Training statt Triumphe: Markus Eisenbichler ist zum Auftakt der Skispringer nur Ersatz. Der Ex-Weltmeister will sich zurückkämpfen – wieder einmal.
Knapp 50 Tage vor Wettkampfstart gab es für das Auftaktspringen der diesjährigen Vierschanzentournee am 29. Dezember in Oberstdorf keine Tickets mehr. Ausverkauft – vermeldeten die Veranstalter stolz. 25.500 Zuschauer werden in der Arena am Schattenberg versuchen, vor allem die deutschen Ski-Adler mit einem kräftigen „Ziiiieh“ auf eine große Weite zu bringen. „Das Interesse ist wirklich großartig. Wir haben auch weiterhin eine erfreulich große Nachfrage für die Qualifikation und bewegen uns in Richtung Zuschauerrekord für die Quali aus dem Vorjahr“, sagte Georg Geiger als Vorsitzender des Skiclubs Oberstdorf. Er rechnet mit einem Zuschauerrekord für die Qualifikation am Tag zuvor, die bisherige Bestmarke datiert aus dem Vorjahr mit 16.000 Besuchern. Der Clou in diesem Jahr: Nur drei Tage nach dem Männer-Springen findet auch der Weltcup der Frauen in Oberstdorf statt. „Auch da erwarten wir eine tolle Kulisse“, sagte Geiger, „vor allem, weil wirklich viele vom Kombi-Rabatt Gebrauch gemacht haben.“ Es werden also reichlich Fans sowie Athleten und Athletinnen in diesem Winter im Allgäu aufschlagen – aber auch Markus Eisenbichler? Nach der Ausbootung des Ex-Weltmeisters für die ersten Weltcupspringen im finnischen Ruka (25./26. November) und im norwegischen Lillehammer (2./3. Dezember) bestehen Zweifel daran, ob sich der Oberbayer einen festen Platz im deutschen Team für das Prestige-Event erkämpfen kann.
Gedanken ans Aufhören
„In den letzten beiden Lehrgängen und aus den Leistungen bei der Deutschen Meisterschaft haben wir jetzt die Mannschaft nominiert für die ersten Weltcups“, erklärte Bundestrainer Stefan Horngacher seine durchaus überraschende Entscheidung gegen Eisenbichler. Stattdessen gehören zum sechsköpfigen Aufgebot neben den gesetzten Karl Geiger und Andreas Welling auch Philipp Raimund, Martin Hamann, Stephan Leyhe und Pius Paschke. Eisenbichler, der jahrelang eine Stütze im deutschen Team war, bleibt vorerst nur die Rolle des Ersatzmannes. Komplett außen vor sei der 32-Jährige aber nicht, versicherte Horngacher: „Die Sportler, die jetzt leider nicht dabei sind, haben definitiv die Möglichkeit. Sie haben die Möglichkeit sich anzubieten. Hier gilt das Prinzip Leistung.“
Und die Leistungskurve bei Eisenbichler zeigt seit einiger Zeit nach unten. Der Skispringer, der in seiner Karriere zu sechs WM-Titeln und drei Olympia-Medaillen geflogen ist, steckt zweifelsohne im Formtief. Bei den Deutschen Meisterschaften in Klingenthal hatte überraschend Hamann triumphiert und damit Eisenbichler ausgestochen. „Die Sprünge waren jetzt noch nicht am Optimum“, sagte Hamann hinterher sogar, „da kann ich sogar noch ein bisschen feilen.“ Erst der nationale Titel, jetzt die Weltcup-Nominierung – wer hätte damit gerechnet? „Wenn man genauer hinschaut, ist die Überraschung tatsächlich nicht so groß“, meinte der frühere Skisprung-Bundestrainer Werner Schuster. Hamann habe zwar immer „zu den Fahrstuhlspringern“ gehört, also „immer um den Anschluss gekämpft“, sagte Schuster bei Eurosport. Aber in den vergangenen Wochen habe er „an Auftrieb gewonnen und sein Ding durchgezogen“. Zu viel dürfe man vom 26-Jährigen aber nicht erwarten, warnte Schuster: „Ich würde nicht von zu viel träumen. Ein Top-15-Platz wäre schon ein Erfolg.“
