Der Druck ist an allen Ecken und Enden täglich spürbar: zu wenig Personal, Warten auf einen Platz, reduzierte Angebote. Kitas brauchen dringend eine Ausbildungs- und Investitionsoffensive.
Erzieherin zu sein, „das ist ein Traumberuf – wenn die Bedingungen stimmen. Im Moment ist es eher ein Alptraum“. So beschreibt eine Erzieherin die aktuelle Situation – und es scheint keinesfalls eine dramatische Übertreibung zu sein.
Seitenweise ließen sich Studien und Stellungnahmen zitieren, die auf die Entwicklungen hinweisen. Dabei ist fast egal, aus welchem Blickwinkel die Situation beleuchtet wird, im Ergebnis ergibt sich immer wieder dasselbe Bild. Wachsenden Ansprüchen und Aufgaben steht ein drastischer Personalmangel gegenüber.
Dabei ist es kein Widerspruch, dass derzeit so viele Menschen in Kindertageseinrichtungen beschäftigt sind wie noch nie zuvor. Das Fachkräftebarometer Frühe Bildung, veröffentlicht von der Weiterbildungsinitiative Frühpädagogische Fachkräfte (WiFF), gestützt auf Daten des Statistischen Bundesamtes, zeigt, dass sich die Zahl der Beschäftigten seit 2006 bis 2021 verdoppelt hat, von damals gut 415.000 auf dann über 820.000, davon rund 700.000 pädagogisches Personal. Ein wesentlicher Impuls für den Personalaufbau war der erweiterte Rechtsanspruch für Kinder ab zwei Jahren (2013). Im Saarland hat sich nach der Veröffentlichung die Zahl der Beschäftigten in diesem Zeitraum von knapp 4.700 auf mehr als 8.500 (davon knapp 7.200 pädagogisches Personal) annähernd verzweifacht, also ebenfalls im Gleichschritt.
Das ändert aber nichts am chronischen Personalmangel. Die Bertelsmann Stiftung hatte im vergangenen Jahr vorgerechnet, dass bundesweit rund 384.000 Kita-Plätze fehlen. Dafür bräuchte es rund 100.000 Erzieherinnen und Erzieher. Von der Stiftung geschätzter Kostenbedarf: 4,3 Milliarden Euro.
Für das Saarland bedeutet die Bertelsmann-Studie: Es fehlen rund 4.700 Plätze in Krippen- und Kindertageseinrichtungen, dafür wären dann rund 1.500 Fachkräfte notwendig. Außerdem ist die Hälfte aller Gruppen eigentlich zu groß, und für rund Dreiviertel der Kinder steht in den Gruppen zu wenig Personal zur Verfügung. „Um allen Kindern eine qualitativ hochwertige Bildung von Anfang an zu ermöglichen, müssen wir endlich umsteuern. Wir brauchen massiv verbesserte finanzielle und fachliche Anstrengungen, um die Ressourcen des frühkindlichen Bildungssystems zu stärken“, forderte Thomas Otto, Hauptgeschäftsführer der Arbeitskammer des Saarlandes.
Recht auf Kitaplatz schafft zusätzlichen Druck
Abgesehen vom eigentlichen (zusätzlichen) Bedarf ist die Situation bei den bestehenden Angeboten teilweise in einem kritischen Bereich. Öffnungszeiten und Angebote werden mangels Personal reduziert. Nach Angaben der Arbeitskammer fehlt regelmäßig etwa ein Viertel des Personals in den Kitas.
Als kürzlich die von der SPD-Regierung angekündigte schrittweise Abschaffung der Elternbeiträge und damit die Beitragsfreiheit in den Kitas diskutiert und beschlossen wurde, gab es heftigen Widerspruch mit dem Grundtenor: Besser die Qualität verbessern als das Geld für die Beitragsfreiheit aufzuwenden. „Statt 46 Millionen Euro in die beitragsfreien Kitas, wäre es angezeigt, die finanziellen Mittel in bessere Betreuungsschlüssel für die Kitas zu investieren“, forderte beispielsweise FDP-Landesvize und Bildungsexperte Marcel Mucker.
Dem hält Bildungsministerin Christine Streichert-Clivot den „Kita-Zukunftspakt Saarland“ entgegen, wozu gehört, dass die Ausbildungszahlen für Erzieherinnen und Erzieher um zehn Prozent erhöht werden sollen.
Der enorm gestiegene Personalbedarf ist unter anderem den zusätzlichen Aufgaben geschuldet, die vor allem vom Bundesgesetzgeber beschlossen wurden, unter anderem das Recht auf einen Betreuungsplatz, das noch ausgeweitet wurde.
Trotz beachtlicher Anstrengungen der Kommunen stößt dieses Recht auf die bereits dargestellten Kapazitätsgrenzen. Entsprechend hat unlängst ein Gerichtsurteil für große Aufmerksamkeit gesorgt. Das hat nämlich das Recht auf einen Betreuungsplatz deutlich gestärkt. Konkret ging es darum, dass Eltern nach mehreren Absagen auf die wohnortnahe Zuweisung eines Platzes geklagt hatten. Nach Beschluss des Oberverwaltungsgerichts gilt der Rechtsanspruch auch unabhängig davon, ob tatsächlich ein dringender Bedarf besteht. Somit müssten also Träger ihre Kapazitäten so ausbauen, dass dieses Recht auch jederzeit in Anspruch genommen werden könnte. Zu all diesen Herausforderungen ist seit dem Überfall Russlands auf die Ukraine die zusätzliche Aufgabe der Aufnahme von Flüchtlingskindern dazugekommen.
Bildungsministerin Streichert-Clivot setzt in ihrem „Kita-Zukunftspakt“ auf drei Schwerpunkte. Neben der Beitragsfreiheit und einer deutlich erhöhten Ausbildungszahl soll auch der Ausbau beschleunigt werden. Dafür könnten neue Kitas statt in individueller Planung in Standardbauweise entstehen. Ein Jahr Planungszeit könnte gespart werden, wenn man auf Standortmodelle, die schon mal eine Genehmigung durchlaufen haben, zurückgreifen würde.
Als wären das alles nicht schon ausreichend Baustellen, wird auch weiter darüber diskutiert, was Kitas als frühkindliche Bildungseinrichtung leisten sollen.
In die Diskussion um aktuelle und gute pädagogische Arbeit würden sicherlich gern auch mehr Beschäftigte eingreifen. Aber denen liegt derzeit vorrangig am Herzen, dass sich die Rahmenbedingungen erst einmal so verbessern, dass dafür überhaupt Freiräume gegeben sind, dass aus den Alpträumen wieder ein Traumberuf wird.