Telefonate zwischen dem Weißen Haus und dem Kreml scheinen nichts zu bringen. Noch ist kein Frieden in Sicht. Denn der russische Diktator hat den Krieg zum treibenden Faktor seiner Wirtschaft gemacht, ein schnelles Ende birgt für ihn erhebliche Risiken.
Die russische Vergangenheit ist geprägt von Krieg. Die zerfallende Sowjetunion und ihr Rechtsnachfolger Russland führten und führen seit über 30 Jahren Kriege in Transnistrien (Moldau), Abchasien (Georgien), Tschetschenien, Georgien, Syrien und nun in der Ukraine. Noch vor dem derzeitigen Angriffskrieg gehörte Russland zu den weltweit größten Waffenexporteuren. Dieser Wert ist gefallen, Russland braucht seine Waffen selbst und hat an der Front bewiesen, dass die angeblich zweitmächtigste Armee der Welt gegen die Ukraine und die Waffenlieferungen aus den USA und Europa nicht signifikant vorankommt. Die Rüstungsproduktion ist dennoch ein entscheidender Faktor der russischen Wirtschaft geworden – so entscheidend, dass der Kreml den Kampf nicht ohne massive negative Konsequenzen von einem auf den anderen Tag einstellen kann. Selbst wenn er es wollte.
Noch keine Vollkriegswirtschaft
Schon 2023 warf FORUM einen Blick auf öffentlich zugängliche Daten und Studien, die darauf hindeuteten, dass die russische Wirtschaft dahinsiecht, aber nicht in absehbarer Zeit kollabiert– dank der pragmatischen Arbeit russischer Technokraten im Hintergrund. Aktuelle Zahlen zeigen, dass diese Annahme gerechtfertigt war, dass sich die Probleme jedoch langsam auftürmen. Auch wenn Putin wie kürzlich vor Wirtschaftsvertretern mit dem russischen Wirtschaftswachstum von 4,1 Prozent prahlte: Dieses profitiert von der Konzentration des Kapitals in der Rüstungsindustrie, die ihre Produkte direkt an der Front verheizt oder für kommende Kriege einlagert. 2024 stiegen die russischen Verteidigungsausgaben auf 10,4 Billionen Rubel (6,2 Prozent des BIP), für 2025 sind 13,2 Billionen Rubel geplant (zwischen sieben und acht Prozent des BIP). Der Staat treibt mit diesem Geld die Rüstungsproduktion voran und hält das offizielle BIP-Wachstum hoch. Weitere Kennzahlen wie das Haushaltsdefizit von etwa zwei Prozent sind noch nicht bedrohlich. Etwas höhere Steuern sollen 2025 für einen strukturellen Ausgleich sorgen.
Noch ist die russische Produktion keine Vollkriegswirtschaft, stellt der Thinktank der finnischen Zentralbank (Bofit) fest, auch wenn offizielle Zahlen teilweise verschleiert sind. Wissenschaftler wie Volodymyr Ishchenko vom Institut für Osteuropastudien der Freien Universität Berlin nennen die derzeitige Form des russischen Wirtschaftens „Militärkeynesianismus“: Dadurch erhält die Bevölkerung, vor allem der ärmere Teil, aus dem sich bislang die Mehrheit der Soldaten rekrutierte, viel Geld, was wiederum die Nachfrage nach militärischer und ziviler Produktion gleichermaßen ankurbelt. Dieser Anreiz trägt dazu bei, die Wirtschaft insgesamt auf Wachstumskurs zu bringen. Ob diese Wirtschaftsform nachhaltig ist, ist jedoch umstritten und hängt nicht zuletzt von Russlands Haupteinnahmequelle Öl ab.

Indessen werden die zivilen Sektoren wie Bildung, Gesundheit oder Landwirtschaft zugunsten der Rüstung finanziell stark vernachlässigt. Alle buhlen um nur noch wenige Fachkräfte, die Arbeitslosigkeit liegt bei nur drei Prozent. Gewinner ist der Kriegsdienst, er hat die besseren finanziellen Argumente: Die Gehälter in der Rüstungsindustrie sind bei Weitem höher als im zivilen Sektor. 3,2 Millionen Russen arbeiten derzeit direkt in der Rüstung, zwischen fünf und sieben Millionen in Zulieferindustrien. Die staatlich ausgeschütteten Zusatzgelder und Vergünstigungen für Kriegsfreiwillige sind immer noch attraktiv genug, um die horrenden Verlustzahlen in der Ukraine mithilfe neuer Rekruten auszugleichen. In einigen Regionen wird das 40-fache des russischen Durchschnittslohns als Einmalzahlung in Aussicht gestellt, wenn man sich freiwillig meldet.
