Jährlich lassen sich Millionen von Bundesbürgern auf Kosten der gesetzlichen Krankenkassen orthopädische Schuheinlagen verschreiben. Ein wissenschaftlich gesicherter Nachweis über die tatsächliche Wirksamkeit dieses Hilfsmittels ist bislang jedoch nicht gegeben.
Rund zwölf Millionen Bundesbürger tragen derzeit zur Minderung von Schmerzen oder zur erhofften Wiederherstellung ihrer Beweglichkeit orthopädische Schuheinlagen. Das sind immerhin 19 Prozent der Gesamtbevölkerung. Seit geraumer Zeit werden jährlich rund 4,5 Millionen dieser Hilfsmittel, die im Fachjargon zu den Orthesen gerechnet werden auf Kosten der gesetzlichen Krankenkassen von Orthopäden verschrieben. Zusätzlich bieten Drogeriemärkte oder Internet-Anbieter standardisierte, rezeptfreie Einlegesohlen an, die mehr Komfort für beanspruchte Füße versprechen und schon für kleines Geld, im Schnitt zwischen sieben und 25 Euro, zu haben sind. Das Verblüffende an den hohen Verkaufs- und Konsumzahlen der Schuheinlagen ist dabei der Sachverhalt, dass die tatsächliche Wirksamkeit dieser Hilfsmittel bislang durch keine einzige wissenschaftlich fundierte Studie nachgewiesen werden konnte. Mit Ausnahme des diabetischen Fußsyndroms, bei dem Betroffene infolge ihrer Erkrankung schmerzlose, schlecht heilende Wunden an den Füßen entwickeln können, oder bei Vorliegen einer rheumatoiden Arthritis. Diese beiden Krankheiten scheinen laut aussagefähigen Forschungsarbeiten durch Einlagen durchaus behandelbar zu sein.
Rund 19 Prozent der Deutschen tragen orthopädische Schuheinlagen
Im Zeitalter der evidenzbasierten Medizin wäre eigentlich zu erwarten, dass auch für orthopädische Einlagen der Wirksamkeitsnachweis wie für andere Therapieformen absolute Grundvoraussetzung für eine Erstattung der Anschaffungskosten durch die gesetzlichen Krankenkassen sein müsste. Stattdessen genügt in diesem Fall die seit Jahrzehnten eingeführte Praxis der millionenfachen Verschreibung durch die mächtige Phalanx der Orthopäden, mit denen und deren Expertise sich offenbar niemand ernsthaft anlegen möchte. Niemand scheint hierzulande ernsthaft Interesse oder noch weniger das nötige Geld für die Durchführung großer, repräsentativer Studien bezüglich der Wirksamkeit von orthopädischen Schuheinlagen zu haben. Die gelegentlichen, sich in letzter Zeit aber häufenden kritischen Anmerkungen zu diesem zentralen Problempunkt der Hilfsmittel werden in Orthopäden-Kreisen fast schon als Sakrileg betrachtet. Auch wenn das Fehlen wissenschaftlich fundierter Belege noch in keinster Weise den Schluss nach sich ziehen muss, dass die Einlagen den Betroffenen nicht doch wirksam helfen können. Fakt ist aber dennoch, wie eine medizinische Dissertation aus dem Jahr 2021 nach umfassender Auswertung von knapp 280 klinischen Studien ergeben hatte, dass sich daraus eine häufig postulierte Wirksamkeit von orthopädischen Schuheinlagen nicht ableiten lasse. „Auch ist eine Überlegenheit maßgefertigter Einlagen gegenüber konfektionierten Einlagen nicht bewiesen“, so der Autor Dr. David Christian Keilholz.
