Bauen alleine ist nicht die Lösung, sagt Franz Michel, Leiter der Wohnungs- und Mietenpolitik beim Deutschen Mieterbund. Explodierende Bodenpreise und das neuerliche Rekord-Wohnungsdefizit sind nur durch zielgerichtete Wohnungspolitik in den Griff zu bekommen.
Herr Michel, Mieten von 1.000 Euro für zwölf Quadratmeter: Was man früher nur aus Paris und London kannte, hat sich inzwischen auch in Berlin und anderen deutschen Städten etabliert. Was hat zu der extremen Preissteigerung geführt?
Gründe für die Preisexplosion auf dem Wohnungsmarkt gibt es viele: Privatisierung von Wohnraum, Verlust von Sozialwohnungen, hohe Neubaumieten und vor allem die Grundstücks- und Immobilienspekulation. Im Immobilienmarkt steckt viel Geld, er ist auch für große Rentenfonds interessant. Die Zinsen waren lange billig und der Wohnraum in Berlin im internationalen Vergleich noch recht günstig. Das alles machte Berlin für ausländische Investoren attraktiv. Auch Geldwäsche ist ein Thema. Es fehlt an Transparenz. Oftmals ist es unklar, wer eigentlich Eigentümer ist. Es wird viel mit Bargeld operiert, sodass sich Transaktionen oft nicht nachvollziehen lassen.
Obwohl sich die Situation weiter zuspitzt: Geschieht genügend zum Schutz der Mieter?
Mittlerweile haben wir einen sehr angespannten Wohnungsmarkt. Da sollten eigentlich besondere Mietschutzinstrumente zur Anwendung kommen. Stattdessen können Immobilienspekulanten weiter wahllos investieren. Das Mietrecht bietet immer noch viele Schlupflöcher. Dazu zählen: keine Preisgrenzen bei Neubau, viele Ausnahmen bei Neuvermietung und diverse Möglichkeiten, die Mieten nach oben zu treiben, etwa nach einer energetischen Sanierung.
War es falsch von der Politik, verstärkt auf Wohneigentum zu setzen?
Das Problem: Wird eine Mietwohnung erst einmal in eine Eigentumswohnung umgewandelt, ist sie weg vom Markt. Der Eigentümer kann damit machen, was er will. Er kann sie auch leer stehen lassen. Seit 2015 wurden in Berlin immerhin 120.000 Wohnungen umgewandelt.
Wurden Baugrundstücke in der Vergangenheit vielleicht zu leichtfertig verkauft?
Ja, leider. Fehlende Baugrundstücke stellen ein riesiges Problem dar. Auch für den Sozialen Wohnungsbau. Denn geeignete, einst billig verscherbelte Grundstücke müssen nun bisweilen teuer nachgekauft werden. Die Bodenpreise sind deutschlandweit explodiert. Während in Hamburg die Preise seit 2010 immerhin um 136 Prozent gestiegen sind, beträgt die Steigerung in Berlin sogar 450 Prozent. Wie plan- und wahllos etwa in Berlin Filetgrundstücke verkauft wurden, zeigt auch das Beispiel an der Rummelsburger Bucht, wo lieber Aquarien anstatt bezahlbare Wohnungen entstehen.
Käufer von Immobilien wurden sogar mit großzügiger Steuerersparnis gelockt. Stichwort lineare Abschreibung. Sie wurden dafür belohnt, Wohnungen als Investitionsanlagen zu kaufen und nicht dafür, um darin zu wohnen.
Man kann sagen, die Politik hat es komplett versemmelt. Nach der Wiedervereinigung wurden in Berlin Grundstücke wahllos an meistbietende Investoren verkauft, ohne zu kontrollieren, was danach mit ihnen passiert. Leider wurde aus den Fehlern nichts gelernt. Sozialwohnungen fallen weiter aus der Bindung, und wenn heute neu gebaut wird, entstehen statt gemischten Quartieren eher Investorenwohnungen für Zahnärzte aus Hamburg, die die meiste Zeit leer stehen. Das Mietenthema wird in Deutschland weiter stiefmütterlich behandelt. Wien macht das anders. Dort darf nur noch mit Mietpreisbremse und sozial gebaut werden.
