Wie wichtig Andrej Ilic für das Spiel von Union Berlin ist, zeigte die Niederlage in Bremen ganz deutlich. Der Serbe steckt zwar aktuell in einer Torkrise, doch daran allein wird er in seinem Team nicht gemessen.
Diese Niederlage fühlte sich für die stolzen Serben an wie ein Schlag ins Gesicht: 0:1 zu Hause gegen Albanien. Das Duell mit dem Erzrivalen ist von jeher wegen der politischen Situation rund um den Kosovo-Konflikt hochbrisant. Im Grunde führen die Fans beider Seiten den jahrhundertealten Konflikt auf dem westlichen Balkan im Stadion fort, oft verbunden mit aggressivem Verhalten und beleidigenden Worten. Diesmal kam aber noch erschwerend hinzu, dass auch sportlich viel auf dem Spiel stand. Serbien musste durch die Pleite Albanien in der WM-Qualifikationsgruppe an sich vorbeiziehen lassen und hat nur noch geringe Chancen auf das Ticket für die Endrunde im kommenden Sommer in den USA, Kanada und Mexiko. „Diese Niederlage hätte nicht passieren dürfen, ich übernehme dafür die Verantwortung“, sagte Nationaltrainer Dragan Stojkovic und trat sofort zurück. Doch bevor der 60-Jährige seinen Posten räumte, hatte er einen serbischen Spieler noch glücklich gemacht: Andrej Ilic durfte gegen Albanien sein Länderspiel-Debüt feiern. Als Joker bekam er sechs Minuten Zeit, sich zu zeigen – das Spiel konnte der Angreifer von Union Berlin aber in der Schlussphase auch nicht mehr drehen. Als vermutlich einziger Serbe an diesem Oktoberabend im Dubočica-Stadion von Leskovac hatte er dennoch Grund zur Freude.
Beim darauffolgenden 3:1-Sieg in Andorra kam Ilic nicht mehr zum Einsatz. Doch der 25-Jährige darf sich nun Nationalspieler nennen – eine Belohnung für die guten Leistungen in dieser Saison bei seinem Club. Den Einsatz habe sich Ilic mehr als verdient, meinte Union-Trainer Steffen Baumgart. „Andrej ist im letzten halben Jahr extrem wichtig für uns als Mannschaft geworden“, sagte der Coach: „Andrej ist aus meiner Sicht der wichtigste Stürmer, den wir haben.“ Diese Aussage überrascht mit Blick auf die Statistiken ein wenig, schließlich waren Ilyas Ansah (vier Tore) und Oliver Burke (3) vor dem Tor schon deutlich erfolgreicher. Bei Ilic steht noch immer die null, obwohl er auf einen xGoals-Wert von 3,34 kommt. xGoals steht für „expected Goals“ (erwartete Tore) und gibt den Wahrscheinlichkeits-Wert von Toren an. Dabei werden unter anderem die Faktoren Entfernung, Winkel und Anzahl der Abwehrspieler einberechnet.
Ilic müsste laut dieser Statistik also theoretisch bereits zwischen drei und vier Toren auf seinem Konto haben. Doch die Realität sieht anders aus: Keiner seiner 20 Torschüsse war erfolgreich, kein anderer torloser Bundesligaspieler weist in dieser Saison derart miserable Statistiken in Bezug auf die Abschlussstärke auf. Und dennoch bezeichnet ihn Baumgart als „wichtigsten Stürmer“ im Team – wie passt das zusammen? „Wie er gegen den Mann arbeitet, wie er für die Jungs arbeitet, wie er das Anlaufen macht, ist er ein Vorbild für alle“, erklärte der Union-Coach: „Er bringt in der einen oder anderen wichtigen Situation etwas, was im ersten Moment gar nicht so zu erkennen ist.“
Körpereinsatz trifft auf Spielintelligenz
Wie wichtig Ilic für das Union-Team ist, zeigte sich bei der 0:1-Niederlage in der Vorwoche bei Werder Bremen. Als er nach einer halben Stunde ausgewechselt werden musste, weil er über Unwohlsein klagte, war es zu einem klaren Bruch im Spiel der Eisernen gekommen. „Bis jetzt war es oft so, dass Andrej zentral war und die Bälle festgemacht hat, das ist wichtig für unser Spiel“, sagte Sturmkollege Ansah: „Wenn Andrej dann nicht da ist, muss ich diese Rolle übernehmen.