Ob Khatschapuri, Khinkali oder Gebjalia – in Ilia Basilashvilis „Café Ilostan“ in Schöneberg kann man traditionelle georgische Speisen tafeln. Amphorenwein vom Kaukasus gibt es natürlich auch dazu.
Manchmal meint der Gott des Zufalls es gut mit mir. So stolperte meine Schöneberger Freundin vor Kurzem über eine spannende Neuentdeckung in ihrem Kiez. Die einladende Location lag in einem Eckhaus an der Gustav-Freytag-Straße direkt gegenüber des S-Bahnhofs Schöneberg. Meine Freundin hatte einen Termin und keine Zeit für einen Kaffee, geschweige denn für eine längere Begutachtung. Doch sie hatte ein gutes Gespür dafür, dass dieser Ort auch etwas für mich sein könnte. Kurzerhand sprach sie den Inhaber an und stellte den Kontakt her. Serendipity würden das die Angelsachsen nennen – ein glücklicher Zufall.
Farbenfrohe Pop-Art des Künstlers Ali Görmez
Schon wenige Minuten später hatte ich den Gastronomen an der Strippe. Via Video-Telefonie sprach ich mit Ilia Basilashvili, und ich wurde virtuell durch sein „Café Ilostan“ geführt. Ich war sofort entzückt von dem Kaffeehaus voller kunterbunter Bilder, die mich an die Werke der Pop-Art-Künstler James Rizzi und Keith Haring erinnerten. Natürlich sagte ich sofort einem Termin mit dem Chef zu. Hier sollte es nicht nur Frühstück, sondern auch mittags und abends georgische Gerichte geben.
Zwei, drei Wochen später sitze ich dann mit unserem Fotografen im hinteren Gastraum des Cafés und lasse das lebensfrohe Ambiente auf mich wirken – in 3D und in Farbe. In dem launigen, lichtdurchfluteten Raum plaudern wir mit Ilia Basilashvili und erfahren, dass die großformatigen, farbenfrohen Werke an den Wänden von Ali Görmez stammen. Der deutsch-türkische Pop-Art-Künstler betrieb hier bis vor etwa zwei Jahren noch seine eigene Galerie und ein Kaffeehaus. Im vorderen Teil des damaligen Art-Cafés „Osbili“ sorgte Ilia Basilashvili für das leibliche Wohl der Gäste, während Ali Görmez’ Galerie im hinteren Teil angesiedelt war. Dann ging der Künstler auf Reisen, Ilia Basilashvili erweiterte sein Café, und aus „Osbili“ wurde „Ilostan“. Der Name bezieht sich auf Ilia Basilashvili selbst. Ilo ist im Georgischen die Kurzform von Ilia. ‚Ilo stan‘ heißt auf Deutsch bei Ilo“, erläutert er.
Georgische Gerichte wie von Mama
Aufgewachsen ist Ilo Anfang der 90er-Jahre in Georgien, genauer gesagt in Dedopliszqaro in Kachetien. Das liegt im Iori-Hochland, einer gebirgigen Landschaft ganz im Osten des Landes. „Damals war ich zwangsweise Vegetarier“, erinnert sich der Entrepreneur. Der Grund war die weitverbreitete Armut in seinem Heimatland, nachdem es 1991 von der Sowjetunion unabhängig geworden war. Auch Ilia Basilashvilis Familie hatte zu dieser Zeit nicht viel Geld. Sie ernährte sich viel von selbst angebautem Gemüse, Fleisch hingegen kam eher selten auf den Tisch.
Heute, 30 Jahre später, ernährt sich der Wahl-Berliner gern karnivor. Trotzdem listet die Speisekarte seines Cafés auch vegetarische und auf Wunsch vegane Speisen auf. „Wir bieten typische traditionelle Gerichte aus Georgien, die immer frisch zubereitet sind und aus kleineren Regionen kommen“, erzählt der Gastronom. Die Speisen habe er an seinen eigenen Geschmack angepasst. „Da sind auch viele Kindheitserinnerungen und Rezepte von meiner Mama mit dabei.“
Kurze Zeit später setzt sich der Chef zu uns an den Tisch und schenkt uns erst einmal kaukasische Süßigkeiten in Flüssigform ein: Birnenlimonade und Estragon-Limonade. Das giftgrüne Getränk in meinem Glas ist süß, eigentlich sogar viel zu süß. Trotzdem werden auch bei mir nostalgische Gefühle geweckt, denn die Aromen auf meinem Gaumen erinnern mich an jene Waldmeister-Limonade, die ich als Kind so geliebt habe.
Noch bevor weitere Leckereien aus dem vorderasiatischen Land auf unserem Tisch landen, plaudern wir noch ein wenig weiter mit unserem äußerst zugewandten Gastgeber. Nachdem seine ältere Schwester bereits nach Deutschland ausgewandert war, suchte auch Ilia Basilashvilis nach einer besseren Perspektive im Ausland. So führte es den heute 34-Jährigen nach seinem Schulabschluss zunächst ins norddeutsche Kiel. Dort war Ilo drei Jahre lang als Au-pair-Junge tätig, um sein Deutsch zu verbessern. „Ich liebe Kinder“, sagt er. Es folgten Jobs in der Gastronomie und ein Studium im internationalen Management und Marketing. Später zog er nach Berlin und betrieb einen Onlinehandel mit georgischen Produkten. Dazu zählten Weine, Limonaden und Souvenirs wie etwa drollige bunte Socken – lauter Dinge, die er heute auch in seinem Café direkt vor Ort verkauft.
