Der Kleiderschrank quillt über, die Müllberge wachsen und das schlechte Gewissen auch. Es braucht Platz für neue Styles, aber wohin mit den „alten“ Teilen? Ein neuer Öko-Trend gibt Antwort auf diese Frage: Re-Sale von Textilien.
Schicke und gut erhaltene Kleidungsstücke kann jeder weiterverkaufen, damit andere sie weitertragen. „Circular Fashion“, auch Kreislaufmode genannt, erfreut die Umwelt. Das Kleiderkarussell für gebrauchte Hosen, Röcke, Shirts und Mäntel dreht sich bei Händlern und Brands wie Hessnatur, der Otto-Tochter About You mit dem Sortiment „Second Love“, Bergzeit oder Ortovox immer schneller. Für vergleichsweise wenige Euro findet sich auf Secondhand-Plattformen der Originalverkäufer etwa eine „neue“ Hose, die nachhaltig ist.
So auch bei dem deutschen Naturtextilien-Versandhaus Hess Natur-Textilien GmbH & Co. KG, kurz Hessnatur, mit Sitz in Butzbach im Wetteraukreis in Hessen. Das Angebot des Versandhändlers, der in München und Hamburg auch lokale Stores hat, wendet sich seit seiner Gründung 1976 an naturbewusste Menschen oder auch an Allergiker, die möglichst naturrein produzierte Waren bevorzugen. Das gesamte Sortiment stammt aus fairem Handel und für die Kleidung werden ständig neue Verfahren entwickelt. Denn der Rohstoff für die Kleidung soll möglichst ohne Chemie angebaut und hergestellt werden. Dadurch sind die Sachen zwar nicht günstig, dafür aber angenehm und sehr lange tragbar – in mehrfachem Sinn, da beim Gebrauch kein Reizklima mit irritierenden Gerüchen und sonstigen Reaktionen auf der Haut entsteht. Die Fasern sind Bio, das Garn mit natürlichen Mitteln haltbar gemacht.
Neuerdings ist die natürliche Haltbarkeit der Baumwoll-, Leinen-, Tencel-, Modal- oder Wollkleidungsstücke auch für weitere Träger ein Vorteil. Obwohl der Spezialist für nachhaltige Mode erst seit Februar 2023 mit seinem Secondhand-Programm online ist, würden die Erwartungen aus dem Vorfeld bereits übertroffen, heißt es aus dem Unternehmen. „Unsere Kundinnen schicken häufig mehrere Teile ein und sehen das Angebot als gute Lösung, sich in einer nachhaltigen Weise von ihren Hessnatur-Kleidungsstücken zu trennen“, erzählt Stefan Mues, Co-CEO des Naturtextilien-Versandhauses. Darüber hinaus würden die Hessnatur-Kundinnen den Service des Weiterverkaufs schätzen. „Sie können ihre Artikel über eine einfache Eingabemaske eingeben, bekommen ein kostenloses Retourenlabel und schicken sie dann an uns. Der Rest liegt bei Hessnatur, nach erfolgreichem Verkauf erhalten die Kunden den zuvor vereinbarten Betrag“, sagt Mues.
Umweltfreundlich, langlebig und biologisch abbaubar – so definiert Hessnatur einen Modekreislauf mit Zukunft. Trotzdem darf es mithilfe des Secondhand-Angebots auch mal etwas Neues sein. Der Kundinnen-Mix dafür bestehe bei dem Naturwarenversender aus langjährigen Stammkundinnen, die sich von Teilen trennen, aber auch aus Kunden, die ein getragenes Stück gegen ein neues austauschen möchten. „Die Käuferinnen schätzen unser Angebot sehr, da wir nur geprüfte Teile weiterverkaufen und als Hessnatur ein vertrauenswürdiger Mittelsmann dafür sind“, verrät Mues.
Denn vor allem nachhaltig produzierte Kleidung ist auch nach Jahren oft noch viel zu gut in Form, um daraus Putzlappen zu machen. „Wir haben schon einige Produkte erhalten, die zehn Jahre alt sind“, berichtet der Hessnatur-Mitgeschäftsführer. „Jedes Teil, das unsere Qualitätskriterien erfüllt, wird angenommen.“
„Secondhand ist ein zusätzlicher Umsatzkanal“
In der deutschen Textil- und Modeindustrie sind einer Umfrage des Gesamtverbandes zufolge bereits mehr als die Hälfte der verkauften Produkte nachhaltig. Die UN-Nachhaltigkeitsagenda motiviert zusätzlich dazu, mit Kreislaufmodellen Treibhausgase einzusparen. „Es gilt: re-duce, re-use, re-cycle“, betont Mues. Die Butzbacher geben ihren Kundinnen auch Tipps zur schonenden Pflege und zur Reparatur, die sie den weniger Nähfreudigen mit einem hauseigenen Reparaturservice gegebenenfalls abnehmen.
