Fuerteventura erinnert an eine Mondlandschaft. Auch wenn die Kanareninsel nicht jedermanns Reiseziel ist, überzeugt sie mit einem Stück Sahara und den womöglich schönsten Stränden der Inselgruppe.
Wie macht dieser Mann das bloß? Am Nachmittag hat Alex Monzó noch Gäste verhauen. Naja, nicht wirklich. Eigentlich haben die Gäste versucht, ihn zu verhauen. Ist ihnen aber nicht gelungen. Denn Alex ist Kickboxmeister im Robinson Club Esquinzo Playa und trainiert dort täglich mit viel Leidenschaft und noch mehr Spaß sportaffine Urlauber. Und danach? Kurze Dusche und schon steht der gegelte Bestager in einem lässigen Outfit an den Reglern eines Profi-Mixers. Als DJ heizt er Kids und Eltern mit internationalen Gassenhauern unter der Sonne Fuerteventuras ein. Und das mit mindestens genauso viel Spaß und Können wie beim Kampfsport. Um wenig später schon Smart Casual die großen und kleinen Urlauber beim Gala-Dinner zu begrüßen. Viele nennt er beim Namen, denn etliche sind Wiederholungstäter. Die Quote liegt bei rekordverdächtigen 50 Prozent. Umgekehrt rufen ihn alle einfach nur Alex, nicht etwa Alejandro Monzó, General Manager, kurz GM.
Schroffe Klippen und Lavastrände
Und bis Mitternacht? Bürokram, Team-Meetings vorbereiten, Dinge, für die er ungestörte Ruhe benötigt. Um 7 Uhr morgens steht der Hans Dampf in allen Gassen schon wieder auf der Matte. Checkt, ob alles in Ordnung ist am üppigen Frühstücksbuffet, begrüßt die ersten hungrigen Urlauber. Marc Junior, oder kurz MJ, wie sich der Junge in Anlehnung an Michael Jackson gern nennt, ist einer von ihnen. Nach Small Talk mit einem GM steht dem Siebenjährigen jetzt wirklich nicht der Sinn. Denn ein paar Meter weiter brutzeln schon die leckersten Eierkuchen der Welt auf einem heißen Blech. Gegen die hat selbst ein Kickboxmeister keine Chance. Der wirft das Handtuch.
Nach dem Nichts-geht-mehr-Frühstück gilt es, die wilde Westküste mit ihren schroffen Klippen und schwarzen Lavastränden zu erkunden. Die Fahrt dorthin führt durch eine merkwürdig anmutende Landschaft in sanften Braun-, Ocker- und Rottönen. Kein Schatten, nirgends. Karge Vulkanstummel prägen das Bild. Einst über 3.000 Meter hoch, in 20 Millionen Jahren von Wind und Wetter rund geschliffen. Nur in den ausgetrockneten Flussbetten ein bisschen Grün, über das sich frei laufende Ziegen hermachen.
Fuerteventura, oder kurz Fuerte, ist die mit Abstand betagteste Dame unter den Kanarischen Inseln. Es sollten noch einmal rund fünf Millionen Jahre vergehen, bis Lanzarote und Gran Canaria folgten und zehn Millionen, bis Teneriffa und La Gomera den Meeresspiegel des Atlantiks durchstießen. Mit gerade mal zwei bis drei Millionen auf dem Lavabuckel sind La Palma und El Hierro die Youngster. Alle im Schoß eines 4.000 Meter hohen unterseeischen Gebirges geboren, welches wiederum durch tektonische Verwerfungen der Afrikanischen und Europäischen Platte entstand und noch immer wächst. Gut möglich also, dass in ein paar Millionen Jahren, wenn an den Menschen schon längst nicht mehr zu denken ist, noch ein paar weitere Kanarische Inseln hinzugekommen sein werden.