“ Und das klappte gegen Bremen gar nicht. Auch Kapitän Christopher Trimmel gab deswegen unumwunden zu: „Man muss ehrlich sagen, dass sich unser Spiel nach Andrejs Auswechslung schon verändert hat.“ Ilic sei für das Team „sehr wichtig, er macht viele Bälle fest und uns somit auch besser.“ Doch an diesem Tag ging bei Ilic gar nichts mehr. Er war extrem geschwächt und musste sich in der Kabine übergeben, wie Trainer Baumgart im TV-Interview verriet: „Er hat nur einmal kurz Schwindel gesagt. Dann kam bei ihm alles überall raus. Sein Kreislauf war runter. Das war schade und Pech für uns.“ Baumgart war aber hoffnungsfroh, dass sein Mittelstürmer im Heimspiel gegen den SC Freiburg an diesem Samstag (1. November) wieder mitwirken kann. Das wäre immens wichtig. Als Mittelstürmer ist es die Aufgabe des Serben, Räume zu schaffen, in die seine pfeilschnellen Nebenleute Ansah und Burke sprinten können. Das tut er vorbildlich. Ilic reibt sich in Zweikämpfen auf, geht sprichwörtlich dahin, wo es wehtut. Doch der 1,89 Meter große Angreifer kann nicht nur seinen Körper geschickt einsetzen, er besitzt auch eine beachtliche Spielintelligenz. Nach acht Ligaspielen kommt Ilic bereits auf fünf Torvorlagen – kein anderer Bundesligaprofi hat mehr Assists auf dem Konto. Beim 4:3-Sieg bei Eintracht Frankfurt gelang ihm ein besonderes Kunststück, als er dem Schotten Burke dessen drei Tore auflegte. Drei Torvorlagen in einem Spiel waren zuvor in der Bundesliga-Geschichte von Union Berlin niemandem gelungen.
Union steht aktuell auch deswegen nicht in der abstiegsbedrohten Zone, weil Ilic vom Spielertyp her die perfekte Ergänzung zu Ansah und Burke ist und das Offensiv-Trio deutlich mehr Wucht entwickelt als die Sturmreihen der Vorjahre. „Wir haben viel Kraft, viel Stärke, viel Schnelligkeit. Es ist sehr aufregend, was wir leisten können“, schwärmte Burke. Während der Ex-Bremer und der Junioren-Nationalspieler Ansah aufgrund ihrer Tore und teils spektakulären Aktionen bejubelt werden, steht Ilic ein wenig im Schatten. Dabei hatte Union für ihn vor der Saison das meiste Geld ausgegeben, stolze fünf Millionen Euro überwies der Club an den OSC Lille. In der Vorsaison war der gebürtige Belgrader bereits an die Eisernen ausgeliehen. Er hatte einen guten Eindruck hinterlassen, aber keinen herausragenden. Dennoch so viel Geld für diesen Spieler auszugeben, zeugt von absolutem Vertrauen der Verantwortlichen. Und die bekommt Ilic bei Union.
„Andrej hat sich in kurzer Zeit hervorragend in unser Team eingefügt, trotz einiger Auf und Abs in der Saison. Mit seinen Leistungen auf dem Platz hat er bewiesen, dass er uns nachhaltig weiterhelfen kann“, sagte Sport-Geschäftsführer Horst Heldt. Der Ex-Nationalspieler schwärmte, Ilic bringe „die körperliche Präsenz, den Torinstinkt und die Mentalität mit, die wir in unserer Offensive brauchen“. Heldt war es auch, der die Leihe von Ilic in der Spielzeit 2024/25 in letzter Sekunde durchdrückte, weil er von dem Serben vollauf überzeugt war. Der damalige Trainer Bo Svensson war es nicht, er ließ Ilic kaum spielen und nominierte ihn mitunter nicht mal für den Spieltagskader. Selbst ein Ende der Leihe nach nur einem halben Jahr hatte im Raum gestanden.
Doch dann kam der Trainerwechsel von Svensson zu Baumgart – und Ilic fand doch noch sein Glück bei Union Berlin. „Dass Andrej aufblüht, hat auch viel damit zu tun, dass er spielt“, erklärte Trainer Baumgart und fügte noch hinzu: „Diese Chance, regelmäßig auf dem Platz zu stehen, bekommt er jetzt. Das rechtfertigt er mit Leistung zurück.“ Und zwar mit sieben Treffern in der Rückrunde der Vorsaison und ansprechenden Leistungen in der neuen Spielzeit. Dass Ilic aktuell in einer Torkrise steckt, bereitet Baumgart keine größeren Bauchschmerzen: „Es nur eine Frage der Zeit, bis er trifft. Die Zeit lassen wir ihm auch.“