Gut und sparsam – im Sinne von überlegt und selten – einkaufen (reduce), die Kleidungsstücke schonen und nach dem Aussortieren durch andere Nutzer weiterverwenden lassen (re-use), kommt im textilen Kreislauf also vor dem Recyceln. Es liege auf der Hand, sagt Mues, dass beim Weiterverwenden durch Re-Sale keine wesentlichen neuen Ressourcen der Umwelt angezapft werden müssen. Die Lösung für alle, die trotzdem gern öfter mal neue Outfits kaufen, besteht somit darin, Mode auf Zeit zu besitzen und sie secondhand weiter vermarkten zu lassen. Textile Gebrauchtware bieten immer häufiger die ursprünglichen Händler an, wie bei Hessnatur sogar in geprüftem Zustand.
Damit aus einem „Alt-aber-gut“- ein „So-gut-wie-neu“-Kleidungsstück wird, kümmert sich für einige Anbieter ein Start-up in Berlin um den Re-use-, also den Wiederverwendungsprozess. Vor gut zwei Jahren startete reverse.supply mit einer speziellen Software und einem All-inclusive-Handling-Service in Berlin, um das aufwendige Geschäft rund um den Re-Commerce textiler Schönheiten für die Mode-Labels abzufedern. „Unsere Partnerschaften bestehen zum einen mit verschiedenen Marken im Outdoor- und Sportbereich und zum anderen mit namhaften Fair-Fashion-Brands wie Armedangels, Hessnatur und Jan ’n June“, berichtet Janis Künkler, Gründer und Geschäftsführer von reverse.supply.
Vor allem im Outdoor- und Sport-Segment seien die Kleidungsstücke aus sehr langlebigem Material, welches den Wiederverkauf begünstige. Der Re-Sale sei auch für die Partner finanziell lukrativ. „Secondhand ist ein zusätzlicher Umsatzkanal“, bilanziert der Berliner Gründer. Laut dem Geschäftsführer erzielt das Secondhand-Programm zehn Prozent zusätzlichen Umsatz für die Marken, mit denen sein Unternehmen zusammenarbeitet. Diese setzten schon in der Produktion auf langlebige Materialen und würden bereits beim ersten Verkauf dafür werben, die Sachen gegebenenfalls wieder einzutauschen.
Denn der rücksendende Kunde verdiene natürlich ebenfalls, wenn die Sachen wiederverkauft werden. Das kann auch in Form eines Gutscheins sein, den der Kunde dann in den reverse.supply-Partnershops einlöst. „Vor allem können Kunden so nachhaltig und sinnvoll ihre gebrauchten Kleidungsstücke wieder in den Kreislauf einführen“, betont Künkler.
Das Marktvolumen sei riesig und wachse konstant. „Es gibt enorme Massen an Kleidung, die sich dafür eignen, wiederverkauft zu werden“, sagt der Auffrischungs- und Überprüfungsspezialist. Laut einer Greenpeace-Studie lägen etwa 1,8 Milliarden ungetragene Kleidungsstücke in deutschen Kleiderschränken.
Individuelle Trage- und Wascheigenschaften würden jedes einzelne Secondhand-Kleidungsstück zu einem Unikat machen, sagt Künkler, weswegen es sehr aufwandsintensiv sei, gebrauchte Kleidung wiederzuverkaufen. „Das unterschätzen viele Unternehmen komplett“, ist seine Erfahrung. Und auch wenn Software bei der Prüfung des Kleidungszustandes einiges abdecke, sei die Arbeit mit Secondhand-Kleidung am Ende sorgfältige Handarbeit.