Der dunkelgraue, ungezähmte Strand von Ajuy und das gleichnamige Fischerdorf wollen eigentlich so gar nicht ins Postkartenklischee der goldgelben endlosen Strände passen, für die Fuerte so berühmt ist. Trotzdem oder gerade deshalb ist er ein bei vielen Insulanern und Touristen beliebtes Ausflugsziel. Meterhohe Wellen krachen gegen die bizarren Felsen links und rechts der Bucht. Ein Bad im kühlen Nass fällt aus, zu windig. Die heftige Unterströmung hat selbst schon gute Schwimmer mitgerissen. Doch die meisten kommen ohnehin nicht zum Baden, sondern starten von hier aus ausgedehnte Küstenwanderungen oder besuchen das nahegelegene Felsentor Peña Horadada und die Meereshöhlen in der Caleta Negra. Wenn die Brandung zu stark ist, werden die Höhlen abgesperrt. Immer wieder setzen sich Leichtsinnige darüber hinweg. Mit tragischen Folgen. Einige von ihnen schossen ihr letztes Selfie in den düsteren Katakomben.
Spaziergang durch alte Gassen
Aber die beiden Fischrestaurants des Dorfes sind geöffnet und da ist sogar noch ein Tisch auf einer kleinen Terrasse frei. Serviert wird traditionelle kanarische Küche ohne Schnickschnack: gebratener Fisch oder Meeresfrüchte, dazu Runzelkartoffeln in pikanter Mojosauce. Einfach lecker. Als Dessert wird Gofio-Mousse aus geröstetem Hafer und Weizen und lokaler Ziegenkäse aufgetischt.
Dass Letzterer nicht einfach aus dem Supermarkt stammt, sondern in einer Molkerei aus der Milch der Majorera-Ziege hergestellt wird, lernen Kids auf einer der Ziegenfarmen im Inselinneren. Und wenn es irgendwann dann doch zu pädagogisch wird, können die Youngster einfach rausgehen und Zicklein streicheln. Macht offensichtlich mehr Spaß.
Die Milchziegen leben in Stallungen, ihre Fleisch liefernden Verwandten, die schwarz-weißen Cabra de Costa Majorera, nicht. Sie sind maßgeblich dafür verantwortlich, dass das Wenige, was auf diesem knochentrockenen Eiland wächst und ihnen vor die Nase kommt, ratzekahl weggeputzt wird. Aber die Ziege ist traditionell nun einmal das mit Abstand wichtigste Nutztier.
Auch die architektonischen Kostbarkeiten findet man abseits der Küsten. Allen voran in Betancuria, der einstigen Inselhauptstadt. Ein Spaziergang durch die 600 Jahre alten Gassen, vorbei an weißgetünchten kanarischen Landhäusern, traumhaften Cafés, eingebettet in prachtvoller Flora, und der Iglesia de Santa María mit ihrem markanten Kirchturm versetzt Besucher in längst vergangene Tage. Kein Wunder, dass hier öfter Werbespots, Filmszenen oder auch Musikvideos produziert werden. Peter Maffay drehte beispielsweise Videosequenzen zu seinem Hit „Halleluja“ in der Ruine des Franziskanerklosters. Seinen melancholischen Song bettete der Sänger mit dem notorischen Magenbittergesicht gekonnt in die eindrückliche Leere Fuerteventuras.
5.000 gingen im April auf die Straße
Richtig abenteuerlich wird diese mondähnliche Einöde auf der Halbinsel Jandia in Morro Jable ganz im Südwesten. Ab da gibt es keine befestigten Straßen mehr, dafür umso mehr aufgewirbelten Calima-Staub aus dem nur 100 Kilometer entfernten Afrika. Schotterpiste bedeutet Fahrverbot für Mietwagen und mehr Platz für Buggys. Mit bis zu 40 Stundenkilometern holpern die urigen Offroader bis zum Leuchtturm vom Punta de Jandia, von dem aus schon die Silhouette von Gran Canaria erkennbar ist. Ein Riesenspaß für Groß und Klein, vorausgesetzt man trägt eine Skibrille und hat Mund und Nase mit einem Tuch geschützt. Auf dem Rückweg gibt es noch eine Art Boxen-Stopp. Da wartet nämlich Tag ein, Tag aus ein Esel in brütender Hitze. Der weiß genau, dass die Guides immer etwas Brot für ihn im Buggy haben. Die Kids dürfen füttern.
Ganz anders die Szenerie im Nordosten. Der Naturpark El Jable gleicht einem wahrhaften Stück Sahara. Über Jahrmillionen haben sich die beeindruckenden Wanderdünen von Corralejo angehäuft. Es sind die größten der Kanaren. Da diese grandiose Landschaft in ihren Tälern Lebensraum einiger gefährdeter Pflanzen und Tiere ist, sind weite Teile seit 1982 als „besonderes Schutzgebiet“ ausgewiesen.