Den Stein der Kritik an den orthopädischen Schuheinlagen hatte die „Süddeutsche Zeitung“ 2010 so richtig ins Rollen gebracht, als sie unter der Headline „Gute Geschäfte mit Plattfüßen“ folgenden harten Vorwurf erhoben hatte: „Seit Jahrzehnten verschreiben Orthopäden Schuheinlagen – obwohl diese in den meisten Fällen nutzlos sind.“ Es fehle jeglicher wissenschaftliche Beweis für Notwendigkeit und Nutzen einer solchen Therapie. „Während jedes neue Medikament seinen Wert erst in aufwendigen, kontrollierten Studien unter Beweis stellen muss, genügt bei orthopädischen Hilfsmitteln allein die jahrzehntealte Erfahrung der Ärzte, damit die Kassen die Kosten übernehmen.“
Einlagen könnten nach Ansicht eines von der „Süddeutschen“ damals befragten Experten nur dann überhaupt etwas bringen, wenn die Ursachen der Beschwerden davor gründlichst diagnostiziert worden seien, wofür vielen Ärzten in der täglichen Praxis aber einfach die Zeit fehlen würde. Zusätzliche Mühen müssten selbst engagierte Orthopäden auf sich nehmen, weil sie nicht einfach nur die Diagnose auf ein Rezept für Sanitätshaus und Orthopädietechniker schreiben, sondern möglichst in allen Einzelheiten spezifizieren sollten, welche Art von Einlage angefertigt werden und was damit erreicht werden soll: „Knick-, Spreiz-, Senkfüße treten häufig in Kombination auf, Einzelformen sind eher selten. Weil die Fußwölbung in erster Linie durch Muskelkraft aufrechterhalten wird, ist unter Fachleuten inzwischen umstritten, ob man den Füßen mit einer starren Unterlage überhaupt einen Gefallen tut. Denn diese stützt zwar ein zu schwach ausgeprägtes Gewölbe; da die Muskeln aber dadurch entlastet werden, schwächen sie womöglich langfristig die natürliche Fußmuskulatur.“ Starker Tobak, der auch noch durch den Hinweis auf die völlige Unsinnigkeit von Schuheinlagen für Kids in frühesten Lebensjahren auf Drängen besorgter Eltern weiter untermauert wurde: „Dabei kommt jedes Kind mit platten Fußsohlen auf die Welt.“ Von daher sei der Nutzen von Einlagen bei kleinen Kindern bei keinerlei Indikation nicht erkennbar. Hilfreich sei dagegen, wie generell auch bei allen Erwachsenen mit Fußproblemen, das möglichst häufige Barfußlaufen, egal auf welchem Untergrund, weil dadurch die Fußmuskulatur und damit auch das Fußgewölbe nachhaltig gestärkt werden könne.
Auch der Bayerische Rundfunk (BR) widmete den orthopädischen Schuheinlagen häufiger kritische Verbraucheraufklärungen, zuletzt im Sommer 2022 unter der Überschrift „Einlagen: Teures Geschäft oder sinnvolle Therapie?“ Allein 2020 hätten die gesetzlichen Krankenkassen für das Hilfsmittel stolze 482 Millionen Euro ausgegeben. „Doch die eigentlichen Kosten liegen höher, Patienten zahlen häufig mehr. Oft reichen die Kassenleistungen nicht für eine optimale Versorgung.“ Dann pflegen viele Betroffene für bessere Einlagen in die eigene Tasche zu greifen. Zur Beantwortung der Eingangsfrage hatte der BR mit dem Orthopäden Prof. Stefan Sesselmann, der an der Ostbayerischen Technischen Hochschule in Amberg-Weiden seit Jahren über Einlagen forscht, eine hiesige Koryphäe herangezogen. „Nur weil die Studienlage schlecht ist, können wir nicht sagen, dass die Wirkung von Einlagen schlecht wäre. Wir können aus den ersten Anhaltspunkten, die wir generieren, schon sagen, dass für bestimmte Dinge eine Wirksamkeit nachzuweisen sein dürfte“, so Prof. Sesselmann.
Der BR ließ auch die renommierte Münchener Orthopädin Prof. Sandra Utzschneider zu Wort kommen: „Einlagen sind kein Allheilmittel, sie sind ein Bestandteil der Therapie. Ganz wichtig dabei ist, erst einmal die richtige Diagnose zu stellen und dann auch die passende individuelle Therapie einzuleiten. Das passiert sicherlich unterschiedlich gut, denn das kostet Zeit und die fehlt in vielen Praxen.“ Doch selbst nach sorgfältigster Diagnose, zu der in der Praxis von Prof. Utzschneider nach der manuellen Untersuchung ein Scan gehört, aus dem die Druckverteilung des Fußes abgelesen werden kann, hat der Einsatz von Schuheinlagen doch seine Grenzen: „Durch die Therapie mit Einlagen kann ich beim Erwachsenen prinzipiell nicht mehr eine komplett andere Fußform herstellen“; so Prof. Utzschneider, „die ist festgelegt. Ich kann nur durch die bestimmte Art und durch die bestimmte Fertigung der Einlagen die Druckbelastung günstig beeinflussen und dadurch eben den Fuß beschwerdefrei bekommen.“ Ganz wichtig sei dabei auf jeden Fall die ärztliche Kontrolle der Versorgung und eine eventuell erforderliche Nachbesserung der Hilfsmittel, was aber häufig nicht stattfinden würde. Zudem sollten bei Fehleinstellungen der Füße die Einlagen mit anderen Therapien oder auch individuellen Patienten-Übungsprogrammen kombiniert werden. „Entscheidender Faktor ist die muskuläre Stabilisierung“, so Prof. Utzschneider, „Das ist oft eine Kombination aus der physiotherapeutischen Behandlung und eigenen Übungen.“
Kinderfüßen sollten laut Prof. Utzschneider genügend Zeit zur Entwicklung gegeben werden. Falls keine gravierenden Erkrankungen oder Schmerzen vorliegen, sollten die Kids daher frühestens ab dem Grundschulalter mit Einlagen versorgt werden: „Das Ziel der Versorgung bei Kindern ist, dass wir möglichst bis zum Eintreten der Pubertät einen Fuß haben wollen, mit dem der Mensch dann auch sein ganzes Leben bestehen kann. Und da haben wir in manchen Fällen auch eine gute Hilfe mit den Einlagen“, so Prof. Utzschneider.
