Nenad Bjelica hat sich und Union mit der Tätlichkeit gegen Leroy Sané einen Bärendienst erwiesen. Plötzlich ist der eher unbekannte Trainer in aller Munde – aber was für ein Typ ist der Kroate wirklich?

Nenad, wer? Viele Fußballfans zuckten ahnungslos mit den Schultern, als sie im November zum ersten Mal den Namen des neuen Trainers des 1. FC Union Berlin hörten. Darunter nicht wenige Anhänger der Eisernen selbst. Auch dem deutschen Rekord-Nationalspieler Lothar Matthäus war Nenad Bjelica nicht unbedingt ein Begriff. Auf den Kroaten als Nachfolger von Urs Fischer zu setzen, sei „ganz sicher für viele überraschend“, sagte Matthäus damals und ergänzte: „Einer, der noch nie in der Bundesliga trainiert hat, soll Union Berlin retten, das ist eine schwierige und heikle Aufgabe. Ob man mit einem Nobody diesen Fall auffangen kann, ist natürlich ein großes Risiko.“ Nun, ein Nobody ist Nenad Bjelica inzwischen nicht mehr. Das hat aber weniger mit seiner Arbeit bei Union zu tun als mit seinem Aussetzer gegen Nationalspieler Leroy Sané. Spätestens nach den beiden Handwischern ins Gesicht des Bayern-Profis im Nachholspiel gegen die Münchener ist Bjelica in der Fußball-Bundesliga in aller Munde. Diese Tätlichkeit sorgte für großen Gesprächsstoff, genauso wie seine anfängliche Weigerung, sich dafür bei Sané zu entschuldigen.
„Schwierige bis heikle Aufgabe“
Und als der Trainer in der ersten Partie seiner Drei-Spiele-Sperre zum Zuschauen verdammt war, waren viele Kameras nur auf ihn gerichtet. Sie fingen ein, wie Bjelica gegen Darmstadt auf der Tribüne nervös hin und her lief, wie er beim Siegtor von Benedict Hollerbach ein paar Freudentränen in sein Taschentuch verdrückte und nach dem Schlusspfiff ein kleines Stoßgebet gen Himmel richtete. Alle, die Nenad Bjelica beim Zuschauen zusahen, wussten: Der Druck auf seinen Schultern war immens. Eine Niederlage hätte womöglich das frühe Ende seiner Amtszeit bei Union bedeutet. Zwar hatte Sportchef Oliver Ruhnert Medienberichte dementiert, wonach einige Spieler wegen des Vorfalls nicht mehr mit dem Trainer zusammenarbeiten wollten. Doch eine Garantie für eine Rückkehr nach Ablauf der Sperre am 10. Februar im Heimspiel gegen den VfL Wolfsburg wollte Ruhnert vor dem Darmstadt-Spiel auch nicht aussprechen.
Durch den Sieg und die drei Punkte konnte Bjelica erst mal aufatmen. Die Mannschaft hatte ihm etwas Luft verschafft. „Die Erleichterung ist riesig. Da ist dem Cheftrainer natürlich auch ein Stein vom Herzen gefallen“, sagte Co-Trainerin Marie-Louise Eta, die in Bjelicas Abwesenheit die kommunikativen Aufgaben übernimmt. Doch das zweite Spiel ohne Bjelica, der eine halbe Stunde vor Spielbeginn und eine halbe Stunde nach Abpfiff den Innenraum nicht betreten darf, lief deutlich schlechter. 0:2 in Leipzig, offensiv harmlos, dazu die Rote Karte für Kapitän Christopher Trimmel. „Das ist bitter. Er wird uns fehlen. Er ist einer, der auf und neben dem Platz viel Verantwortung übernimmt“, sagte Eta: „Nun kann er uns nur neben dem Platz helfen.“ So wie Bjelica. Vor dem richtungsweisenden Nachholspiel beim FSV Mainz 05 am vergangenen Mittwoch gab Club-Boss Dirk Zingler dem Trainer nochmals Rückendeckung: „Wir haben Nenad Bjelica verpflichtet, damit er uns in der Klasse hält. Ich glaube, dass die Entscheidung darüber erst im Mai fällt. Also gehe ich mal davon aus, dass er selbst dann noch auf dem Platz sitzt.“
