Alba Berlin will nach einer enttäuschenden Vorsaison wieder voll angreifen – aber mit welchem Personal? Noch stockt der Umbruch, dabei müssen einige Leistungsträger ersetzt werden.
Die NBA Summer League war schon immer ein Hingucker. Bei dem mehrtägigen Event im Juli können sich Rookies und weniger erfahrene Profis bei Scouts, Agenten und Verantwortlichen der NBA-Clubs und auch aus dem Ausland empfehlen. Diesmal waren alle Augen auf das Ausnahmetalent Victor Wembanyama gerichtet. Himar Ojeda wird sicher auch mal einen Blick auf den 2,19 Meter großen Franzosen geworfen haben, der als kommender Superstar gilt. Doch das Hauptinteresse des Sportdirektors von Alba Berlin auf seiner USA-Reise waren andere. Spieler, die deutlich weniger gehypt sind und nicht den Sprung in den Kader der 30 besten Teams der Welt schaffen. Spieler, die aber trotzdem genug Klasse und Potenzial besitzen, um den Berliner Bundesligisten zu verstärken. Dass die Summer League in Las Vegas stattfindet, ist bezeichnend: Ojedas Mission gleicht einem Glücksspiel.
„Im Grunde ist es verrückt“
„Im Grunde ist es verrückt“, sagte der 50-Jährige dem RBB. Seit vielen Jahren fliegt er ins Spiele-Paradies, um sich auf dem größten Basketball-Transfermarkt der Welt einen Überblick zu verschaffen. Mit Agenten zu reden. Kontakte zu knüpfen. Sich mit Kollegen auszutauschen. Deals vorbereiten oder am besten schon einzutüten. Manchmal bleibt er die vollen zehn Tage, manchmal reist er auch früher ab – je nach Ergiebigkeit und anderen Verpflichtungen. Spaß macht ihm der Trip nicht wirklich, aber in seiner Position ist es ein Pflichttermin. „Ich hasse es fast“, sagte Ojeda. Bei den täglich sechs bis acht Spielen in zwei Hallen sei der Eventcharakter inzwischen deutlich gestiegen. Die Chance auf tatsächliche Vier-Augen-Gespräche oder ein vernünftiges Kennenlernen mit wichtigen Menschen der Branche ist dagegen kaum noch gegeben. „Mittlerweile ist es ein Zirkus mit vielen Fans.“
Und doch ist dieser Zirkus für Alba wichtig – in diesem Jahr umso mehr. Nach dem enttäuschenden Viertelfinal-Aus in den Playoffs als Titelverteidiger will der elfmalige Meister wieder voll angreifen. Doch mit welchem Personal? Die Führungsspieler Luke Sikma, Jaleen Smith, Tamir Blatt und Maodo Lo haben den Club verlassen, auch Yovel Zoosman kehrte Alba den Rücken. Ob die ausgelaufenen Verträge mit Markus Eriksson und Louis Olinde verlängert werden, war bei Redaktionsschluss unklar. Fest steht aber schon jetzt: Der Personalwechsel beim entthronten Champion fällt deutlich größer aus als im Vorjahr, als man die Mannschaft fast komplett zusammenhalten konnte. „Ja, in diesem Jahr wird es zu einem Umbruch kommen“, sagte Geschäftsführer Marco Baldi der „Bild“. Besorgniserregend sei das aber nicht. „Wir waren jetzt fünf Jahre lang verwöhnt. Es ist eher ungewöhnlich, dass ein Kader so lange zusammenbleibt, wir hatten eine Phase höchster Kontinuität. Das war weit weg von normal.“
Baldi nimmt die Situation pragmatisch und rational an. Zu den sieben bis acht Spielern, die man im Kader gehalten habe, „werden nun neue Spieler gesucht“. In den USA, in Europa, in Deutschland. Es gebe zwar in der Euroleague und auch in der Bundesliga Clubs, „die wirtschaftlich übermächtig sind“, doch auch Alba könne mit guten Argumenten punkten: dem Standort, der Ausbildung, dem Spielsystem. Das werde auch in den USA registriert, versicherte Baldi: „Wir haben als Alba Berlin schon eine gute Position dort.“ Im Visier stehen gute Spieler, „die bereit sind, an sich zu arbeiten“ und sich im Alba-Umfeld weiterentwickeln wollen, erklärte der Geschäftsführer, „das ist seit Jahren unser Beute-Schema“.
