Ob Bitcoins, Videostreaming oder eine E-Mail: Online-Aktivitäten benötigen enorme Mengen an Energie. Zum Glück geht es auch anders.
Die Kleinstadt Dresden im US-Bundesstaat New York sieht genauso aus, wie man sich das ländliche Amerika vorstellt: sorgsam gepflegte Holzhäuser, windschiefe Strommasten, dazwischen ein unbeschrankter Bahnübergang. Die einzige Eisdiele des 300-Seelen-Ortes hat schon lange geschlossen, hier und da flattert eine Trump-Fahne im Wind. Menschen sind nicht zu sehen.
Die eigentliche Attraktion ist die Natur. Dresden liegt am Seneca Lake, einem vom elf Seen, die sich wie lange Finger durch die Region ziehen. Das Klima ist so mild, dass am Ufer Wein angebaut wird. Im Sommer schwärmen Touristen herbei, um Saiblinge zu angeln oder übers Wasser zu schippern. Eine Szenerie wie am Bodensee, auf amerikanische Art.
„All das könnte schon bald vorbei sein“, sagt Yvonne Taylor, während sie am Ufer auf einer Bank sitzt. Die Einheimische engagiert sich bei der Umweltorganisation Seneca Lake Guardian, den Wächtern des Seneca-Sees. Taylor berichtet von steigenden Wassertemperaturen, sinkenden Fischbeständen und einer immer wieder auftauchenden Algenplage. „Und da ist die Ursache“, sagt die Aktivistin. Ihr Blick schweift zu drei Schornsteinen, die so gar nicht in diese Landschaft passen wollen. Es handelt sich um ein ehemaliges Kohlekraftwerk, das geschlossen werden sollte, seit 2017 aber auf Gasbetrieb umgestellt hat.
Zur Energiesicherheit trägt das Kraftwerk trotzdem kaum bei, denn der Strom, der hier produziert wird, fließt zum größten Teil in die Gewinnung von Bitcoins. Die sogenannte Krypto-Währung existiert ausschließlich digital. Es gibt keine Scheine oder Münzen, keine Zentralbank oder sonstige Kontrollinstanz, die über die Stabilität der Währung wacht. Als Geldanlage sind Bitcoins daher hochriskant, weshalb die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (Bafin) auf ihrer Website ausdrücklich davor warnt.
Weniger bekannt sind die Umweltauswirkungen der „Krypto-Minen“ – so nennt man die Orte, an denen die virtuelle Währung „hergestellt“ wird. Allein im Kraftwerk in Dresden stehen mehrere Tausend Computer, die rund um die Uhr damit beschäftigt sind, Bitcoins zu generieren. Der Strombedarf ist enorm, und damit auch der Effekt aufs Klima.
Schon mehrfach haben die Umweltschützer von Seneca Lake Guardian die Betreiberfirma Greenidge Generation verklagt, doch der Ritt durch die Instanzen zieht sich. Die Lokalpolitik scheint hinter dem Unternehmen zu stehen; ungeachtet aller Kritik läuft der Betrieb weiter. „Die werfen mit Geld um sich, spenden für die Feuerwehr, werben mit Arbeitsplätzen“, behauptet Taylor. „Natürlich sagt da niemand Nein.“ Ihr Mitstreiter Joseph Campbell hält das für kurzsichtig: „Wir sind nicht gegen die Wirtschaft, aber wir leben hier vom Tourismus. Wir brauchen eine intakte Umwelt, um zu überleben.“ Ein Dialog mit den Betreibern sei bisher nicht zustande gekommen. Auch auf Anfragen unserer Redaktion antwortet das Unternehmen nicht.
Aus der Forschung gibt es inzwischen erste Erkenntnisse zur Umweltauswirkung von Bitcoins. Allein zwischen 2020 und 2021 habe ihre Herstellung weltweit so viel CO2 emittiert wie 190 Gaskraftwerke, schreiben Forschende der United Nations University in einem Aufsatz in der Fachzeitschrift „Earth’s Future“. Was viele nicht wissen: Nicht nur die Krypto-Industrie wirkt sich spürbar aufs Klima aus, sondern auch das Internet an sich. Wer Filme streamt, Videokonferenzen abhält, Sprachnachrichten verschickt oder Cloud-Dienste nutzt, trägt unbewusst zum CO2-Ausstoß bei.
Internet erhöht CO2-Belastung
Das Hamburger Borderstep Institut hat hierzu genaue Zahlen berechnet. Eine Stunde Videostreaming in HD-Auflösung verursacht demnach zwischen 100 und 175 Gramm Kohlendioxid. Das ist etwa so viel, wie ein Kleinwagen während einer Strecke von einem Kilometer ausstößt – auf den ersten Blick nur eine geringe Menge, aber angesichts der Tatsache, dass Millionen von Menschen gleichzeitig Filme schauen, summieren sich die Werte. Zumal sich der CO2-Ausstoß verdreifacht, sobald man die bessere 4K-Auflösung wählt.
Selbst Anfragen bei einer Suchmaschine produzieren Klimagase. Eine E-Mail von einem Büro ins nächste läuft oft über Server weltweit, bevor sie am Ziel ankommt. Wo und zu welchen Bedingungen die dafür nötigen Daten gespeichert werden, lässt sich für Internetnutzer kaum nachvollziehen. Ob ein Streaming-Dienst auf Ökostrom setzt oder fossile Kohle verfeuert, bleibt ebenfalls im Unklaren. Fest steht nur: Allen Prognosen zufolge schreitet die Digitalisierung weiter voran – der Boom der künstlichen Intelligenz könnte das Problem weiter verschärfen.
Fachleute gehen davon aus, dass KI-Rechenzentren bereits heute für vier Prozent des weltweiten Strombedarfs verantwortlich sind. „Zwar sind Rechenzentren in den letzten Jahren immer energieeffizienter geworden“, sagt Tilman Santarius, Professor für nachhaltige Digitalisierung an der TU Berlin. „Weil aber die Datenverkehre so stark ansteigen, wird die Ersparnis wieder aufgefressen.“ Der ökologische Fußabdruck vergrößere sich sogar, weil digitale Medien die analogen eben nicht zwangsläufig ersetzen: „Die Leute schauen weiterhin lineares Fernsehen, die Einschaltquoten gehen allenfalls leicht zurück“, sagt Santarius. „Aber zusätzlich streamen sie nun Filme und Serien auch noch über das Internet.“
Die gute Nachricht: Jeder kann am eigenen Verhalten schrauben, um die persönliche Internet-Klimabilanz abzumindern (siehe Infokasten). Und auch in der Kleinstadt Dresden in den USA wollen die Aktivisten nicht aufgeben. „Wir haben schließlich nur eine Erde“, sagt Yvonne Taylor. Und das Arbeitsplatz-Argument? „Das kann ich nicht mehr hören. Diese Industrie schafft vor allem Probleme, aber keine Arbeitsplätze. In so einer Bitcoin-Fabrik arbeiten am Ende nicht mehr Leute als in einer gewöhnlichen McDonald’s-Filiale.“