Seit anderthalb Jahren sind die Mitglieder der „Letzten Generation“ aktiv. Straßenblockaden als politisches Druckmittel: Das könnte kriminell sein, vermutet die Generalstaatsanwaltschaft München und hat eine spektakuläre bundesweite Razzia veranlasst.
Der eigentlichen Chefin der Letzten Generation steht der morgendliche Schreck noch ins Gesicht geschrieben. „Plötzlich steht ein bewaffneter Polizist an meinem Bett und fordert mich auf, mich anzuziehen, während die übrigen Polizisten mein Zimmer durchwühlten.“ Carla Hinrichs hatte vielleicht mit einer weiteren Vorladung gerechnet, aber nicht mit einer Hausdurchsuchung in ihrer Kreuzberger Wohnung. Auch einer anderen Kleber-Aktivistin sitzt der Schreck tief in den Gliedern.
Nana wohnt zwar auch in Berlin, ist aber noch bei ihren Eltern in Niedersachsen polizeilich gemeldet. Dort war am frühen Morgen ebenfalls die Polizei. „Mein Vater kann jetzt nicht mehr arbeiten, weil alle Rechner beschlagnahmt wurden“, berichtet Nana mit tränenerstickter Stimme. Hintergrund für die bundesweiten Hausdurchsuchungen ist der Verdacht der Generalstaatsanwaltschaft München auf Bildung oder Unterstützung einer kriminellen Vereinigung. Was sonst bei arabischen Clans, Motorrad-Rockergruppen oder Mafia-Organisationen als Grund für bundesweite Razzien gilt, soll nun auch die Letzte Generation betreffen.
Ziviler Ungehorsam im Grenzbereich
Die Generalstaatsanwaltschaft sieht sich nach den Durchsuchungen dann auch bestätigt, zwei Konten mit über 1,4 Millionen Euro wurden sichergestellt. „Mit diesem Geld sollten weitere Straftaten vorbereitet werden“, so ein Sprecher der Staatsanwaltschaft München. Nicht nur die Sprecherin Carla Hinrichs sieht mit dem bundesweiten Zugriff eine weitere Kriminalisierung der Klima-Aktivisten.
Auch der ehemalige Präsident des Bundesverfassungsgerichts, Andreas Vosskuhle, hält diese juristische Konstruktion für reichlich gewagt, wobei er einräumt, dass im Rahmen des zivilen Ungehorsams, wie es die Klimaaktivisten nennen, auch Straftaten und Sachbeschädigen begangen würden. Daraus aber eine kriminelle Vereinigung abzuleiten, hält er für überzogen.
Selbst der Rechtsaußen der AfD-Bundestagsfraktion und Volljurist Stephan Brandner hält das Konstrukt für mehr als fragwürdig. Es war Brandner, der im Namen der AfD-Fraktion in einem Antrag Anfang Mai den Bundestag aufforderte, die Letzte Generation müsste vom Verfassungsschutz überwacht werden, da es sich um politisch Kriminelle handelt. Ausgerechnet dieser Brandner fordert eine Überwachung, wo er doch eigentlich dafür plädiert, „das Bundesamt für Gesinnungsschnüffelei“ (O-Ton Brandner) abzuschaffen. Doch nach den Hausdurchsuchungen und Beschlagnahmen kommen selbst dem Rechtsausleger Zweifel, ob die Münchner Staatsanwaltschaft mit ihrer Einstufung nicht ein bisschen übers Ziel hinausgeschossen ist.
Verschiedene Kriminologen warnen, dass es mit dieser Aktion zu einer weiteren Solidarisierung in breiteren Gesellschaftskreisen kommen wird. Das reklamiert die Letzte Genration längst für sich, wobei bei den spontanen Demonstrationen nach den Durchsuchungen in Berlin, Hamburg oder Düsseldorf jeweils nur einige wenige hundert Sympathisanten angetreten sind. Was mittlerweile auch die Staatsanwaltschaft in Berlin aufmerksam verfolgt, ist die schleichende Radikalisierung der Klimakleber. Im Sommer 2020 waren es Demonstrationen, mit denen die Letzte Generation um Aufmerksamkeit auf den Straßen buhlte. Damals eine kleine Klima-Splittergruppe, die neben Fridays for Future und Extinction Rebellion weitgehend unter dem Radar der öffentlichen Wahrnehmung agierte. Mitten im Wahlkampf 2021 holte die Letzte Generation zur ersten spektakulären Aktion aus: Hungerstreik im Klima-Camp vor dem Kanzleramt. Damals forderten sie die beiden Kanzlerkandidaten Olaf Scholz (SPD) und Annalena Baerbock (Grüne) auf, sie sollten ins Klima-Camp kommen und sich den bohrenden Fragen der Aktivisten stellen. Erst dann würde der Hungerstreik beendet. Scholz und Baerbock kamen selbstverständlich nicht, der Hungerstreik wurde nach drei Wochen sang- und klanglos abgebrochen.
