Der gebürtige Saarländer Jonas Hector war beim 1. FC Köln Kapitän, sollte zur WM 2022 fahren und beendete im Mai 2023 schon an seinem 33. Geburtstag seine Karriere. Der Kölner Autor Ralf Friedrichs hat ein Buch über die Karriere des etwas anderen Stars geschrieben. Im Interview mit FORUM spricht er darüber.

Herr Friedrichs, zum Auftakt eine banale Frage: Warum ein Buch über Jonas Hector?
Weil Jonas Hector in meinen Augen DIE Vereinsikone des 1. FC Köln im neuen Jahrtausend ist.
Wieso ist er das?
Zum einen, weil er seine gesamte Profi-Karriere über beim 1. FC Köln geblieben ist. Zum anderen natürlich wegen seiner starken und konstanten Leistungen. Er hätte als 43-maliger Nationalspieler ganz sicher das Potenzial gehabt, Champions League zu spielen, aber er hat alle Angebote ausgeschlagen. Er ist in Köln geblieben und ist hier zur Ikone geworden. Darüber hinaus ist er ein ganz spezieller Typ. Darüber musste einfach ein Buch geschrieben werden.
Aber heißt die kölsche Ikone der 2000er nicht Lukas Podolski?
Podolski ist sicher auch eine Ikone. Aber ich würde ihn eher als eine deutsche Ikone mit kölschem Einschlag bezeichnen. Er ist so etwas wie der FC-Außenminister. Aber er hat nicht durchgängig beim 1. FC Köln gespielt. Und letztlich war Jonas Hector hier auch erfolgreicher. Er hat zweimal mit dem FC in Europa gespielt und ist nur einmal abgestiegen. Und das bezeichnenderweise in der Saison, in der er verletzungsbedingt lange ausgefallen ist.
Kurioserweise haben Podolski und Hector nie zusammen gespielt …
Tatsächlich hat der eine den anderen quasi abgelöst. Podolski absolvierte sein letztes Spiel für Köln 2012, als der FC durch ein 1:4 gegen den FC Bayern abstieg und die Südkurve symbolisch zur schwarzen Rauchwand wurde. Das war ein tiefer Einschnitt. Und beim ersten Pflichtspiel der neuen Saison im DFB-Pokal in Unterhaching stand Jonas Hector in der Startelf. Und niemand hätte auch nur ansatzweise geahnt, dass dieser stille Saarländer die neue Ikone wird.
Ein Außenminister war Jonas Hector tatsächlich selbst zu Kapitäns-Zeiten nicht. Er war wenig volkstümlich, hat kaum Interviews gegeben und hatte auch nicht immer Lust auf Fotos und Autogramme. Hat dies dem Bild der Ikone keinerlei Schrammen zugefügt? Oder hat man das einem wie ihm verziehen?
Der Großteil der Leute hat es ihm verziehen. Es gab natürlich immer wen, der enttäuscht war, wenn er extra 100 Kilometer anreiste und ihm das Autogramm verweigert wurde. Aber selbst das war auf eine gewisse Weise ja ehrlich und authentisch und im Großen und Ganzen war der Gesamteindruck zu gut. Gerade, weil er so anti-kölsch war. So anders als die heutigen Fußball-Profis. Und auch so anders als Lukas Podolski. Lukas Podolski hat sehr viel kommuniziert und Jonas Hector quasi gar nicht.
Wie konnte er dann Kapitän werden?
Auch mir war er aus der Außensicht als Kapitän zunächst zu leise und zu wenig präsent. Aber wenn er in der Kabine etwas gesagt hat, haben alle zugehört. Die Kollegen haben ihm an den Lippen gehangen. Und haben wahrscheinlich sogar viel mehr auf das reagiert, was er gesagt hat, als wenn da jemand zehn Minuten herumgepoltert hätte. Er war zweifellos der Kapitän nach innen und hatte dort ein ungemeines Gewicht. Und das wurde dann mehr und mehr auch außen anerkannt.
Im November 2013 hatte Hector in dem von Ihnen moderierten „FC-Stammtisch“ einen der ersten öffentlichen Auftritte. War er damals sehr zurückhaltend? Oder hat sich seine Skepsis gegenüber den Medien erst später entwickelt?
Er hat mir zu Beginn relativ deutlich zu verstehen gegeben, dass so etwas eigentlich nicht sein Ding ist. Ich glaube, mich auch zu erinnern, dass er kurzfristig eingesprungen ist für einen anderen Spieler. Aber er wurde mit jeder Minute lockerer und hat sich total positiv und teilweise auch witzig-charmant verkauft. Das kam alles wirklich sehr gut rüber. Und ich habe mich später unheimlich oft gefragt: Was ist da passiert, dass aus ihm in den Medien so ein Grantler wurde?
Haben Sie eine Antwort gefunden?
Die eine Antwort gibt es nicht. Er hat natürlich mit wachsendem Einfluss und als Kapitän immer mehr den Druck auf seinen Schultern gespürt.
Lag es auch an Dingen, die über ihn berichtet wurden?
Sicher waren ihm einige Dinge zu persönlich. Ich weiß auch, dass er sich mal darüber beklagt hat, dass er bei Spielen in der Loge immer in Großaufnahme mit einem Glas Kölsch gezeigt wurde. Ich als Kölner habe das aber eher gefeiert.
Hätten Sie es damals für möglich gehalten, dass er kurz nach der Sendung bei Ihnen Nationalspieler sein würde?