Wenn Einlagen dauerhaft getragen werden, dann wird die Muskulatur nicht mehr gereizt
Ein ganz entscheidender Faktor für einen möglichen Behandlungserfolg mit Schuheinlagen ist laut dem BR-Beitrag die Arbeit des Orthopädie-Technikers, der daher vom Betroffenen mit viel Sorgfalt ausgewählt werden sollte. Dabei sollte man sich am besten im privaten Umfeld umhören. Weil perfekte Handwerkskunst, langjährige Erfahrung und hohe Spezialisierung auf diesem Gebiet wichtige Voraussetzungen für gute Einlagen sind. Den Orthopäden ist es allerdings untersagt, ihren Patienten und Patientinnen entsprechende Ansprechpartner zu nennen. Von Bestellungen im Internet wird dringend abgeraten: „Einlagen werden individuell angepasst, und man muss sich ja an die Einlagen gewöhnen. Wenn also Änderungsarbeiten nötig sind, wo soll der Patient dann hingehen? Er kann ja nicht ins Internet gehen“, so der vom BR konsultierte Orthopädietechnikermeister Bernd Urban aus Weiden. Man sollte auch nicht außer Acht lassen, dass Einlagen auch schaden können: „Wenn man die Einlagen dauerhaft trägt, die Therapie nicht vom Arzt begleitet wird“, so Prof. Sesselmann gegenüber dem BR, „dann wird die Muskulatur entlastet, sie wird aber nicht mehr gereizt. Dadurch verkümmert sie unter Umständen und das Problem könnte sogar noch größer werden, als es vorher war.“ Laut dem BR gibt es hierzulande keinerlei genaue Angaben darüber, ob und wie lange Einlagen von Patienten tatsächlich getragen werden. Geschweige denn darüber, wie viele der Millionen von Patienten wirklich von der Einlagenversorgung profitieren. Grund genug auch für den „Spiegel“, im Sommer 2022 unter der Überschrift „Warum zu viele Menschen Einlagen tragen“ die gängige Verschreibungspraxis des Hilfsmittels infrage zu stellen, „obwohl meist unklar ist, ob sie überhaupt helfen“. Und auch die „Welt“ hatte Ende März 2023 ihren Lesern das strittige Thema durch ein Interview mit Prof. Sesselmann vor Augen geführt.
Grundsätzlich hat jeder gesetzlich Krankenversicherte nach ärztlicher Untersuchung seiner Füße auf Beschwerden wie Spreiz-, Knick-, Senk-, Hohl- und Plattfuß oder Fersensporn und der Verschreibung eines entsprechenden Rezepts durch den Orthopäden Anspruch auf Kostenübernahme durch die Krankenkassen. Diese erstatten in der Regel die Ausgaben für zwei Paar Einlagen pro Jahr, wobei der Patient zwischen fünf und zehn Euro pro Paar dazu aus eigener Tasche beizutragen hat. Je nach Anforderung stehen verschiedenste Materialien zur Verfügung, von weichen Schaumstoffen oder einer Kork-Leder-Kombination bis hin zu härteren Substanzen wie Kunststoffen, Carbon oder sogar Metallen. Wer viel Wert auf möglichst schöne Optik legt, kann sich auf eigene Rechnung für Modelle mit dekorativem Neopren- oder auch Leder-Überzug entscheiden.
Im Sanitätshaus wird mittels verschiedener Mess- und Abdruckmethoden ein individueller Fußbestand ermittelt, der die Basis für die anschließende Arbeit des Orthopädietechnikers darstellt. Zum Anprobieren der fertigen Einlagen empfiehlt sich das Mitbringen von möglichst unterschiedlichen Schuhen, beispielsweise einem Freizeit- und Business-Schuh, in denen die Einlagen in der Regel getragen werden sollen. Nach etwa vierwöchiger Eingewöhnungszeit sollte die Passform der Einlagen von ärztlicher Seite kontrolliert werden. Abhängig von den Beschwerden können Orthopäden unterschiedliche Arten von Einlagen verordnen, beispielsweise Stütz-, Entlastungs- und Korrektureinlagen, stoßdämpfende oder ruhigstellende Einlagen sowie Einlagen zum Beinlängen- oder Fußlängenausgleich. Inzwischen wird auch zwischen aktiven und passiven Einlagen unterschieden. Wobei unter ersteren sämtliche klassischen orthopädischen Einlagen verstanden werden, während die zweit genannten unter den Bezeichnungen „sensomotorisch“ oder „propriozeptiv“ beworben werden. Sensomotorische Einlagen, deren Kosten von den meisten Krankenkassen noch nicht übernommen werden, sollen durch spezielle Druckpolster, prall-elastische Kammern namens Pelotten, Muskeln und Nervenleitungen im Fuß gezielt stimulieren können, wofür es natürlich auch noch keine zuverlässigen wissenschaftlichen Nachweise gibt.