Die Union-Bosse hatten ihrem Chefcoach eine Geldstrafe aufgebrummt und ihm sinnbildlich die Gelbe Karte gezeigt. „Für uns ist klar“, stellte Ruhnert klar, „dass sich so was natürlich auf keinen Fall wiederholen darf“. Aber ist Nenad Bjelica wirklich so ein emotionaler Typ, der an der Seitenlinie unberechenbar ist? Er ist mit Sicherheit nicht so stoisch wie sein Vorgänger Fischer, der zwar im Spiel mitunter auch aufbrausend sein konnte, insgesamt aber sehr ruhig und gefasst auf Spieler und Mitarbeiter einwirkte. Bjelica bringt eine etwas andere Ansprache mit – was angesichts der Abstiegssorgen im Club seiner Meinung nach auch unerlässlich sei. „Manchmal muss man Klartext reden. Manchmal braucht es Druck“, sagte er in einem Interview mit der „Süddeutschen Zeitung“ vor seinem Aussetzer gegen die Bayern. Darin erzählte er eine kleine Anekdote aus seiner Zeit als Trainer von Austria Wien, „als meine Spieler nach einer Champions-League-Qualifikation und fünf Punkten in der Gruppenphase auf einer Wolke waren. Vergöttert wurden.“ Für Bjelica gibt es fast nichts Schlimmeres als Selbstüberschätzung. „Damals habe ich einen Schock hervorgerufen, indem ich nach vier, fünf Niederlagen in Serie drei Schlüsselspieler auf die Bank gesetzt habe“, berichtete er. Die Konsequenz? „Leider hatte ich nicht die Rückendeckung der Vereinsführung.“
Doch verbiegen lassen wird sich ein Nenad Bjelica nicht, auch nicht bei Union. Dass er sich mit etwas Abstand via Social Media auch bei Leroy Sané entschuldigte, dürfte jedoch auch auf Druck des Vereins hin passiert sein. Womöglich auch, um die Strafe seitens des Deutschen Fußball-Bundes so klein wie möglich zu halten. Unmittelbar nach dem Spiel hatte Bjelica diese Entschuldigung noch mit dem Hinweis verweigert, dass Sané ihn zu der Tätlichkeit provoziert habe. Dass es eine völlig falsche Reaktion war, hatte er aber schon zu dieser Zeit klar so kommuniziert. Und dennoch war es nicht er selbst, der über seine Zukunft entscheiden konnte. Er war abhängig von den Club-Bossen, den Richtern des DFB, der Reaktion der Spieler, ja sogar von der Berichterstattung in den Medien. Eine Situation, die ihm überhaupt nicht behagt.
Seit 16 Jahren im Trainerjob

Am Trainerjob fasziniere ihn vor allem, „entscheiden zu können. Nicht von anderen abhängig zu sein“, sagte Bjelica einmal: „Ich mag es, Verantwortung zu übernehmen.“ Er, der als Spieler zwischen 2001 und 2004 für den damaligen Erstligisten 1. FC Kaiserslautern auflief, sei ein Trainer mit Herzblut und aus voller Überzeugung. „Es gibt wahrscheinlich wenige Trainer, die wie ich sagen, dass sie sich in der Haut des Trainers wohler fühlen als in der Haut des Spielers“, sagte Bjelica: „Nachdem ich in Kärnten meine aktive Karriere beendet hatte und nur noch Trainer war, bekam ich auch nie das Gefühl, weiterspielen zu müssen.“ Und das musste er auch nicht, auch in seiner zweiten Karriere war er erfolgreich. In Österreich, Polen, Kroatien und der Türkei trainierte er Erstligisten.
Dass er dennoch als relativ unbekannter Coach in die Bundesliga kam, sei für ihn kein Problem, sagte Bjelica. Auch die leicht despektierliche Bezeichnung „Nobody“ von Lothar Matthäus steckte er – zumindest äußerlich – gelassen weg. Experten wie Matthäus „haben ja nicht die Pflicht, viel über mich zu wissen“, sagte er lediglich: „Aber ich bin seit 16 Jahren Trainer, ich habe mehr als 580 Spiele auf der Bank hinter mir, habe in sechs Ländern gearbeitet und drei unterschiedliche Mannschaften in der Champions League betreut. Es gibt nicht so viele Trainer, denen das gelungen ist.“ Mit einigen seiner Teams habe er Titel geholt oder auch Rekord aufgestellt – und nicht nur das. Er habe den Clubs dank seiner Arbeit mit hochtalentierten Profis auch eine Menge Geld eingebracht. „Ich habe Spieler wie Dani Olmo oder Josko Gvardiol bei ihrer Entwicklung unterstützt, die hier in der Bundesliga eine große Rolle gespielt haben“, sagte er fast schon verteidigend. „Aber alles gut. Ich arbeite daran, dass man mich besser kennenlernt.“
Nun kennt ihn die ganze Bundesliga – aber hauptsächlich aus einem negativen Grund. Ab dem Heimspiel gegen Wolfsburg hat er die Chance, das Bild in der Öffentlichkeit über ihn geradezurücken, wieder seine Arbeit in den Fokus zu stellen. Es sei denn, der Club zieht vorher doch noch die Reißleine.