Ich habe es mir gewünscht. Denn Deutschland suchte damals händeringend einen Linksverteidiger. Leider wurde er erst nach der WM 2014 erstmals nominiert. Wäre er nicht Zweitliga-Spieler gewesen, wäre er sicher schon in Brasilien dabei gewesen. Dort hat Deutschland mit vier Innenverteidigern in der Abwehr gespielt. Ich bin sicher, Jonas Hector hätte schon in seiner damaligen Form den WM-Titel alles andere als verhindert. Dann dürfte er sich heute Weltmeister nennen. Aber umso weniger überrascht war ich, als er nach der WM berufen wurde.
Haben Sie für das Buch irgendwie mit ihm zusammengearbeitet?
Er war informiert, aber nicht involviert. Wir hatten zunächst offiziell über den Verein angefragt, aber keine Antwort bekommen. Auch als wir die persönlichen Kontaktdaten hatten, gab es keinerlei Interesse an einer Mitgestaltung. Aber er wollte das Buch vorab lesen. Und da daraufhin keine Beschwerde kam, nehme ich an, dass er damit einverstanden war.
Hätten Sie sich nicht gern mal mit ihm darüber ausgetauscht?
Natürlich. Aber ich nehme ihn so, wie er ist. Wenn er sich nicht darüber austauschen möchte, ist es okay. Dann bleibt er eben in seiner Welt. Und hat hingenommen, dass dieses Buch nur die Außenansicht darstellen kann.
Das Buch enthält einige Episoden, geht aber eher auf die Karriere als auf den Menschen ein. Wieso haben Sie die persönlichen Dinge so gemieden? Weil so wenig darüber zu erfahren war? Oder war es Vorsicht, in dem Wissen, dass er das wahrscheinlich nicht wollen würde.
Eine Mischung aus beidem. Vor allem aber war entscheidend, dass wir eben nur die Außenansicht hatten und auf keinen Fall irgendwelche Halbwahrheiten raushauen wollten oder Dinge, die nicht belegbar sind. Innenansichten hat er ja quasi nie preisgegeben. Das tut er nicht mal heute in seinem Podcast. Was wir aber tun durften, ist, seine Leistungen und die entsprechenden Umstände zu dokumentieren und mit persönlichen Einschätzungen zu versehen. Das habe ich mir schon journalistisch erlaubt. Und wenn etwas eine Vermutung war, habe ich es genauso gekennzeichnet.
Hätten Sie je für möglich gehalten, dass er eines Tages unter die Podcaster geht?
Niemals. Aber wenn man darüber nachdenkt, ergibt es schon Sinn. Vielleicht will er wegen des eindimensionalen Bildes, das in dieser Hinsicht von ihm herrscht, in einem solchen Format zeigen, dass er auch anders sein kann. Wobei ich nicht unbedingt sagen würde, dass er absolutes Talent zum Podcaster hat. Da fand ich ihn auf dem Spielfeld schon besser.
Im Saarland hätten viele nicht geglaubt, dass er die Heimat je verlässt. Und als er es getan hatte, waren sich alle sicher, dass er nach der Karriere zurückkommen wird. Nun ist er in Köln geblieben. Wieso?
Er ist Saarländer und wird nicht müde zu betonen, dass das seine Heimat ist. Aber ich denke, Köln ist sein Ersatz-Saarland geworden. Er wollte das Saarland eigentlich nie verlassen. Er hat sich dagegen gewehrt, hat einige Probe-Trainings sausen lassen und dem großen Christian Streich und Freiburg abgesagt. Sein Talent hat aber verhindert, dass er auf ewig im Saarland bleiben konnte. Wobei Köln, wenn man Hectors Charakter betrachtet, eigentlich das totale Gegenteil von ihm selbst ist: laut, extrovertiert, extrem emotional. Vielleicht hat ihn genau das gereizt. Er hat sich dann dort sein eigenes Saarland aufgebaut. Und nun will er offenbar hier auch nicht mehr weg.
Hector ist ein Spieler, von dem man sagt: So eine Karriere wäre heute nicht mehr möglich. Nie in einem Leistungszentrum gewesen, nie in den sozialen Medien vertreten. Aber das hat man zu seinem Karriere-Beginn vor zwölf Jahren auch schon gesagt. Ist die Erkenntnis also nicht eher die, dass sich besondere Typen wie er immer durchsetzen? Egal, wie sie sich nach außen geben.

Ein Jonas Hector würde sich immer und überall durchsetzen. Weil er authentisch ist. Und weil sein sportliches Vermögen noch viel größer war als gemeinhin angenommen wird. Viele sagen: Er ist nicht zum FC Barcelona oder einem anderen großen Club, weil er dort Bankdrücker geworden wäre. Ich sage: Nein, er wäre überall Stammspieler gewesen. Weil er quasi nie etwas falsch gemacht hat, weil er eine große Intuition auf dem Feld hatte und eine herausragende Technik. Solche Karrieren wird es immer wieder geben. Ob es noch mal so einen Typen wie Jonas Hector geben wird, bezweifele ich aber. Der ist einfach einzigartig.
Viele Ex-Profis werden später Trainer oder Sportdirektoren, bleiben dem Geschäft auf jeden Fall erhalten. Ist das bei Jonas Hector, der mit diesem Geschäft immer so gefremdelt hat, vorstellbar?
Eigentlich ist es unvorstellbar. Aber unvorstellbar war auch, dass er etwas Mediales wie einen Podcast macht. Ich kann mir schon vorstellen, dass er irgendwann in den Fußball zurückkehrt. Als Jugendtrainer könnte ich ihn mir zum Beispiel sehr gut vorstellen. Ganz vorne in der ersten Reihe eher nicht. Aber er hat uns schon so oft überrascht, wer weiß …
Das Buch ist seit Ende 2023 auf dem Markt. Ist es bisher gut gelaufen?
Es verkauft sich stetig. Wir arbeiten gerade an der zweiten Auflage.