Der Run auf Georgien und seine Kulinarik habe mit der Frankfurter Buchmesse 2018 begonnen, erinnert er sich. Damals war Georgien das Gastland der Messe, und die Besucher lernten in der Mainstadt nicht nur die Literatur des Landes, sondern auch seine hervorragenden Weine kennen. „Georgien ist die Wiege des Weines, er wurde schon vor 8.000 Jahren bei uns hergestellt“, sagt Ilo und schenkt uns ein Glas Rkatsiteli ein. Der Weißwein wurde monatelang in Amphoren gelagert und ist ungefiltert. Wir nippen an dem orangenen Wein und sind schnell überzeugt. Der Rkatsiteli hat eine fruchtig-birnige Nase, schmeckt aber würzig und hat kaum Säure. Wunderbar, mehr davon bitte!
Käsefladenbrot mit neun Käsesorten
Und dann tischt unser Gastgeber so richtig auf. Es gibt zum Beispiel Lobiani, einen leckeren Bohneneintopf, der passend in die kältere Jahreszeit einstimmt, sowie Gemüsiges. Dazu zählen etwa marinierte, hauchzarte Karottenschalen, die mit Koriander und Dill verfeinert sind. Daneben stehen mehrere Schälchen mit allerlei köstlichen Pasten auf Walnussbasis: Hier ein Dip mit roter Beete, da einer mit Spinat, und dort einer mit roten Bohnen und noch einer mit grünen Bohnen. Zudem gibt es noch ein Schälchen mit hocharomatischen Gebjalia – ein weiteres Traditionsgericht aus Frischkäse, Knoblauch und viel frischer Minze.
So viele Pasten verlangen natürlich auch nach frischem Brot. Und wie selbstverständlich steht auch ein wunderbar duftendes, ofenwarmes Etwas mit zerlaufenem Käse und zerschmolzener Butter auf unserem Tisch: ein rundes Khatschapuri. „Das ist georgische Pizza“, befindet der italienische Fotograf. Ich finde: Würde es einen Wettbewerb unter allen Pizzen geben, sollte sich Khatschapuri definitiv in den ersten Rängen befinden.
Kurz darauf lässt uns Ilo eine weitere Variante des georgischen Klassikers aus der Küche bringen. Bei Adjaruli Khatschapuri handelt es sich um Käsefladenbrot. Diesmal ist es allerdings U-Boot-förmig und kommt aus Adjara, einem Landstrich an der Schwarzmeerküste. Uns tropft der Zahn allein schon beim Anblick des Hefegebäcks. „Traditionellerweise kommen hier neun verschiedene Käsesorten hinein, die man aber nicht alle in Deutschland bekommt“, erläutert der Gastronom. Um welche Käsesorten es sich dabei handelt, will uns Ilo aber trotz charmanten Nachfragens nicht verraten: „Betriebsgeheimnis“. Wie schade, dabei waren wir doch schon längst beim Du! Dann nimmt er rohes Eigelb, ein Stück Butter und mischt beides unter die flüssige Käsemasse auf dem U-Boot-Brot, bis sich die Kreation wie ein Mozzarella auseinanderziehen lässt. Das Ganze sieht nicht nur spektakulär aus, sondern es schmeckt auch vorzüglich.
Klare Regeln für den Genuss der Khinkali
Spätestens als mit Khinkali ein weiterer Klassiker aus dem Land am Kaukasus vor unseren Nasen steht, dürfte klar sein, dass wir kulinarisch längst im Herbst gelandet sind. Zumindest haben die vegetarisch oder mit Hackfleisch gefüllten Nudelteigtaschen etwas sehr Erdendes. Ich bin schon versucht, mir ein kleines Stückchen von dem großen, wie eine Blüte gefalteten Dumpling mit dem Messer abzuschneiden, als Ilo mich davon abhält: „Nein, man muss die Blüte mit der Hand am Stengel fassen und dann essen“, erklärt er energisch. Ich nehme mir seinen Rat zu Herzen und genieße nun die volle Textur der Teigtasche in meinem Mund. Die mit Koriander und Weißzwiebeln verfeinerte Teigtasche ist absolut aromatisch und zugleich sehr saftig.
„Khinkali müssen mindestens 18 Falten haben, aber am Ende geht es um den Geschmack“, sagt Ilo. Das erfahren auch der begleitende Fotograf und ich. Wir wollen auch gar keine Falten zählen, sondern einfach nur genießen. Uneins sind wir beide uns darüber, welche der beiden Varianten wir schmackhafter finden: die mit Fleischfüllung oder die mit Austernpilzen? Aber das sind wahrlich Luxusprobleme. Wir sind vollends zufrieden, dass wir beide probieren dürfen. Dazu schenkt uns Ilo auch noch ein Getränk ein, das es in sich hat: Chacha. Der auf weißen Weintrauben basierende Schnaps entfacht ein kleines Feuer im Mund. Nichtsdestotrotz ist die beißend scharfe Spirituose das passende Pendant zu unserem opulenten Mahl, und äußert angeregt gehen wir in die Nacht.