Er hat viele Gesichter und mancherorts sitzt er so tief, dass Nicht-Betroffene ihn nicht wahrnehmen. Die InRa-Studie „Institutionen und Rassismus“ um Dr. Sina Arnold erforscht Rassismus dort, wo er häufig unsichtbar bleibt.
Frau Dr. Arnold, der Rassismus-Diskurs findet vor allem an Universitäten statt. Wie kann es dann sein, dass sich Studierende der PoC-Community beschweren, dass Dozierende selbst rassistische Formulierungen benutzen und weißen Studierenden das zwar auffällt, sie aber nichts dagegen unternehmen? Berichtet hat das zum Beispiel „Zeit Campus“ am 11. Juli.
Die Universität ist in weitere gesellschaftliche Strukturen eingebettet, natürlich finden sich auch hier rassistische Haltungen und Lehrmaterialien. Immer wieder haben betroffene Studierende darauf hingewiesen, an den Unis selbst und auch im Internet, etwa unter dem Hashtag #campusrassismus. Da geht es um Sprüche von Dozierenden, um Kommiliton*innen, die mitmachen oder wegsehen, um veraltete Lehrmaterialien oder Curricula, die die eigene disziplinäre Geschichte nicht ausreichend reflektieren. Und auch die strukturelle Bildungsungerechtigkeit in Deutschland hat rassistische Effekte: Jugendliche mit Migrationshintergrund haben es schwerer, überhaupt einen Zugang zum Studium zu bekommen. Immerhin ist in den letzten Jahren einiges in Bewegung gekommen. Es gibt mehr Beschwerdestellen, mehr Beratung, mehr Sensibilität – eingefordert oft von Studierenden selber.
Was bedeutet institutioneller Rassismus?
Der Begriff ist in Deutschland nicht so weit verbreitet wie etwa in den USA oder in Großbritannien, wo er schon viel länger in der Forschung und auch im antirassistischen Aktivismus verwendet wird. Damit meint man nämlich nicht einfach nur, dass es Menschen mit rassistischen Einstellungen in Institutionen wie Behörden, Krankenhäusern, der Polizei oder eben der Universität gibt. Institutioneller Rassismus meint darüber hinaus, dass in den historischen Traditionen und aktuellen Handlungsweisen von Organisationen bestimmte Regeln, Vorschriften und Routinen existieren, die Rassismus immer wieder hervorbringen – und zwar auch unabhängig davon, ob die Mitarbeitenden das aktiv mittragen oder nicht.
Das ist natürlich gar nicht so leicht zu erkennen. Meistens beobachtet man die Effekte oder Ergebnisse. Man sieht also, dass eine Personengruppe anscheinend aufgrund bestimmter Merkmale von einer Institution benachteiligt wird. Aber wie genau es dazu kam, da sind Institutionen oft eine Blackbox.
Können Sie Beispiele für institutionellen Rassismus in Deutschland nennen?
Ein markantes Beispiel ist sicherlich die Mordserie des NSU, bei der die Polizei- und Sicherheitsbehörden jahrelang im Milieu der Opfer ermittelten – die Leitmedien sprachen von „Dönermorden“, die polizeiliche SoKo trug den Namen „Bosporus“. Rassistische Bilder migrantischer Schattenwirtschaft und Familienstrukturen trugen dazu bei, dass die eigentlichen Täter, nämlich deutsche Nazis, jahrelang ungestört Migrant*innen ermorden konnten.
Rassismus in Institutionen zeigt sich aber auch bei häufigeren anlassunabhängigen Polizeikontrollen nicht-weißer Menschen, was als „Racial Profiling“ (siehe Infobox) beschrieben wird. Oder wenn die Polizei öfters Razzien in Shisha-Bars oder Cafés arabischer Betreiber durchführt, unter dem Schlagwort der „Clankriminalität“. In Grundschulen erhalten Kinder mit Migrationsgeschichte seltener Empfehlungen für weiterführende Schulen, jüdische Schüler*innen fühlen sich mit Erfahrungen von Antisemitismus alleingelassen. In unserer Studie geht es um Diskriminierungserfahrungen von geflüchteten Roma aus der Ukraine, die im vergangenen Jahr insbesondere im Bereich der Unterbringung anders und viel schlechter behandelt wurden als andere Geflüchtete. Diese Sonderbehandlung wurde von unterschiedlichen öffentlichen Einrichtungen mitgetragen oder toleriert, und in ihr spiegelten sich ganz alte antiziganistische Bilder wider.
Vielen Menschen fällt es noch immer schwer, diese Form von Rassismus wahrzunehmen. Wie macht man am besten darauf aufmerksam?
In Deutschland fällt es ja weiterhin schwer, überhaupt das Wort „Rassismus“ in den Mund zu nehmen. Er wird immer noch vor allem mit Rechtsextremismus assoziiert, anstatt zu akzeptieren, dass rassistische Denkweisen ganz strukturell in unserer Gesellschaft verankert sind. In einem ersten Schritt gälte es, überhaupt erst einmal anzuerkennen, dass Rassismus auf unterschiedlichen gesellschaftlichen Ebenen existiert, auch in Institutionen. Und zwar unabhängig von bösen Absichten. Wir brauchen aber auch mehr Forschung zu einzelnen Institutionen. Erst wenn wir wirklich wissen, was in der Blackbox vor sich geht – und nicht nur, was die Effekte sind, nämlich die Diskriminierung bestimmter Personengruppen –, kann auch politisch interveniert werden.
Wie kann man Rassismus in Institutionen vorbeugen?
Vorbeugen lässt sich etwa durch mehr Sensibilität bei den Mitarbeitenden und Mitgliedern einer Institution – etwa durch Antidiskriminierungstrainings. Behörden sollten auch ihre Personalpolitik überdenken: Auf mehr Diversität in Teams zu achten begünstigt das Vertrauen bei Kund*innen und Klient*innen mit ähnlichen Diskriminierungsmerkmalen. Aber es müssen vor allem die institutionellen Instrumente wie Handreichungen, Richtlinien, Dienstanweisungen immer wieder auf den Prüfstand gestellt werden. Für Betroffene ist es außerdem wichtig, klare Ansprechpersonen zu haben, an die sie sich im Falle rassistischer Vorfälle wenden können. Unabhängige Beratungs- und Beschwerdestellen sind dabei zentral.
Kann es Institutionen geben, die frei von Rassismus sind?
Das hängt sehr von der Institution ab. Es gibt in den letzten Jahren auch viele positive Entwicklungen bei Einrichtungen, die den innerinstitutionellen Rassismus reflektieren. Aber das ist bei einer kleinen Kita natürlich einfacher in Handlungen umzusetzen als bei einer großen Universität. Und bei manchen Institutionen steht der ureigene Zweck diesem Ziel sicherlich entgegen. Die Aufgabe von Ausländerbehörden etwa ist nun einmal das Selektieren von Menschen entlang von Kriterien, die notwendigerweise auch rassistisch sind. Die Bundespolizei muss die Grenzen von Nationalstaaten schützen, in die eben nicht alle reindürfen. Unter dem Stichwort des „Abolitionismus“ wird zunehmend diskutiert, welche Institutionen eigentlich reformierbar sind und welche tatsächlich abgeschafft und umgewandelt werden müssten. Klar ist: Keine Institution ist von der Gesellschaft isoliert. In einer rassistisch strukturierten Gesellschaft müssen wir also notwendigerweise auch über sehr grundlegende gesellschaftliche Veränderungen nachdenken.