Die Energiewende ist nicht nur Lust, sondern auch Last vieler Unternehmen. Ein Zurück gibt es jedoch nicht. Weniger Bürokratie und mehr Bürgerbeteiligung erhöhen die schleppende Akzeptanz, hieß es beim Energiekongress in Saarbrücken.
Der Blick auf die Zahlen macht erst einmal Mut: Balkon-Kraftwerke und Photovoltaikanlagen auf Hausdächern boomen, die Flaute beim Zubau an Windkraftanlagen scheint überwunden, neue Anwendungen und Technologien in der Solarenergie kommen auf den Markt, rund 60 Prozent des erzeugten Stroms in Deutschland stammt mittlerweile aus regenerativen Energiequellen. Das Erreichen des 80-Prozent-Ziels bis 2030 rückt in realistische Nähe.
Und doch rumort es hinter den Kulissen. Schleppender Netzausbau, zu geringe Speicherkapazitäten, zu viel ungenutzter Sonnenstrom im Netz, steigende Preise, überbordende Bürokratie und jede Menge Proteste gegen neue Stromleitungen, Windkraftanlagen oder Flächenverbrauch durch Solaranlagen. Knipsen die Menschen in Deutschland der so dringend benötigten Energiewende selbst das Licht aus? Die Komplexität der grünen Transformation scheint immer mehr Menschen in diesem Land inzwischen zu überfordern und die Sehnsucht nach den guten alten Zeiten zu befeuern. Dieses Stimmungstief in der so krisengebeutelten deutschen Bevölkerung machen sich vor allem die Populisten zunutze. Ungeachtet der immer häufiger auftretenden Klimakatastrophen wie Überflutungen, anhaltender Dürre oder Stürmen auch hierzulande propagieren sowohl rechts- als auch linkspopulistische Parteien die Rückkehr zu billigem Gas aus Russland oder Atomkraft.
„Menschen nicht überfordern“
Aber ein Zurück wird es nicht geben, der Klimawandel schreitet immer schneller voran, die grüne Transformation und damit die Energiewende sind gesetzt. Eine der Kernfragen neben der Finanzierung ist es, wie die Menschen auf diesem Weg mitgenommen und besser eingebunden werden können. Damit beschäftigte sich der Energiekongress des IZES im September in Saarbrücken. Das IZES (Institut für Zukunfts-Energie- und Stoffstromsysteme), das in diesem Jahr sein 25-jähriges Jubiläum feierte, hatte dazu Fachleute aus Politik, Energiewirtschaft und Forschung ins Saarbrücker Schloss eingeladen.
In seiner Begrüßung erläuterte Wirtschafts- und Energieminister Jürgen Barke die immensen technologischen und finanziellen Herausforderungen der grünen Transformation im Saarland, verwies gleichzeitig auf die Chancen für die Saarwirtschaft. „Die Investition in die CO2-freie Produktion bei Saarstahl ist eine Investition in Klimaschutz und Sicherheit der Arbeitsplätze.“ Das Saarland habe gute Voraussetzungen, eine Drehscheibe für Wasserstoff in der Großregion zu werden. Der Anfang sei gemacht. Acht Terawattstunden Strom allein für die grüne Stahlproduktion und noch einmal so viel Strom für die anderen Industriezweige im Saarland, 600 Milliarden Euro Investitionen allein in die Übertragungsnetze in Deutschland seien gigantische Summen, die der Markt alleine nicht regeln könne. „Wir dürfen die Unternehmen und Menschen bei der Transformation nicht überfordern“, so sein klares Credo.
Carolin Schenuit, Vorständin beim Forum Ökologisch-Soziale Marktwirtschaft in Berlin, forderte von den politisch Verantwortlichen mehr Klartext, um die Sinnhaftigkeit der Energiewende verständlich zu erklären. „Wir brauchen eine bessere und konkrete Kommunikation in der Breite und schnellere Ergebnisse, damit die Menschen mitmachen.“ Frühzeitige Einbindung der betroffenen Menschen bei Genehmigungsverfahren, transparente und regelmäßige Kommunikation oder die Beteiligung der Menschen an Energieprojekten wie Energiegenossenschaften seien geeignete Mittel, um die Bürgerinnen und Bürger zu gewinnen oder zumindest Verständnis für die grüne Transformation bei ihnen zu erzeugen.
Jede Menge Beispiele möglicher Bürgerbeteiligungen hatte Fabian Reidinger, Leiter der Stabsstelle Zivilgesellschaft und Beteiligung in Baden-Württemberg, mitgebracht. Die Lernkurve aus dem Konfliktprojekt „Stuttgart 21“ sei enorm und hätte deutlich gemacht, dass Projekte am Willen der Bürger vorbei keine Chancen zur regulären Umsetzung hätten. „Die Energiewende wird nicht ohne die Menschen gelingen. Im Gegenteil: Die Bürgerbeteiligung ist eine Investition in die Zukunft und eine Stärkung der Demokratie.“ Die Ansiedlung der Batteriefirma Cellcentric in Weilheim/Teck sei nur deshalb erfolgreich verlaufen, weil die Anwohner von Anfang an transparent und fair eingebunden gewesen seien. Der Nutzen für die Bürgerinnen und Bürger, die Politik und Verwaltung und den Vorhabenträger seien deutlich zum Tragen gekommen. Der vertrauliche Umgang habe darüber hinaus die Demokratie gestärkt, ist sich Reidinger sicher.
