Katastrophale Hochwasser, heftige Unwetter, denen Veranstaltungen reihenweise zum Opfer fallen. Die Auswirkungen des Klimawandels sind unübersehbar. Trotzdem ist es schwerer geworden, zum globalen Klimastreik – am 20. September – zu mobilisieren.
Der Aufruf ist drängend: „In der Vergangenheit konnten wir uns immer darauf verlassen, dass Menschen wie Du uns finanziell unter die Arme greifen. Und auch dieses Mal sind wir auf Deine Hilfe angewiesen“, heißt es in einem Newsletter von Fridays for Future. Das Foto darüber zeigt eine große Kundgebung aus früheren Jahren mit einer dicht gedrängten Menschenmenge und Transparenten mit „Climate Justice Now!“ und „Make the World green again“.
Fünf Jahre ist nun der erste globale Klimastreik her, der allein in Deutschland fast eineinhalb Millionen auf die Straßen gebracht hat, in über 500 Städten und Gemeinden. Eine flächendeckende Bewegung, ausgelöst durch Schulstreiks von Fridays for Future, begleitet von einem öffentlichen und medialen Interesse wie kaum jemals zuvor, wenn es um Klimathemen ging.
Klimathemen unpopulär
Auch in diesem Jahr soll der 20. September im Zeichen der Klimarettung stehen. Aber die Vorzeichen haben sich geändert, massiv geändert. „Wir haben es bei den Wahlen in Sachsen und Thüringen gesehen: Obwohl die Bundesländer stark von der Klimakrise betroffen sind, hat der Klimawandel nur eine untergeordnete Rolle bei der Wahlentscheidung gespielt“, konstatiert Fridays for Future.
Vor fünf Jahren war Klima Thema Nummer eins in so gut wie allen Umfragen, seit geraumer Zeit wird es in den Rankings stetig weiter nach unten durchgereicht. Damals war die Bewegung derart in der breiten Bevölkerung angekommen, dass die Grünen erstmals in ihrer Geschichte sogar eine Kanzlerkandidatin für den Bundestagswahlkampf (2021) aufgestellt hatten, auch weil sich die Partei auf dem Weg sah, stärkste politische Kraft werden zu können. Drei Jahr später hat Annalena Baerbock, jetzt Außenministerin, frühzeitig abgewinkt. Sie wolle nicht als Kanzlerkandidatin bei der nächsten Bundestagswahl (2025) antreten, erklärte sie vor wenigen Wochen. Die Grünen liegen im aktuellen Deutschlandtrend (ARD, September 2024) bei gerade noch elf Prozent, der niedrigste Wert seit 2018. Auf der Agenda wichtiger Themen stehen derzeit Migration und Wirtschaft ganz oben. Erst mit deutlichem Abstand dahinter teilen sich soziale Gerechtigkeit, Bildung und Klimawandel die Plätze. Wobei Klima erneut vier Prozentpunkte verloren hat und nur noch von zwölf Prozent der Befragten als wichtiges Thema genannt wurde.
Zugleich sagen aber inzwischen relativ konstant über 90 Prozent bei Umfragen, dass sie den Klimawandel und den Kampf dagegen grundsätzlich für ein wichtiges Thema halten. Das Phänomen ist bekannt: Im Grundsatz ist die Herausforderung anerkannt, nur wenn es konkret wird, sieht die Sache oft eben anders aus. Die Widersprüchlichkeiten sind bei jedem einzelnen Projekt zu erleben.
Zu Zeiten des ersten globalen Klimastreiks war die Welt noch halbwegs in Ordnung, außer eben der drohenden Klimakatastrophe. Migration spielte nach 2015/2016 insofern noch eine Rolle, als nicht nur Migrationsexperten und globale NGOs (Nicht-Regierungs-Organisationen) aus den Bereichen Klima, Umwelt, Migration und Flüchtlinge davon ausgingen, dass der Klimawandel globale Migrations- und Fluchtbewegungen verstärken würde. Das Corona-Virus war nur Experten geläufig, und dass Putins Russland einen derart massiven Angriffskrieg gegen die Ukraine starten würde, beschäftigte nach der Annexion der Krim (2014) allenfalls Sicherheits- und Militärexperten.