Am Anfang steht nachhaltiger Stoff
Im Berliner Logistikzentrum des Start-ups dampfen nicht nur die Kleidungsstücke während der Reinigung, bevor sie für die Onlineshops der Partner fotografiert werden. Auch die menschlichen Prüfer arbeiten auf Hochtouren: „Unsere Produktbewerter sind darin geschult, innerhalb kürzester Zeit die Kleidung zu inspizieren und anhand verschiedener Merkmale einzustufen. Insgesamt wird jedes Kleidungsstück, welches wiederverkauft wird, auf bis zu 30 Punkte geprüft“, erzählt Künkler. Zum Beispiel inspizieren seine Mitarbeiter den Geruch oder mögliche Schäden wie Löcher oder fehlende Knöpfe.
Parallel zur Qualitätsprüfung kommt die eigens entwickelte Software des Start-ups ins Spiel. Dort werde jedes Merkmal in einem Gradingsystem hinterlegt. So würden alle Daten über das Kleidungsstück erfasst. Machine Learning setzt reverse.supply im gesamten Preisbestimmungsumfeld ein. Die Vision sei es, zukünftig mithilfe von automatisierter Bilderkennung herauszufinden, um welches Farbschema oder um welche Stoffzusammensetzung es sich handelt.
Am Anfang von Re-Sale im textilen Kreislauf steht nachhaltiger Stoff. „Unsere Vision ist es, dass langfristig Modehändler die Art, wie Kleidung hergestellt wird, von Grund auf neu denken. Wenn Ware zwei-, drei-, oder viermal verkauft werden kann und dabei jeweils eine Marge herausspringt, dann könnten Modehändler in der Produktion von Anfang an Stoffe einsetzen, die langlebiger und nachhaltiger sind“, sagt der Start-up-Gründer.
Seine Rechnung, die er mit einer Studie belegen kann, die reverse.supply zusammen mit der Utrecht University durchgeführt hat, ist überzeugend einfach: Die CO2-Emissionen eines T-Shirts, welches durch den reverse.supply-Prozess ging, wurden dafür mit denen von zwei T-Shirts aus dem linearen Prozess verglichen. Für den Vergleich seien zwei T-Shirts verwendet worden, da ein Secondhand-Shirt zwei Lebenszyklen hat. „Am Ende kam raus, dass es 6,6 Kilogramm Kohlendioxid einspart, ein Shirt wiederzuverkaufen, verglichen damit, zwei neue Shirts zu kaufen“, sagt Künkler.
Sein Fazit: „Das nachhaltigste Kleidungsstück ist das, was schon existiert. Daher ist eine der relevantesten Möglichkeiten, um den Kreislauf eines Kleidungsstücks zu verlängern und signifikant Ressourcen und CO2 einzusparen, Kleidung wiederzuverkaufen.“ Aber was passiert mit Hosen, Pullovern, Kleidern oder Röcken, die secondhand keine Käufer finden? Schicken Secondhand-Plattform-Betreiber wie Hessnatur die Sachen nach einiger Zeit zurück, oder wäre das ökologisch unsinnig?
„Kleidung wieder einen Wert geben“
„Den Verkäuferinnen gehören ihre Sachen, bis sie verkauft sind“, sagt Hessnatur-Geschäftsführer Mues. Bei dem, was nach sechs Monaten nicht verkauft worden sei, könnten die Verkäufer entscheiden, ob sie die Ware zurückerhalten möchten, oder ob sie in den Verwertungsprozess gehen soll. „Wir planen, möglichst viel von dieser Recyclingware zu sammeln, um daraus neue, recycelte Teile zu produzieren“, erweitert Mues die Perspektive für nachhaltige Kleidung über den Putzlappen-Gebrauch hinaus.
Doch zurück zum Re-Sale: Grundsätzlich verkaufe sich Secondhand-Ware so gut, dass man zumindest bei Hessnatur davon ausgehe, dass sich die Anzahl der Teile, die innerhalb von sechs Monaten nicht abverkauft werden, in einem überschaubaren Rahmen halten werde.
Eine Einschätzung, die Künkler bestätigt: In den USA sei der Verkauf von Secondhand fünf Mal so schnell gewachsen wie der allgemeine Kleidungsmarkt. Laut Studien werde der Fast-Fashion-Markt in den nächsten zehn Jahren stagnieren, während der Secondhand-Markt weiter rasant wachse. Deshalb lautet Künklers Appell: „Wir müssen Kleidung wieder einen Wert geben. Sie als Wegwerf-Produkt zu deklarieren, darf keine Option mehr sein.“