Bleibt immer noch mehr als genügend Platz, die haushohen Dünen in Strandnähe in einen Sandkasten der Superlative zu verwandeln. Oder in ein Filmset. Für seine Bibelverfilmung „Exodus“ machte beispielsweise Regisseur Ridley Scott aus El Jable kurzerhand die Wüste Sinai.
Zwischen den Sandbergen und dem türkisfarbenen Meer ziehen sich die Grandes Playas, die Großen Strände. Über sieben Kilometer goldgelber feiner Sand. Flach abfallend noch dazu. Besonders Familien mit kleinen Kindern wissen das zu schätzen. Weiter draußen türmen sich Wellen, über die passionierte Surfer unermüdlich reiten.
Von ein paar wenigen touristischen Zentren an der Ostküste abgesehen, ist das Wort Dichtestress ein Fremdwort auf Fuerte. Umso erstaunlicher scheinen die Overtourism-Proteste auf den ersten Blick. Die sind zwar nicht mit denen auf Teneriffa oder Gran Canaria vergleichbar, konturieren sich jedoch bei genauerem Hinsehen. Unter dem Motto „Canarias tiene un límite“, „Die Kanaren haben ein Limit“, demonstrierten im April 5.000 Einheimische gegen die negativen Folgen des Tourismus, des mit Abstand wichtigsten Wirtschaftszweiges. „Ich kann die Leute bestens verstehen“, erklärt GM Alejandro Monzó. „Zwei Millionen Urlauber jährlich benötigen nicht nur Hotelzimmer, sondern auch Menschen, die diese komplexen Beherbergungsbetriebe am Laufen halten. Die kommen oft vom Festland und müssen ja auch irgendwo wohnen.“
Roby Club bietet für Kids viele Aktivitäten
Knappes Angebot und hohe Nachfrage lassen jedoch Miet- und Immobilienpreise seit Jahren steigen. Mittlerweile unerschwinglich für viele Insulaner, denn die Kanaren gehören zu den einkommensschwächsten Regionen Spaniens. Erschwerend kommt hinzu, dass etliche Wohnungen, die von Festlandspaniern und Ausländern gekauft wurden, fast das ganze Jahr über leer stehen. Auch die Ferienwohnungen, die vermietet werden, fehlen auf dem heimischen Wohnungsmarkt. Gebaut wird jedoch viel zu wenig. Ein Grund sei eine überbordende wie schleppende Bürokratie, so der Insider. „Wir haben die Zeichen der Zeit erkannt und Mitarbeiter-Unterkünfte gleich neben dem Robinson Club gebaut. Dazu flächendeckend Solarpanels und eine Wasseraufbereitungsanlage installiert. Es gibt noch viel zu tun und wir werden unseren Weg weitergehen. Nächster Schritt: Food-Waste-Reduction“, berichtet der Manager mit ein wenig Stolz in der Stimme. „So leisten wir unseren Beitrag für einen sozialverträglichen Tourismus, von dem Gäste, Mitarbeitende und Einheimische gleichermaßen profitieren. Jetzt müssen nur noch genug andere folgen. Dann steht es bestens um Fuerteventura, der kargen Schönheit auf Genesungskurs.“ Ganz nebenbei falle es ihnen seitdem auch leichter, richtig gutes Personal zu bekommen. Immerhin die DNA des Clubs. Die meisten kommen aus Deutschland, einige für nur einen Ferienjob. Wer möchte da schon vorab auf Wohnungssuche gehen und anschließend lange Fahrtzeiten in Kauf nehmen?“
Es sind genau diese jungen Frauen und Männer, die von früh bis spät für die Wohlfühlatmosphäre sorgen. Ob im Roby Club für die Kids – den viele von ihnen selbst als Kinder besucht haben– beim Tanzkurs, im Mal-Atelier, beim Surfen oder Fitnesstraining, Yoga oder abends bei den bunten Familien-Shows. Das Angebot ist jedenfalls so umfangreich, das selbst die Aktivsten in einer Woche nur einen Bruchteil nutzen können. Insbesondere, wenn sie nebenbei die Insel erkunden. Vielleicht ist auch das ein Grund für die vielen Wiederholer.