Allerdings hat sich gleichzeitig, teils auch unter dem Druck dieser Entwicklungen, einiges in Sachen Klimaschutz ziemlich grundlegend verändert. Europa hat einen Green Deal beschlossen, dessen Umsetzung natürlich bei jeder einzelnen Maßnahmen streitbelastet bleibt. Und die US-Regierung von Joe Biden hat einen Inflation Reduction Act (IRA) auf den Weg gebracht, der mit massiven Fördermaßnahmen den Umbau der US-Wirtschaft in Richtung nachhaltig und zukunftsfest befördert, was natürlich jetzt auch im dortigen Wahlkampf heftig umstritten bleibt. In Deutschland hat die durch den russischen Überfall auf die Ukraine ausgelöste Energiekrise ebenfalls den Ausbau von erneuerbarer Energien massiv beschleunigt, allerdings auch eine Kehrtwende an anderer Stelle (Import von Fracking-Gas) mit sich gebracht.
Union: Grüne sind „Hauptgegner“
Die Entwicklungen haben die Geopolitik und die Gesellschaft verändert. Auch die Klimabewegung hat sich gewandelt. Zum Teil in ihren Protestformen radikalisiert, wie die Letzte Generation, die mit ihren Klebeaktionen für heftige Diskussionen sorgte. Zuletzt legten sie mit ihren Aktionen Mitte August gleich mehrere Flughäfen zeitweise lahm. Statt damit, wie erhofft, „aufzurütteln“, scheinen sie dabei eher das Gegenteil zu erreichen und auf breite Ablehnung zu stoßen.
Carla Hinrichs, die Sprecherin der Aktivisten, ist bereits mehrfach wegen Klebeaktionen verurteilt. Vor Gericht (Januar 2024, Prozess wegen Blockadeaktion in Frankfurt 2022) verteidigte sie die Aktionen als eine Art präventive Notwehr aus Gewissensnot. Das Gericht urteilte aber wegen Nötigung.
Bei Fridays for Future ist der anfängliche „Greta-Effekt“ längst verblasst. Aus den ursprünglichen Schulstreiks ist eine Bewegung geworden, die „angekommen“ ist in dem Sinne, dass sie ernst genommen wird, in Gesellschaft und in Medien, sicher auch in Politik und Wirtschaft – auch wenn die sich derzeit vorrangig mit anderen Themen auseinandersetzen.
Gleichzeitig ist die Diskussion darüber zu einem der Trigger-Punkte geworden, die spaltet. Für rechtspopulistische und rechtsradikale Parteien war der Kampf gegen alles, was nach grün aussieht oder mit Klima zu tun hat, immer schon ein Mobilisierungsfaktor. Inzwischen sind die Grünen auch schon mal von CSU und CDU zum politischen Hauptgegner erklärt worden.
Sobald über Klimathemen wie Mobilität, Energie und vieles mehr diskutiert wird, steht schnell der Vorwurf „ideologisch“ als Begründung für Ablehnung von vorgeschlagenen Maßnahmen im Raum. Dass sich trotzdem vieles in den letzten Jahren verbessert hat, wird auch von den Fridays-for-Future-Aktivisten in der Regel anerkannt. „Fünf Jahre, in denen viel passiert ist, aber noch viel mehr hätte geschehen müssen“, bilanziert Linda Kastrup, Klimagerechtigkeitsaktivistin aus dem Ruhrgebiet, und ergänzt: „Fünf Jahre sind seit dem 20. September 2019 vergangen und wir stehen noch immer an dem Punkt, dass wir der Regierung und den Konzernen Nachhilfe in der Klimakrise geben müssen“.
In dem Aufruf zum 20. September werden ebenfalls Fortschritte anerkannt, aber auch die vielen offenen Baustellen adressiert: „In einigen Bereichen haben wir gemeinsam bedeutende Fortschritte erzielt, wie der historische Ausbau erneuerbarer Energien zeigt. Doch es bleibt viel zu tun. Viel zu wenig geschieht im Verkehrssektor. Auch im Landwirtschaftssektor passiert kaum etwas. Und jetzt steht die Bundesregierung kurz davor, die Erschließung eines Gasfeldes vor Borkum zu ermöglichen“. Linda Kastrup formuliert etwas drastischer: „Ein Pseudo-Klimakanzler, ein abgeschwächtes Klimaschutzgesetz, neue Gas-Deals und eine erstarkte AfD: 2024 ist der Tiefpunkt der Klimaschutz-Geschichte Deutschlands.“
Wie groß der Klimaprotesttag am 20. September in diesem Jahr wird, ist noch nicht abzusehen. Es geht aber auch nicht nur darum, immer neue Rekorde aufzustellen, meint Protestforscher Simon Teune kürzlich gegenüber der „taz“: „Das Engagement muss sichtbar bleiben. Große Zahlen auf Demos sind dafür aber nicht der einzige Gradmesser.“ Aber sie sind gut für Sichtbarkeit und mediale Aufmerksamkeit.