Eine Wohnungsbau-Studie, in Auftrag gegeben von Mieterbund, Baugewerkschaft, Sozial- und Branchen-Verbänden der Bauwirtschaft ermittelt für 2023 ein Rekord-Wohnungsdefizit von über 700.000 Wohnungen. Um die Sozialwohnungsnot zu bremsen, fordern Sie ein Sondervermögen von 50 Milliarden Euro. Wer soll das bezahlen?
Es wurde in der Vergangenheit einfach zu wenig Geld in den Wohnungsbau investiert. Zuletzt nur ein bis anderthalb Milliarden. Diese Zahl zeigt, der Staat muss sich stärker engagieren. Jedes Jahr fallen 65.000 Wohnungen aus der Sozialbindung. Es muss einfach etwas passieren. Der Staat muss Wohnungen ankaufen oder auch andere Maßnahmen ergreifen, etwa die Mietpreisbindung gesetzlich verlängern. Bei dem Sondervermögen geht es ja nur um eine einmalige Investition. Will der Staat das Geld lieber „sparen“, könnten die Kosten langfristig gesehen deutlich höher ausfallen. Die Ausgaben für die sogenannte Subjektförderung, zu der auch das Wohngeld zählt, liegen bereits bei jährlich 18 Milliarden Euro. Tendenz massiv steigend. Wohngeld ist für die Betroffenen gut und wichtig. Aber es bekämpft nicht die Ursachen, nur die Symptome der Wohnungsmisere.
Ist die Forderung „bauen, bauen, bauen“ wirklich die Lösung? Schafft das unkontrollierte Bauen wirklich mehr Wohnraum und reguliert das dann die Mieten, wie einige behaupten?
Bauen allein ist keine Lösung. Wir müssen uns angucken, was eigentlich gebaut wird. 2021 wurden 293.000 Wohnungen gebaut, davon waren weniger als ein Drittel Mietwohnungen und weniger als ein Zehntel Sozialwohnungen. Gebaut werden vor allem Eigentumswohnungen. Es fehlt insbesondere an bezahlbaren Wohnungen, da müssen Anreize gesetzt werden.
Die Bundesregierung ist von ihrem Ziel, pro Jahr 400.000 Wohnungen zu bauen – davon jede vierte eine Sozialwohnung – abgerückt. War dieses denn überhaupt realistisch angesichts des dramatischen Kostensprungs beim Wohnungsneubau? So prognostizieren Experten, dass bis Mitte 2023 die Kosten beim Neubau mit einer Steigerung von 148 Prozent nahezu zweieinhalb Mal so hoch sein werden wie noch im Jahr 2000.
Es war absehbar, dass das Ziel nicht umsetzbar war. Wohnungsneubau findet nur noch sehr eingeschränkt statt, weil er so teuer geworden ist. Solange die Zinsen quasi bei null Prozent lagen, ging es noch, inzwischen liegen sie bei vier Prozent. Dazu kommen die Materialknappheit und die gestiegenen Energiepreise. Weil Baumaßnahmen inzwischen nur noch auf Pump stattfinden, wurde die Planung von Neubauprojekten massiv zusammengestrichen. In Zukunft könnten andere, kreative Lösungen ein Weg aus der Misere sein. Etwa die Umwandlung von Büros in Wohnungen. Während es lange rentabler war, – oft nur scheinbar – baufällige Immobilien abzureißen, wird es langsam wieder attraktiver, sie instand zu setzen.
Ein paar Worte zur Zweckentfremdung, sprich Wohnungen als Ferienwohnungen im Internet anbieten. Wer sind die Profiteure der Misere?
