskopie) oder Rechtsherzkatheteruntersuchung zur Abklärung des Lungenhochdrucks (Pulmonale Hypertonie) zur Anwendung.
Medizintechnisch scheint man ja immer besser ausgestattet zu sein. Aber wie sieht es mit den Therapieformen aus? Wie ist hier der Forschungsstand?
Für die medikamentöse Therapie bei COPD gab es in den letzten Jahren keine neuen Ansätze. Was manche Firmen in diesem Bereich machen, ist es, die gleiche Medikamentengruppe zu nehmen und anders zu verpacken. Es gab zwar neue Ansätze, was die Immuntherapie betrifft, diese sind bislang allerdings gescheitert. Bei Asthma hat die Immuntherapie dagegen sehr gut funktioniert. Mit ihrer Hilfe können Patienten sogar symptomfrei werden. Dabei sind sowohl COPD als auch Asthma beides entzündliche (inflammatorische) Erkrankungen, allerdings läuft die Kaskade der Entzündung beim COPDler anders als beim Asthmatiker. Im Bereich der Lungenfibrose oder des Lungenhochdrucks (Pulmonale Hypertonie) existieren mittlerweile spezifische medikamentöse Therapien.
Und wie sieht es mit Lungenkrebs aus? Gibt es hier neue Ansätze?
Lungenkrebs (Bronchialkarzinom) ist immer eine bösartige Erkrankung. Dabei wird anhand der betroffenen Zellen unterschieden, ob es sich um ein klein- oder nichtkleinzelliges Bronchialkarzinom handelt. Beim kleinzelligen Tumor ist der Therapieweg relativ übersichtlich. Beim nichtkleinzelligen Bronchialkarzinom gibt es Untergruppierungen, die mittels molekularbiologischer Untersuchungen weiter differenziert werden kann.
Bei bestimmten molekularbiologischen Veränderungen oder Mutationen kann die Therapie noch gezielter eingesetzt werden. Diese können das Zellenwachstum des Tumors verlangsamen und sogar verkleinern. Diese Form der Therapie ist besser zu tolerieren, das heißt die Nebenwirkungen sind weniger und es verlängert die Lebenserwartung. Das ist natürlich wesentlich differenzierter als eine klassische Chemotherapie, die den ganzen Körper mehr beeinflusst. Wichtig ist hierbei, dass der Pathologe genügend Gewebematerial bekommt, um weitere Untersuchungen durchführen zu können.
Außerdem haben wir auch bei bestimmten Situationen die Möglichkeit, wie zum Beispiel, wenn der Tumor innerhalb der Luftwege wächst und droht, diese zu verschließen, diesen abzutragen (endobronchiale Tumorabtragung mittels Argon-Plasma-Koagulase oder Laser) und den Bereich mittels Stent zu überbrücken.
Die Bestrahlungstherapie ist zunehmend präziser geworden, sodass auch hier die Toleranz der Therapie besser geworden ist.
Was kann man tun, um Lungenerkrankungen vorzubeugen?
Die beste Medizin sind Sport und Bewegung. Hierbei gibt es auch viele Untersuchungen, die zeigen, wie wichtig Sport für unser Leben ist. Das gilt vor allem für Patienten mit Luftnot, wie etwa COPDler. Zwar klagen viele von ihnen bei Bewegung über Atemnot, dabei ist genau das so wichtig, um nicht noch mehr Muskeln abzubauen, was wiederum zu noch mehr Luftnot führt. Man sollte es aber auch nicht übertreiben und sich nicht erschöpfen. Das ist nicht das Ziel. Dafür gibt es mittlerweile viele auf die Erkrankungen angepasste Sportgruppen, die den Patienten beibringen, richtig mit ihrem Körper umzugehen und diesen im richtigen Maß zu belasten. Risikofaktoren wie Rauchen sollten natürlich generell ausgeschlossen werden. Wenn man Allergien hat, sollte man sich soweit es geht von dem Allergen entfernen. Aber auch eine gesunde, ausgewogene Ernährung spielt eine erhebliche Rolle. Damit kann man schon sehr viel fördern. Auf der anderen Seite gibt es natürlich viele exogene Faktoren wie etwa die Luftverschmutzung, auf die man wenig Einfluss hat. Hierauf reagieren die Patienten individuell sehr unterschiedlich.