Ein solcher war einst für Eisenbichler fast schon eine Selbstverständlichkeit. Allein im Einzelspringen hat er 21 Podestplätze im Weltcup erreicht, dazu kommen sieben im Skifliegen und 26 im Teamspringen. 2018/2019 war seine vermutlich beste Saison, als er zu drei WM-Goldmedaillen sprang und als „König der Lüfte“ gefeiert wurde. Im Weltcup musste er oft lediglich dem zu jener Zeit überragenden Japaner Ryoyu Kobayashi den Vortritt lassen – so wie bei der Vierschanzentournee. Eisenbichler war aber die klare Nummer eins im deutschen Team, davon ist er jetzt meilenweit entfernt. Schon in der Vorsaison schwächelte Eisenbichler – wie übrigens das gesamte deutsche Team. Top-Ten-Plätze waren rar gesät, der dritte Rang im japanischen Sapporo Mitte der Saison war nichts mehr als ein positiver Ausrutscher. Eisenbichler blieb hinter den Erwartungen klar zurück, auch bei der Weltmeisterschaft im slowenischen Planica konnte er es diesmal mit den Plätzen 13 (Normalschanze) und fünf (Großschanze und Teamspringen) nicht herausreißen.
„Wie Aladin auf dem Teppich“
Sollte er sich im Alter von 32 Jahren noch mal quälen, um den Anschluss an die Weltspitze zu schaffen – ohne eine Garantie darauf? Diese Frage stellte sich der einstige deutsche Vorspringer „eine Woche“ lang sehr ernsthaft. Doch dann entschied er sich gegen einen Rücktritt, weil ihm die Sportart noch immer zu viel bedeutet. „Aber als ich wieder mit dem Springen angefangen habe“, begründete Eisenbichler, „habe ich gemerkt, warum ich das so gerne mache.“ Diese scheinbare Schwerelosigkeit beim Skispringen scheint nicht nur für ihn einen Suchtfaktor zu haben. „Wie Aladin auf seinem Teppich“ fühle er sich in der Luft, hatte Eisenbichler es einmal bildhaft ausgedrückt. Das Problem ist nur: Zuletzt kam der Athlet kaum noch wirklich ins Fliegen, viele seiner Sprünge endeten schon vor dem Einsetzen des großen Glücksgefühls.
Während seine Teamkollegen nun im hohen Norden um die ersten Weltcup-Punkte kämpfen, heißt es für Eisenbichler: Training, Training, Training. Er muss den Rückstand aufholen, um den Bundestrainer von einer Nominierung für den Heim-Weltcup in Klingenthal am 9. und 10. Dezember zu überzeugen. Spätestens bei der Vierschanzentournee Ende des Jahres will der Bayer wieder zum A-Team gehören. Dass in ihm eine Kämpfernatur steckt, hat er in der Vergangenheit mehrfach bewiesen. Eisenbichlers Karriere ging nie linear aufwärts, sondern gleicht mehr einer Berg- und Talfahrt. Aber das hat seine Willensstärke enorm wachsen lassen. Nur wenige Monate nach seinem Weltcup-Einstieg hätte seine Laufbahn 2012 fast schon beendet sein können, als er sich bei einem Sturz auf der Schattenbergschanze in Oberstdorf einen Brustwirbel gebrochen und vier weitere angebrochen hatte. Der Skispringer ließ sich davon nicht entmutigen und kämpfte sich zurück. Genau wie nach sportlichen Rückschlägen. Bei den Olympischen Spielen 2018 wurde er in Südkorea kurzfristig zum Ersatzmann degradiert und konnte von außen nur zuschauen, wie das Team zu Silber sprang.