Der Abgang vieler Leistungsträger kann auch eine Chance bedeuten, meinte Baldi: „Denn sind wir ehrlich, haben wir mit der jungen Truppe zuletzt überperformt, müssen jetzt auch mal Demut zeigen.“ Dass sich Sikma, der jahrelang als Kapitän das Team aufs Parkett geführt und zuverlässiger Scorer gewesen war, gegen eine Vertragsverlängerung entschieden hat, kann Baldi nachvollziehen. „Klar hätten wir Luke Sikma gern gehalten“, sagte er: „Aber der Junge hat sechs Jahre lang alles für diesen Club getan und aus sich herausgeholt. Dass er mit 33 noch einmal woanders spielen möchte, respektieren wir. Und bei uns gibt das Platz für neue Impulse.“ Zumal Sikma zum Ende der vergangenen Saison sportlich nicht mehr unumstritten und zudem verletzungsanfällig war.
Deutlich schwerer aufzufangen ist der Weggang von Maodo Lo. Der Nationalspieler nutzte seine Vertragssituation und wechselte ablösefrei zum italienischen Spitzenclub Armani Mailand, wo er für zwei Jahre unterschrieb. „Es fällt mir sehr schwer, Alba zu verlassen“, gab der 30-Jährige zu: „Berlin ist mein Zuhause, und ich bin wirklich von Glück gesegnet, dass es in meiner Heimatstadt einen so tollen Verein wie Alba gibt, der mich hier aufgenommen und mir noch mal einen wahnsinnigen Leistungsschritt in meiner Karriere ermöglicht hat.“ 201 Spiele bestritt der Point Guard für Alba, dabei erzielte er 2.059 Punkte und gewann zweimal den Meistertitel sowie einmal den Pokal. „Ich weiß, dass die Fan-Seele bei so etwas immer leidet“, sagte Baldi. Doch auch bei Lo gilt: Sein Abgang soll eine Chance für andere sein.
Mehr Spielzeit für Christ Koumadje
Noch mehr Spielanteile soll zum Beispiel Christ Koumadje erhalten. Der mit 2,21 Meter größte Profi der Basketball-Bundesliga verlängerte seinen auslaufenden Vertrag bei Alba um drei weitere Jahre bis 2026. Der Mann aus dem Tschad hat sich nach Anfangsschwierigkeiten einen festen Platz im Team von Trainer Israel Gonzalez erarbeitet und sowohl offensiv als auch defensiv auf ganzer Linie überzeugt. Die Verpflichtung des Centers vor zweieinhalb Jahren sei „ein Wagnis“ gewesen, gab Sportdirektor Ojeda zu, „aber wir haben Christs Potenzial gesehen und haben an ihn geglaubt“. Und dieses Vertrauen wurde belohnt. „Christ hat sich in den zweieinhalb Jahren bei uns sehr gut entwickelt und hat gezeigt, was für ein großer Faktor er in unserem Spiel sein kann“, sagte Ojeda: „Wir werden diesen Weg fortsetzen und weiter gemeinsam mit ihm an seinen Fähigkeiten arbeiten.“ Koumadje spielte auch in Las Vegas bei der Summer League vor, um sich vielleicht irgendwann doch noch seinen NBA-Traum zu erfüllen.
Zunächst aber hat Alba Priorität – und die Ansprüche dort sind trotz des Umbruchs nicht kleiner geworden. „Ohne die Erwartungen zu schmälern, natürlich ist es unser Anspruch und gehört zu unseren Prinzipien, dass wir auch in der neuen Bundesliga-Saison wieder vorn angreifen und mitspielen wollen“, meinte Geschäftsführer Baldi. Man wolle wie immer „zur deutschen Spitze“ gehören – und möglichst ins Playoff-Finale einziehen und dort die Trophäe holen. Dass die Vorsaison so enttäuschend geendet hatte, sei auch eine Kraftfrage gewesen, meinte Baldi. Die Doppelbelastung mit Euroleague und Bundesliga sei ein klarer Nachteil für Alba und Bayern München gewesen. „Da sind wir an einer Grenze angekommen. Da muss etwas passieren“, meinte Baldi. Eine einfache Lösung für das Problem gebe es aber nicht. Es sei eine „Königsaufgabe“, die nationalen und internationalen Termine so zu gestalten und zu koordinieren, dass sowohl Clubs als auch Ligen und Verbände zufrieden sind und die Spieler ihre Regenerationsphasen erhalten.