Fast 34 Milliarden Euro Mehreinnahmen erwarten die Steuerschätzer für die nächsten Jahre. Profitieren werden in erster Linie Länder und Kommunen. Der Bund steht weiter vor massiven Finanzierungslücken.
Sieben Uhr morgens, Luise-Schröder-Saal im Roten Rathaus in Berlin. Der Arbeitskreis Steuerschätzung macht sich über die Zahlen her. Vertreter der Finanzministerien aus 16 Bundesländern, des Statistischen Bundesamtes, der Bundesbank und der fünf führenden Wirtschaftsforschungsinstitute haben sich zusammengefunden. Drei Tage lang werden sie sich gegenseitig mit Zahlen, Statistiken und Rahmendaten zum Steueraufkommen bis 2029 beschäftigen.
Den Vorsitz hat Holger Zemanek, Leiter des Referats 01 A 05 des Bundesfinanzministeriums. Er muss in drei Tagen seinem Chef die Ergebnisse vorlegen. Sie werden die Grundlage für den Bundeshaushalt 2026 und die Langfristprognose bis 2029 sein. Also die entscheidenden Daten für die Arbeit von Bundesfinanzminister Lars Klingbeil (SPD).
Auf die FORUM-Frage, wie viel Macht man als Leiter 01 A 05 hat, muss Zemanek lachen: „Da habe ich gar keine Macht. Wir schauen wirklich nur auf die Einnahmenseite, was kann kommen, damit die Haushaltsabteilung bei uns eine Planungsgrundlage hat und auch der Bundestag oder die Länder dann auf Basis der Steuerschätzung ihre Ausgabenpläne anpassen können.“
Das Ergebnis nach den dreitägigen Beratungen klingt gar nicht so schlecht. Bis 2029 wird es eine Steigerung bei den Steuereinnahmen von 33,6 Milliarden Euro gegenüber der ursprünglichen Schätzung geben. Doch für Bundesfinanzminister Klingbeil bleibt die Lage angespannt. Er mahnt: „Es gibt überhaupt keinen Grund, sich zurückzulehnen.“ Die Mehreinnahmen werden nämlich vor allem den Ländern und Kommunen zugutekommen, dem Bund bleibt dagegen eine massive Finanzierungslücke.
Wie hoch diese allein 2026 ausfällt, ist da offenbar immer Sache des Betrachters. Die Summen variieren zwischen zehn und 30 Milliarden Euro, je nachdem, wen man im Haushaltsausschuss des Bundestages fragt. Bei der Opposition ist das Loch größer, bei Union und SPD sind die Schätzungen sehr viel moderater. Doch eine Finanzierungsdiskrepanz zwischen Einnahmen und Ausgaben bereits im kommenden Jahr ist nicht wegzudiskutieren. Durch die Anhebung der Pendlerpauschale und die Senkung der Gastrosteuer von 19 auf sieben Prozent machen die Länder Steuerausfälle in Milliardenhöhe geltend, die der Bund ausgleichen soll. Doch Finanzminister Klingbeil stellt bei der Vorstellung der aktuellen Zahlen klar, dass durch die prognostizierten Mehreinnahmen der Länder ein Ausgleich durch den Bund nicht mehr nötig ist.
„Wer bestellt, muss auch bezahlen“
Die Finanzminister der Länder sind wenig begeistert, für sie geht es ja nicht nur um drohende Steuerausfälle. Da ist immer noch das Problem der Altschulden in den Kommunen. Postwendend nutzt Alexander Schweizer seinen gerade angetretenen Vorsitz der Ministerpräsidentenkonferenz (MPK) dazu, gleich Tacheles zu reden. Für den Ministerpräsidenten von Rheinland-Pfalz muss der Bund endlich die durch seine Gesetzgebung verursachten Schuldenberge der Kommunen abbauen helfen. Motto: „Wer bestellt, der muss auch zahlen“, so Schweitzer zum Auftakt der MPK.
Bundeskanzler Friedrich Merz kündigte daraufhin eine deutliche Hilfe des Bundes an, um das Problem der überschuldeten Kommunen endlich anzugehen. Von Finanzminister Klingbeil gibt es dazu keine Stellungnahme. Kein Wunder, jetzt muss er erstmal den Bundeshaushalt für das kommende Jahr mit einer verfassungsgemäßen Neuverschuldung hinbekommen.
Unklar bleibt, wie groß das Finanzloch für 2027 ist. Jüngst sprach Klingbeil von 34 Milliarden Euro. Nach neuesten Berechnungen seines Ministeriums soll die Lücke 2027 auf rund 22 bis 23 Milliarden Euro gesunken sein.
Eine Steuerschätzung ist jedenfalls nur bedingt belastbar. Für das kommende Jahr gilt sie zwar als recht präzise, doch mit jedem weiteren Jahr sinkt die Verlässlichkeit, was vor allem mit den konjunkturabhängigen Steuern wie Körperschaft- oder Gewerbesteuer zusammenhängt.