„Er war sehr sauer“, gab der damalige Bundestrainer Werner Schuster zu. Das spricht für Eisenbichlers Ehrgeiz. Und es spricht für seine Teamfähigkeit, dass er sich danach nicht schmollend in die Ecke verzog. Stattdessen feierte er mit den Silber-Jungs ausgelassen im Deutschen Haus und legte dabei sogar einen Schuhplattler aufs Parkett. Eisenbichler ist ohne Zweifel eine Frohnatur, die die Stimmung im Team heben kann. Doch um richtig glücklich zu sein, braucht er auch sportlichen Erfolg. Er muss sich nun aus dem Tief selbst herausziehen – und das wird er schaffen, meinen zumindest zwei Experten.
„Man knallt gegen eine Wand“
„Wenn man glaubt, dass Markus Eisenbichler geschlagen ist, dann täuscht man sich. Er ist ein Stehaufmännchen“, sagte Ex-Bundestrainer Schuster: „Ich glaube, dass er in diesem Winter noch seine Chance kriegen wird.“ Um diese dann zu nutzen, müsse Eisenbichler nun hart an einer stabileren Technik arbeiten, denn: „Er ist nicht mehr so stabil, wie er es einmal war.“ Seine besten Sprünge hätten immer noch ein „sehr hohes Niveau“, doch davon gebe es immer weniger. Der frühere Skisprung-Superstar Martin Schmitt schließt sich dieser Meinung über Eisenbichler an. „Sein Können blitzt zwar immer wieder in Einzelsprüngen auf“, sagte der viermalige Weltmeister, „aber er hat momentan leider nicht mehr die stabile Form, die er braucht, um im Weltcup die Leistungen zu bringen, die er auch von sich selbst erwartet“. Jetzt läge es ganz allein an Eisenbichlers Willen und Einsatz. „Er hat es selbst in der Hand – und das weiß er auch“, sagte Schmitt: „Er muss sich auf seine Performance konzentrieren, er wird seine Chance bekommen, und diese gilt es dann zu nutzen.“
Ähnliches trifft auch auf Constantin Schmid zu, der ebenfalls nicht zum ersten DSV-Aufgebot der Top-Skispringer gehört. Der zweimalige Junioren-Weltmeister galt einst als großer Hoffnungsträger für die Zukunft, stagnierte dann aber in der Entwicklung. „Plötzlich steht man dann da und knallt gegen eine Wand“ – so beschrieb Schmid zuletzt in einem Interview die Situation. Deswegen hat er sich auch psychologische Hilfe geholt, denn: „Mir kam phasenweise die Freude am Skispringen abhanden.“ Aber das gehöre nun „der Vergangenheit an“. Die Saisonziele des Olympia-Dritten im Team orientieren sich daher auch bewusst nicht an Plätzen. Er wolle „Spaß am Skispringen haben“ und sein Potenzial abrufen. „Wenn mir das gelingt, kommen die anderen Ziele von selbst.“ Auf Einzel-Schicksale wie die von Schmid oder Eisenbichler konnte und wollte der Bundestrainer keine Rücksicht nehmen. Nach der enttäuschenden Vorsaison mit nur acht Einzel-Podesten soll das DSV-Team in diesem Winter wieder konstant vorne mitspringen. Auch im Sinne einer besseren Vorbereitung habe man sich „bewusst für eine frühe Nominierung entschieden“, verriet Horngacher: „Wir wollen die drei Wochen anständig nutzen und für die Athleten Ruhe schaffen.“
Ruhe und Abgeschiedenheit braucht Markus Eisenbichler vielleicht sogar noch mehr. Sollte ihm das Comeback auf der großen Skisprung-Bühne gelingen und er zurück zu alter Stärke finden, „ist er jederzeit für Top-Resultate im Weltcup gut“, meinte Ex-Kollege Martin Schmitt. Nichts anderes hat der Kämpfer Eisenbichler im Sinn.