Andere Klimagruppen kritisieren: Gewalt gegen den eigenen Körper ist auch Gewalt und bringt in der öffentlichen Einstellung nichts, der Staat und seine Vertreter lassen sich nun mal nicht erpressen. Doch das ficht die Vertreter der Letzten Generation nicht an. Die Klebe-Aktionen begannen im Februar vor einem Jahr. Damals ging es noch um das Recht auf Containern. Also aus den Müllcontainern der Supermärkte Essen, das nicht verdorben ist, für den Eigenbedarf rauszuholen und eben nicht wegzuwerfen. Damals als Demonstrationsform völlig neu, klebten sich die Aktivistinnen und Aktivisten per Sekundenkleber mit einer Hand auf dem Asphalt fest. Die Polizei kam schnell dahinter, dass mit normalem Speiseöl das Klebe-Spektakel innerhalb von 20 Minuten beendet werden kann.
In diesem Frühjahr folgte eine weitere Eskalationsstufe. Jetzt wird nicht nur festgeklebt, sondern die Hand wird mit Schnellbinder auf der Straße einbetoniert. Damit dauert es erheblich länger, die Aktivisten wieder von der Straße zu bekommen. Die Hand muss samt Asphalt mit einem Trennschleifer ausgeschnitten werden, danach muss dann noch das Straßenbauamt anrücken, um das Loch in der Straße wieder zuzuschütten. Dazu werden jetzt auch Autos gegen Autos eingesetzt. Mit Mietwagen wird der Verkehr ausgebremst, die Fahrzeuge werden quer gestellt und dann wird sich an den Autos festgeklebt. Nun fragen sich Sicherheitsexperten vermutlich nicht ganz zu Unrecht, was als nächstes kommt. Dabei wird immer wieder auf die Radikalisierung der Roten Armee Fraktion vor über 50 Jahren hingewiesen, die ihre Ursprünge in der Spaß-Guerilla ab Mitte der 60er-Jahre hatte. Der Vergleich ist politisch motiviert, hinkt aber erheblich.
„Gesellschaftlicher Verbund“
Die RAF hatte ihren „Kampf gegen das Schweinesystem“ durch Banküberfälle finanziert. Das Geld fürs Klimakleben kommt nach eigenen Angaben ausschließlich aus Spenden. Und genau da setzt nun auch die Generalstaatsanwaltschaft München an. Dort wird geprüft, wer die Spender sind und ob es Großspender gibt. Es soll ursprünglich vier Großspender aus der Öko-Tek-Szene in Deutschland, Großbritannien und den USA geben. Wobei das deutsche Unternehmen nach Angaben der Letzten Generation ausgestiegen ist. Ein erster herber Schlag, denn mit diesem Geld wurden die Strafmandate der Klebe-Aktivisten bezahlt.
Darum wurde noch Mitte Mai ein Bettelbrief für Spenden von der Letzten Generation losgeschickt. Dort wurde genau aufgelistet, dass man bis September noch 860.000 Spenden-Euro für die Protest-Aktionen auf der Straße benötige. Umso mehr war die Mitteilung selbst für die Sympathisanten verstörend, das auf zwei Konten der Letzten Generation insgesamt 1,4 Millionen Euro beschlagnahmt worden sein sollen.
Bei der Staatsanwaltschaft München gibt es zwei Ermittlungs-Ansätze, zum einen den Verdacht auf Bildung einer kriminellen Vereinigung und zum anderen die Möglichkeit von finanziellen Ungereimtheiten, wie auch immer die aussehen könnten. Problem ist der Status der Letzten Generation. Weder ist es eine Partei, noch ein eingetragener Verein. Aber was ist sie dann?
„Wir sind ein gesellschaftlicher Verbund, der für mehr Klimaschutz kämpft, um die Kipppunkte der Erde noch abwenden zu können“, verklausuliert Carla Hinrichs auf FORUM-Nachfrage den Status. Ein juristisch nicht näher definierter „gesellschaftlicher Verbund“ mit 1,4 Millionen auf dem Konto – auch das gab es bisher in dieser Form wohl noch nicht.