Um dies bezahlen zu können und weil Russland vor allem ein Rohstofflieferant ist, bleibt der Staatshaushalt auf die Einnahmen aus Gas- und Ölverkäufen angewiesen – sie machen zwischen 30 und 50 Prozent der Staatseinnahmen aus. Lieferketten und Verkäufe von Rohstoffen waren immer ein Ansatzpunkt westlicher Sanktionen. Sie waren jedoch so gestaltet, dass sie Russland erlaubten, weiter Öl zu exportieren, um einen weltweiten Ölpreisschock zu vermeiden, wenn auch zu erschwerten Bedingungen. Nun geraten die Öleinnahmen unter Druck, der Preis für ein Barrel der russischen Sorte Ural fällt auf 65 Dollar. Die Opec-Plus-Staaten wollen bis 2026 ihre Ölförderung um 2,2 Millionen Barrel pro Tag erhöhen, dies drückt den Preis. Schon jetzt muss der Kreml das Öl zu reduzierten Preisen verkaufen, während die Kosten der Förderung mindestens gleich bleiben oder sogar steigen, weil westliche Technologie fehlt. Stärkere Sanktionen gegen die russische Schattenflotte, die Öl unter der Hand verkauft, sollen den Druck weiter erhöhen. Der staatliche russische Gasriese Gazprom kann immer weniger zum russischen Haushalt beitragen, 2024 waren es nur noch 1,9 Prozent (2022: 3,8 Prozent), zeigen offizielle Zahlen. Erstmals verzeichnet das Unternehmen Verluste in Höhe von 60 Prozent gegenüber 2022.
Russische Wirtschaft überhitzt
Ein plötzliches Kriegsende aber birgt für Russland und damit für die Stabilität des Regimes von Putin erhebliche Risiken. Teile der Gesellschaft profitieren derzeit über die Maßen vom Krieg: die Rüstungsindustrie und all jene Arbeitskräfte, die von ihren hohen Gehältern angezogen wurden, Soldaten und ihre Familien. Klar ist, diese Form staatlicher Alimentierung wird mit dem Ende des Ukrainekrieges entfallen. Um die Wirtschaft rechtzeitig auf einen stabilen Friedenskurs zu bringen, ist ein baldiges Ende der Sanktionen gegen Russland aus Sicht des Kremls notwendig, weshalb in den Gesprächen mit den USA Putin immer wieder „gemeinsame ökonomische Interessen“ betont. Die Sanktionen blockieren den Zugang zu westlicher Hochtechnologie, was eine Umstellung auf Friedensproduktion zusätzlich erschwert. Daher käme eine wirtschaftliche Kooperation Russlands mit den USA dem Land gerade recht, um sich zu erholen. Schon die ersten Gespräche zwischen Russland und den USA in Saudi-Arabien stoppten den raschen Verfall des Rubels. Dies trägt zwar dazu bei, die Inflation etwas abzumildern, belastet aber den russischen Haushalt. Die Inflationsrate erreichte im Februar 2025 offiziell 9,9 Prozent, de facto liegt sie nach Einschätzungen von Ökonomen höher. Die Zentralbank reagierte mit einem Leitzins von 21 Prozent – dem höchsten Stand seit 20 Jahren. Hohe Zinsen und dadurch sinkende Investitionen führen mittlerweile zu einer steigenden Zahl von Insolvenzen im zivilen Sektor.
Ein allzu abruptes Kriegsende könnte nach Meinung des Osteuropa-Experten Janis Kluge zu einer Abwertung des Rubels und noch höherer Inflation führen, sprich zu Verhältnissen, die an das Ende der Sowjetunion erinnern. Hinzu kommen Hunderttausende Kriegsheimkehrer, die reintegriert werden wollen. Dies gilt gleichermaßen für die Ukraine, in der jedoch der Staat nicht im gleichen Maße auf Kriegswirtschaft umgestellt hat. Stattdessen stabilisieren westliche Finanzhilfen sowohl die zivile Wirtschaft wie auch den Haushalt des Staates, der damit zum größten Kunden der ukrainischen Privatwirtschaft aufstieg. Die Anzeichen einer Überhitzung mit hoher Inflation sind in Russland unübersehbar, das Wachstum wird selbst von russischer Seite und trotz Rekordausgaben des Staates nur noch mit zwei bis 2,5 Prozent im aktuellen Jahr prognostiziert. Spätestens Ende des Jahres wird sich daher deutlicher herauskristallisieren, wie lange die russische Wirtschaft noch standhalten kann. Der Weg aus der teilweisen Kriegswirtschaft heraus wird entscheiden, ob das Stillhalteabkommen zwischen Putin und der russischen Bevölkerung weiter Bestand haben wird. Bis es aber soweit ist, geht Putins Krieg weiter.