Spricht man vom eleganten Zweiteiler, ist damit meistens der Hosenanzug gemeint. Sein feminines Pendant, lange in Vergessenheit geraten, ist nun zurückgekehrt: das Kostüm in seiner klassischen Variante.
First Ladys wie Brigitte Macron oder moderne Royals wie Herzogin Kate waren in der aktuellen Fashion-Welt so ziemlich die letzten Adeptinnen eines klassischen Ensembles, das so sehr aus der Mode gekommen war, dass sein Name im allgemeinen Sprachgebrauch fast nur noch mit Karnevalsverkleidungen in Verbindung gebracht wurde. Die Rede ist vom Kostüm, das seit dem 1967 durch Yves Saint Laurent eingeleiteten Siegeszug des Hosenanzugs als Power-Dressing für die elegante Business-Lady fast gänzlich von der Bildfläche der Mode verschwunden war. Sein Image des Altbackenen ließ sich beim besten Willen nicht mit dem auf Lässigkeit abzielenden Streetstyle oder „Athleisure"-Look in Einklang bringen. Zwar waren feminine Zweiteiler im Laufe der vergangenen Dekade gelegentlich in ausgewählten Designer-Kollektionen aufgetaucht, bei Chanel gehören sie ohnehin zur Marken-DNA. Doch wurde medial davon keinerlei Kenntnis genommen. Im Sommer 2016 hatte beispielsweise Prada versucht, dem Kostüm zu einer Renaissance zu verhelfen – mit kastig-weiten Jacken samt Zierpaspel zum knielangen Rock mit asymmetrischen Bahnen. Im Herbst/Winter 2018/2019 ließ Moschino den bevorzugten Look von Jacky Kennedy wieder aufleben, wobei die farbenfrohen Kostüme zusätzlich mit Reißverschlüssen und Lederdetails aufgepeppt waren.
Überraschung dann in der Wintersaison 2020/2021: Die deutsche Ausgabe der „Vogue" widmete dem Kostüm nicht nur einen ausführlichen Beitrag, sondern verstieg sich gleich zu folgender Ansage: „Das Kostüm löst im Herbst 2020 den Hosenanzug ab"! Was natürlich völlig übertrieben war, aber dennoch von der deutschprachigen Edition des Magazins „Elle" übernommen wurde: „Über den Hosenanzug gab es in den vergangenen Jahren viel zu berichten. Designer haben ihn jede Saison neu erfunden, um aus dem Männerkostüm für Karrierefrauen schlicht einen Anzug für Frauen zu machen. Mit neuen Schultern an der Jacke, ungewöhnlichen Farben oder femininen Details. Ab der Saison Herbst und Winter 2020/2021 ist das Kostüm der Modetrend, um den sich beim Zweiteiler alles dreht."
„Eine Handbreit unter dem Knie" noch aktuell?
Vielleicht aber sollte frau die Kirche lieber im Dorf lassen und vorerst lediglich zur Kenntnis nehmen, dass es diesen Winter neben dem nach wie vor vielfältigen Angebot an Hosenanzügen auch mal wieder einige interessante Designer-Kostüme gibt. Wobei besonders das ganz Offensichtliche in den Blick genommen wurde: die superkurzen Röcke, wie bei Emily Ratajkowski, Rokh, Jacquemus oder Eckhaus Latta. Die alte Moderegel, dass ein Rock im Büro mindestens eine Handbreit unter dem Knie enden sollte, sei damit laut der „Vogue" aufgehoben. Schließlich sei es viel aufregender, wenn der Rock nur eine Handbreit unter dem Blazer oder unter dem Po aufhöre. Wenn dazu auch noch die Jacke so weit gekürzt wird, dass ein Teil des Bauchs zusätzlich freigelegt wird, wie es auf den Laufstegen von Jacquemus oder Eckhaus Latta zu sehen war, dann dürfte der Look endgültig nicht mehr bürotauglich sein; wenn auch andererseits damit die Kombi für Streetstyle- oder Athleisure-Fans vielleicht etwas interessanter gemacht werden kann.
Die Jackenreduktion erinnert fast schon an die derzeit wieder angesagten Bralettes oder Bra-Tops. Aber gottlob gibt es auch seriöse Kostüm-Entwürfe. Beispielsweise von Prada: Das Label präsentierte eine Kombi von Blazern samt ausgewogen breiten Schultern und schmal-gegürteter Taille (um das Volumen zu straffen) mit wadenlangen Röcken, die wahlweise geschlitzt oder gänzlich im Fransenlook gestaltet waren. Auch bei Christian Dior war der wadenlange Kostümrock in Falten gelegt. Das italienische Label Agnona präsentierte einen Bleistiftrock als Kombi-Partner und setzte mit einem in Schwarz-Weiß gehaltenen und ganz mit Houndtooth-Print überzogenen Kostüm ein Show-Highlight. Michael Kors kombinierte einen Plissee-Rock in Midi-Länge mit einer figurbetonten, an den Schultern nur leicht ausgestellten Jacke in maskulinem Prince-of-Wales-Muster. Daneben gab es von Michael Kors auch noch ein Kostüm im Farbton Greige. Gabriela Hearst präferierte Beige bei ihrer etwas brav daherkommenden Kombi aus Jäckchen ohne jegliche Schulterbetonung mit leicht ausgestelltem Rock. Bei Chloé war ein schwingender Faltenrock der Zweiteiler-Partner zum schmal geschnittenen Blazer. Bei Fendi war auf dem Catwalk eine ganze Serie von Kostümen mit knapp geschnittenen Blazern zu trapezförmigen Röcken mit viel Beinfreiheit dank hoher Seitenschlitze zu bestaunen.
