In ihrem dreigängigen Menü zaubert die Küchenchefin und Inhaberin von „Milla’s Place“ vegane Köstlichkeiten aus Pflanzlichem. Dabei verzichtet sie bewusst auf industriell Hergestelltes wie Produkte aus Sojabohnen- und Klebereiweiß.

Die Winsstraße 9 in Prenzlauer Berg ist ein besonderer Ort. Gypsy-Jazz-Klänge im Django-Reinhardt-Stil tönen aus den Lautsprechern. Später ein paar Klavierakkorde und danach etwas Psychedelisches. Divers wie verspielt gibt sich auch das Interieur des kleinen Lokals im Erdgeschoss: Die eine Wand ist nachtschwarz gestrichen und mit mehreren goldgerahmten Spiegeln dekoriert. Die andere zeigt sich von ihrer mädchenhaften Seite: Große, aufgemalte Blätter- und Blumenmotive in Grün und Rosé schlängeln sich die Wand hoch bis fast unter die Decke. Überhaupt zieht sich das Pflanzenmotiv wie ein roter Faden durch „Milla’s Place“: Hier ein paar sonnengelbe Gerberas im Glas, da ein paar burgunderrote Rosen in der Vase und dort Yuccapalmen und andere Grünpflanzen in Töpfen, Kübeln und Blumenkästen. Es scheint, als sei von weit her eine mediterrane, beinahe tropische Sommerbrise gekommen und habe an der Winsstraße Einzug gehalten.
Mit einem Kindercafé vor Corona gestartet
Einen weiten Weg hat einst auch die Inhaberin des kleinen Restaurants auf sich genommen, denn geboren und aufgewachsen ist Camilla Ribas in São Paulo. Dann zog es die weltoffene Brasilianerin nach Kuba, wo sie an der Filmhochschule Escuela Internacional de Cine y Televisión Filmwissenschaften studierte. „Mein Diplom wurde damals von Gabriel García Márquez unterschrieben“, erzählt die Entrepreneurin nicht ohne Stolz, als sie sich an ihre Studienzeit auf der kubanischen Karibikinsel erinnert. Der bekannte kolumbianische Schriftsteller und Literaturnobelpreisträger war einer der Mitbegründer der Hochschule.

Doch anstelle einer Karriere als Filmproduzentin zeichnete sich für die Studienabsolventin ein anderer Weg ab. Camilla Ribas lernte ihren damaligen Partner kennen, einen Mann aus Köln, mit dem sie 2008 in die deutsche Hauptstadt zog. In Berlin angekommen, wurde sie bald schon Mutter einer Tochter. Neben der Betreuung ihres Kindes ging sie verschiedenen Tätigkeiten nach. Beispielsweise war sie Jury-Mitglied der Berlinale, arbeitete als Executive Producer für das Telekommunikationsunternehmen Nokia und machte eine Ausbildung als Shiatsu-Therapeutin. Weil sie um die Nöte frischgebackener Mütter in der Großstadt wusste, kam die Idee einer Baby-Lounge auf. „Kindercafés haben mich als junge Mutter gerettet“, erinnert sie sich im Gespräch. „Dort habe ich mich nicht so allein gefühlt.“
So wurde sie an der Winsstraße fündig und gründete das Kindercafé „Raumschwalbe“. Camilla Ribas’ Raum wurde ein beliebter Treffpunkt für junge Eltern in Prenzlauer Berg. Doch die Kontaktbeschränkungen während der Corona-Zeit machten der Entrepreneurin einen Strich durch die Rechnung. Das Konzept der Baby-Lounge funktionierte nicht mehr. Die Räume im Prenzlauer Berg behielt die Wahl-Berlinerin dennoch und betrieb dort nach dem Ende der Coronazeit ein Café mit Mittagstisch, Kaffee und Kuchen. Auch in den Genuss des brasilianischen Nationalgerichtes Feijoada konnten Gäste bei einzelnen Events kommen. Vor einigen Monaten war es für die gastronomische Quereinsteigerin dann Zeit für etwas Neues: Aus dem gastronomischen Tagesbetrieb wurde ein Abendrestaurant, in dem sie von Donnerstag- bis Samstagabend ein dreigängiges veganes Menü anbietet. Tagsüber vermietet die einstige Kaffeehausbesitzerin ihre Räume an andere Unternehmen, etwa an eine Musikschule für Babys und an eine Englischschule für Kleinkinder.