Man kann es so formulieren: Je mehr Airbnb-Ferienwohnungen es in einer Stadt gibt, desto mehr steigen die Mieten. Die Zweckentfremdung ist bei uns weiterhin ein großes Problem! Trotz Kontrollen und neuem Gesetz, nach dem Ferienwohnungen meldepflichtig sind. Amsterdam hat die Auflagen für Airbnb deutlich verschärft. Bei uns bleibt die Datenlage bescheiden. Die Profiteure sind neben Airbnb Investoren und Spekulanten. Die Verlierer sind Menschen mit niedrigem Einkommen und immer häufiger auch die Mittelschicht. Im Grunde betrifft die Wohnungsmisere aber mittlerweile fast jeden.
Auf eine kleine Ein-Zimmer-Wohnung kommen in Berlin derzeit mittlerweile durchschnittlich 240 Interessenten. Und das, obwohl die Zahlen des Statistischen Landesamtes Berlin zeigen, dass in den letzten 30 Jahren die Zahl der Wohnungen (+16 Prozent) und die Wohnfläche (+25,7) pro Person im Verhältnis zur Bevölkerungsentwicklung (+6,7 Prozent) sogar zugenommen hat. Wie kann das sein?
2001 lag die Leerstandsquote noch bei fünf Prozent. Heute stehen nur noch 0,8 Prozent der zwei Millionen Berliner Wohnungen leer. Kleine Wohnungen werden besonders stark nachgefragt. Aber es fehlen natürlich auch große oder barrierefreie Wohnungen. Anfragen bei Portalen wie ImmoScout 24 zeigen: Wenn es überhaupt freie Wohnungen gibt, sind sie zu teuer. Und die wenigen freien Wohnungen werden häufig noch zweckentfremdet, nur möbliert mit Zeitverträgen vermietet oder in Eigentumswohnungen umgewandelt. Glücklicherweise hat sich der Prozess etwas verlangsamt.
Auch die Gewerbemieten haben sich in Berlin in den letzten zehn Jahren mindestens verdoppelt. Was bedeutet das für kleine Läden, Händler, Restaurants? Und letztendlich für Berlin oder andere Städte?
Das Gewerbemietrecht bietet zu wenig Schutz. Das führt zur Verdrängung und Gentrifizierung. Gewerbemieter müssten unbedingt besser geschützt werden.
Was halten Sie vom Enteignen, die Berliner Lösung?
Eine Aussage darüber kann erst gemacht werden, wenn die Umsetzbarkeit des Volksentscheides geprüft wurde. Es muss geprüft werden, was machbar ist und was es kostet. Es entsteht aber gerade der Eindruck, dass die dafür eingesetzte Kommission das Ziel hat, die Prüfung möglichst lange zu verzögern. Das Grundgesetz sieht nun einmal die Möglichkeit eines solchen Volksentscheides vor. Die Berliner haben abgestimmt und haben ein Anrecht auf eine vernünftige Prüfung. Es ist nicht gerade demokratiefördernd, dieses eindeutige Votum politisch unter den Tisch kehren zu wollen. Ich würde mir wünschen, dass sich die besten Juristen, die wir haben, des Themas annehmen. Das kann ich als Bürger erwarten.
Welche Lösungsmöglichkeiten sehen Sie sonst? Was müsste sich unbedingt ändern? Wo könnte man ansetzen?
Fast flächendeckend steigen in Deutschland die Mieten. In kleinen Landkreisen bisweilen schneller als in Metropolen. Wenn Wohnen dauerhaft bezahlbar bleiben soll, muss der Staat wieder stärker im Wohnungsbau aktiv werden, sowohl auf Bundes- als auch auf Länderebene. Wir sollten unser Augenmerk auf eine stärkere Gemeinwohlorientierung und Klimagerechtigkeit richten. Wenn Bauträger Steuerzuschüsse erhalten, sollten die Wohnungen, die entstehen, einer dauerhaften Mietpreis- und Belegungsbindung unterliegen. Außerdem bräuchten wir einen vorübergehenden Mietenstopp, um Mieterinnen und Mietern eine Atempause zu ermöglichen. Wenn wir das alles erreichen wollen, kommen wir um eine Reform im Mietrecht nicht herum.