So nötig die Energiewende ist, so komplex ist die Umsetzung. Wie sollen Laien verstehen, dass die Politik vehement den Ausbau der Erneuerbaren Energien verlangt, aber der zu viel erzeugte Solarstrom einfach abgeregelt wird, sprich ungenutzt verpufft? Wie kann es sein, dass der Börsenpreis sinkt bei zu viel Strom aus Erneuerbaren im Netz, aber der Strompreis für die Haushalte trotzdem steigt? „Wir brauchen mehr Flexibilität im Netz und ein neues Marktdesign“, fordert die Präsidentin des Bundesverbands Erneuerbare Energie, Simone Peter. „Die Erneuerbaren Energien sind im Markt längst angekommen und kompensieren zunehmend Strom aus Kohle und Atom. Schnellerer Netzausbau, mehr Speicherkapazitäten, verstärkte Sektorkopplung und grüne Wasserstoffproduktion sorgen für eine bessere Nutzung des überschüssigen Stroms im Netz.“
Dass sich allen Unkenrufen zum Trotz in Deutschland in der Forschung und Entwicklung neuer Anwendungsmöglichkeiten der Photovoltaik einiges tut, zeigte Berit Müller von der Deutschen Gesellschaft für Sonnenenergie auf. Dazu gehören bauwerkintegrierte Photovoltaik als Sicht-, Schallschutz oder Dämmung, Kombiprodukte von Photovoltaik und Solarthermie oder in Verbindung mit Wärmepumpen oder die lange Liste der Agri-Photovoltaik, sprich Anwendung in der Landwirtschaft.
Früh Bevölkerung in Projekte einbinden
Unterschiedliche Erfahrungen in der Projektumsetzung hatten Prof. Dr. Ingo Sass vom Geoforschungszentrum Potsdam und Janina Heidl vom Übertragungsnetzbetreiber Amprion in Dortmund gemacht. Trotz der vielen Vorteile, die beispielsweise tiefe Geothermie dem Standort Deutschland in puncto Unabhängigkeit bietet, sind die Projekte hierzulande überschaubar. „25 Prozent des Wärmeverbrauchs in Deutschland pro Jahr könnten allein mit tiefer Geothermie gedeckt werden. Technologisch ist das möglich, aber die Diskussion um das ‚toxische‘ Fracking hat den Ruf von Geothermie in Deutschland vollends zerstört.“ Die Konsequenz: Es gebe kein Fachpersonal, kaum Ausbildung, keine Strukturen, keine Genehmigungsverfahren und kaum Akzeptanz. „Wir müssen zurück zu einer faktenbasierten Diskussion“, appellierte Ingo Sass. Selbst das Saarland verfüge über geeignete Möglichkeiten wie Grubenwassernutzung oder Speichermöglichkeiten für Wasser wegen des Bergbaus. Und die Frage müsse erlaubt sein, wer künftig in die Fernwärmeschiene Saar einspeisen könne. Die Geothermie gehöre schon aufgrund ihrer Verfügbarkeit und Bedeutung auf die politische Agenda.
Janina Heidl von Amprion sieht sich mit ähnlichen Akzeptanzproblemen beim dringend benötigten Netzausbau konfrontiert, kann aber auf Erfolge verweisen. Dass der Ausbau der Stromnetze zum Gelingen der Energiewende notwendig sei, darüber herrsche allgemeiner Konsens selbst bei Projektgegnern. „Es geht heute beim Netzausbau vielmehr um die Frage, wie wir das umsetzen, ob beispielsweise mit Freileitung oder Erdkabel oder ob Leitungen samt Masten woanders verlaufen können. Handlungsoptionen zu haben, ist das A und O in der Kommunikation.“ Zwar könne in der Praxis kein Konsens mit allen Beteiligten erzielt werden, dafür aber die Akzeptanz des Projekts. Heidl plädiert für eine frühzeitige Beteiligung der Bürgerinnen und Bürger im Rahmen von Genehmigungsverfahren, betont aber auch die Herausforderungen wie sich ändernde Rahmenbedingungen, Mehrfachbetroffenheit der Menschen, Zeitmangel aufgrund verkürzter Verfahren und zunehmend mehr Projekte. „Wir brauchen in der Diskussion das Verständnis füreinander.“
Der aus Berlin zugeschaltete Journalist Uli Hauck aus dem ARD-Hauptstadtstudio gibt den Medien eine gewisse Mitschuld an der aktuellen Entwicklung, wenn beispielsweise in Talkshows Menschen, die Probleme bewusst leugnen, ein medialer Raum geboten werde. Er betont aber auch die Herausforderung für den Journalismus im Umgang mit Politikern, die Fakten ignorieren oder absichtlich verdrehen. Neben einer gewissen Nachrichtenmüdigkeit aufgrund der zahlreichen Krisen und den vielen Bedrohungsszenarien sieht Hauck dennoch eine Mehrheit pro Klimaschutz in Deutschland – vor Augen das nunmehr dritte schwere Hochwasserereignis des Jahres in Deutschland.