Dort eingekehrt darf ich erfahren, dass die pflanzenbasierte Küche unter Camilla Ribas’ Regie mehr ist als Soja und Seitan. Genau genommen verzichten die Küchenchefin und ihr kleines Team sogar ganz auf die üblichen Vertreter der veganen Küche: Anstelle von Sojabohnen- und Klebereiweißprodukten komponiert die Gastronomin ihr dreigängiges Menü aus allerlei anderen pflanzlichen Köstlichkeiten.
Bei meinem ersten Besuch in ihrem Restaurant im Winsviertel gibt es noch das Frühlings-Menü. Ich bin an diesem Abend im Mai sehr angetan von den angebratenen Zucchiniblüten, die mit einer zitronig erfrischenden „Ricotta“-Creme aus Mandelmus gefüllt sind. Dazu gibt es kleine knusprige Frikadellen, deren „Hackfleisch“ aus Linsen und schwarzem Knoblauch besteht. Im Hauptgang genieße ich noch ein knackiges Kohlrabi-Steak an einem feinen Mandelpüree. Mit Dessert kostet das Ganze erschwingliche 39 Euro.
„Ich will Nuancen von Pflanzen herausstellen“
Nur wenige Wochen später bin ich erneut zu Gast in dem kleinen veganen Refugium im Winskiez. Dieses Mal begleitet mich unser italienischer Fotograf zu der Location. Unsere Gastgeberin hat inzwischen das Frühlings-Menü durch ein sommerliches ersetzt. Wieder gibt es ein festes Drei-Gänge-Menü, wieder für denselben Preis. Wieder sind ihre Kreationen durch und durch pflanzenbasiert – und glutenfrei. „Ich möchte die vegane Küche vielen Menschen zugänglich machen, und ich will nicht, dass sie nur einmal in Jahr kommen“, erläutert die Gastronomieunternehmerin ihre Preisgestaltung.

Sie selbst ist seit eineinhalb Jahren überzeugte Veganerin. Der amerikanische Dokumentarfilm „What the Health“ hat sie von den Vorteilen einer rein pflanzlichen Ernährung überzeugt und auf die Idee eines veganen Restaurants gebracht. „Es muss anders schmecken, habe ich mir gedacht“, sagt sie. Dass sie bei ihrem Konzept komplett auf Tofu und Seitan verzichtet hat, war eine ganz bewusste Entscheidung. In ihrer Küche stehen die Pflanzen anstatt industriell verarbeiteter veganer Produkte im Mittelpunkt. „Ich will die Nuancen von Pflanzen herausstellen. Pflanzen sind so delikat, komplex und tief“, erklärt sie voller Begeisterung.
Für die Sommerkarte habe sie sich von der Grillsaison inspirieren lassen, erzählt sie im Gespräch. Konkret soll das heißen: Im Hauptgang wird es gegrillte Aubergine und etwas mit Mais geben. Dieses dreigängige Sommermenü wird noch bis zum 9. August angeboten.
Vor dem Hauptgang erfreuen wir uns zunächst an einem erfrischenden Amuse-Bouche mit Radieschen und Gurke. Das wasserreiche Sommergemüse begegnet uns auch im ersten Gang wieder. Jetzt ist die Stangengurke allerdings geschält und zu kleinen, hellen Perlen verarbeitet. Derart raffiniert getarnt erinnert die Beilage optisch an kleine, helle Weintrauben. Zuvor wurde die pittoreske Perlenkreation noch in Holunderblütenessig mariniert, was für einen feinen, aromatischen Geschmack auf der Zunge sorgt. Der Fotograf ist positiv überrascht. „Eigentlich hasse ich Gurken. Aber das ist wirklich wow“, sagt er anerkennend. „Ein Wunderwerk, was sie aus diesem Gemüse gemacht hat.“

Dabei spielt die Gurkenkreation nur eine Nebenrolle auf unserem Teller. Das Hauptaugenmerk ist eine knusprige Quinoa-Tartelette, gefüllt mit bunten, fein geschnittenen Gemüsewürfelchen. Daneben gesellt sich ein rot-orangefarbenes Gel in Form einer Halbkugel, das beinahe wie ein Fruchtsorbet aussieht, sich aber als hocharomatische, langsam schmelzende Consommé-Sphäre aus Tomaten herausstellt.
Auch das Getränke-Pairing soll uns nicht enttäuschen. Für den Einstieg wählen wir einen hausgemachten Wasser-Kefir mit frischen Waldbeeren, Ingwer, Limette und Datteln, bevor wir zum Höherprozentigen übergehen. Überzeugend ist auch die Weinbegleitung, die von Nadia Oussaid, Inhaberin der schräg gegenüberliegenden Weinhandlung „Weinberg“, kuratiert wird.
Beim Hauptgang ist mein eigentlich karnivorer Begleiter vollends hingerissen. „Das schmeckt wie Fleisch“, findet er, als wir die gegrillte Violetta-Lunga-Aubergine auf einem samtigen Püree aus Süßmais und Paranuss goutieren. Dazu gibt es ein glutenfreies Kräutercroustillant und in Rotwein eingelegte, karamellisierte Schalotten, die ein ganz besonderer Gaumenschmaus sind.
Für eine weitere positive Überraschung sorgt auch das Dessert: Anders als für die herkömmliche Pavlova haben Camilla Ribas und ihr zweiköpfiges Küchenteam das Baiser für die vegane Variante nicht aus Eischnee, sondern aus einer Kichererbsenreduktion (Aquafaba) hergestellt. Auf der zuckersüßen Nascherei geht es hochsommerlich zu. Denn dazu gesellen sich noch eine Kokos-Limetten-Mousse und frische Erdbeeren.