Für das große Portemonnaie gibt es von Hermès Kostüme aus butterweichem Leder samt plissiertem Rock, von Miu Miu (Jacke mit breiten Schultern sowie schmaler Taille zu wadenlangem Rock) oder von Fendi (eng an der Taille mit Gürtel geschnürte Jacke als Hybrid aus Blazer und Bikerkluft, kombiniert mit einem fast knöchellangen Faltenrock).
Auch für die kommende Sommersaison 2021 wird frau in den Designer-Kollektionen einige neue Kostüme finden können, beispielsweise eine ungewohnt ultraweit geschnittene Variante bei Christian Dior. Und wer sich traut, sollte ruhig mal das Lieblings-Acessoire von Madame Chanel zum Kostüm tragen: lange Halsketten aus Perlen oder Kunstperlen. Vielleicht sogar zum Tweed-Kostüm, das natürlich in der aktuellen Chanel-Kollektion nicht fehlen darf, bei Prada in einer etwas plump wirkenden Variante mit fast bis zum Knöchel reichendem Rock vertreten ist und das sogar auch Marc Jacobs in der Farbe Cremeweiß in seinem Sortiment führt. Auch Thom Browne hat sich in Sachen Kostüm für die Tweed-Ausführung mit Carré-Musterung entschieden.
Das Tweed-Kostüm von Coco Chanel wurde zum Prototyp
Apropos Coco Chanel: Sie hatte schon in den Goldenen Zwanzigern mit ihrem damals spektakulären, dem Zeitgeist weit vorauseilenden Tweed-Kostüm den Prototyp des Klassikers geschaffen. Im Februar 1954 wollte sie als damals 70-Jährige auf eben jenem Zweiteiler ihr Pariser Comeback nach langem Schweizer Exil aufbauen. Doch nach Meinung der Pariser Haute-Couture-Beobachter war ihr Entwurf etwas Altbackenes, ein verspäteter Aufguss einer vorgestrigen Idee von Schneiderkunst. Zumal dem bewusst eher schlicht gehaltenen Ensemble der in Kriegszeiten lange vermisste Glamour-Faktor komplett abging, den Christian Dior mit seinem zur Mode-Revolution deklarierten und seit 1947 weltweit gefeierten New Look geschaffen hatte.
Wer hätte sich an der Seine damals für eine Chanel-Kombi aus kastenförmiger, kragenloser, leicht taillierter, hüftlanger Jacke samt dezenten Schulterpolstern und einem knielangen, leicht ausgestellten Rock mit reichlich Bewegungsfreiheit für die Beine entscheiden sollen, wenn gleichzeitig Dior mit seiner Deux-Pièces-Kombination von extrem tailliertem „Bar Jacket" und weit ausgestelltem Rock samt enger Taille für Furore sorgte? Dass Madame Chanel für ihre Kostüme nicht nur ausgefallene Materialien wie melierten Tweed, Wolljersey oder das in der alpenländischen Trachtenkultur traditionell gebräuchliche Bouclé verarbeitete, wurde kaum positiv zur Kenntnis genommen. Während Christian Dior auf weiblichen Komfort zugunsten von Eleganz und Chic pfiff, wollte Coco Chanel den Damen mit ihren praktischen Kostümen in erster Linie zu einer neuen modischen Freiheit verhelfen – und das Kostüm als veritables Pendant zum Herrenanzug etablieren, wie jener eher konservativ gehalten, aber in der gewollten Reduktion doch reichlich femininen Esprit ausstrahlend. Dass Coco Chanel mit ihrem Kostüm einen wesentlichen Beitrag zur Emanzipation der Frauen geleistet hatte, schien in Europa anno 1954 niemand auch nur zu erahnen. Den Amerikanerinnen war das hingegen offenbar intuitiv bewusst geworden, nicht zuletzt wohl deshalb, weil Kostüme in den USA schon in den 1940er-Jahren zur bevorzugten Kluft der in die Arbeitswelt drängenden Frauen geworden waren. Dort wurde Coco Chanels Kreation von Anfang an als großer Wurf bejubelt. Und damit war die Basis dafür gelegt, dass das Kostüm à la Chanel zur bevorzugten Uniform der eleganten Frau in den 1950er- und 1960er-Jahren aufsteigen konnte – mit US-Präsidenten-Gattin Jackie Kennedy als herausragender Protagonistin.