Der Verteidigungsminister möchte Jugendliche anschreiben – in einer Lebensphase, in der auch soziale Verbände um jugendliche Fachkräfte werben. Die Arbeiterwohlfahrt wünscht sich eine Gleichbehandlung dieses gesellschaftlichen Engagements.
Zivildienst oder Wehrpflicht? Vor dieser Frage standen Hunderttausende deutsche Jugendliche noch vor etlichen Jahren. Genauer, vor dem Jahr 2011. Ein Jahr später war die Frage obsolet, der damalige Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg hatte die Wehrpflicht ausgesetzt. Vollständig abgeschafft ist sie bis heute nicht, stattdessen könnte sie im Falle eines Falles wiedereingesetzt werden. Aber die Bundeswehr wurde somit vollständig zu einer Berufsarmee.
Nach 2011 standen jedoch soziale Einrichtungen in Deutschland vor einem Problem: Jahr für Jahr konnten sie sich auf eine nicht unerhebliche Anzahl Zivildienstleistender stützen, die Tätigkeiten in diesen Bereichen übernahmen. Diese fehlten nun. Ersetzen sollten sie Freiwillige im Bundesfreiwilligendienst (BFD, umgangssprachlich auch Bufdi genannt). Nach Erhebungen des BFD waren im Jahr 2024 bis zum 1. Juli 33.414 Bundesfreiwillige registriert. Zum Vergleich: Noch 2010 wurden mehr als 78.000 Zivildienstleistende einberufen. Zwischen 2012 bis heute hat sich an der Zahl der „Bufdis“ nicht viel geändert, sie schwankte in der Vergangenheit zwischen 29.000 und maximal 49.000 Freiwilligen pro Jahr.
FSJ und BFD als Zivildienstersatz
Doch es gibt weitere Möglichkeiten, sich zu engagieren. Der BFD steht jedem offen, auch älteren Menschen. Ein freiwilliges soziales oder ökologisches Jahr zielt vor allem auf Jugendliche im Alter zwischen 18 und 26 Jahren ab. Zu Zeiten der Wehrpflicht war dies eine Option für junge Frauen in einer Orientierungsphase; heute nehmen auch viele junge Männer diese Option, die es auch als freiwilliges ökologisches Jahr (FÖJ) gibt, wahr. Nach Angaben des Bundesministeriums für Familie, Senioren und Jugend lag die Zahl derjenigen, die sich dafür entschieden, in den vergangenen Jahren zwischen 47.000 und 56.300 Menschen pro Jahr. Darüber hinaus existieren auch internationale Freiwilligendienste wie „Weltwärts“.
„Die Zahl der Interessenten für freiwilliges soziales Engagement aber hat sich verringert“, sagt Jürgen Nieser, Landesgeschäftsführer der Arbeiterwohlfahrt im Saarland. Das habe auch mit den Nachwirkungen von Corona zu tun, denn jedes Engagement bedeute auch Nähe zum Menschen – und diese war während der Pandemie potenziell gefährlich. Dass nun ein möglicherweise freiwilliger Wehrdienst in die Orientierungsphase junger Menschen Einzug halten soll, sieht Nieser zumindest als ungerecht für soziale Organisationen an, da diese aufgrund der Mittelkürzungen nicht die gleichen Bedingungen bieten könnten.

„Die Arbeiterwohlfahrt zielte immer darauf, die Folgen von Armut und Ausgrenzung, sozialen Verwerfungen zu überwinden. Dabei unterstützen uns viele Freiwillige, damals beim Zivildienst, in freiwilligen sozialen Jahren, Ehrenämtern oder im Bundesfreiwilligendienst. Wir haben dabei immer versucht, auch Jugendlichen eine Orientierung zu bieten. Und die Chance auf Orientierung wollen wir auch gegenüber einem freiwilligen Militärdienst gleichwertig anbieten.“ Dabei dürfe, so betont Nieser, keine Priorisierung von Wehrdienst gegenüber bürgerlichem Engagement stattfinden. „Als der Minister den Vorschlag machte, alle Jugendlichen anzuschreiben, habe ich mir die Frage gestellt: Warum werden sie auch nicht gleichzeitig über den BFD und das FSJ aufgeklärt?“ Dienst an der Waffe sei Dienst an der Gesellschaft, und damit mit sozialem Dienst gleichzusetzen. Dass sich ein Angegriffener gegen einen Aggressor wehren kann, auch mithilfe deutscher Waffen, sei richtig, so Nieser. Doch die Demokratie verteidigen, dies sei auch Sache sozialer Verbände und Einrichtungen wie der Arbeiterwohlfahrt – durch den Solidaritätsgedanken in der Freiwilligenarbeit.
Damit dies gelänge, brauche es jedoch auch Geld. Durch den Sparzwang im Haushalt fehlen Zuwendungen. Aktuell spart der Bundesfinanzminister, letztlich fehlen dem Landesverband dadurch konkret etwa 70.000 Euro im Jahr für die Ausbildung von freiwilligen Helfern. 2017 lag ihre Zahl im Saarland bei 292, 2024 nur noch bei 150, ebenfalls eine Folge der Pandemie und der Demografie. „Freiwillige, die übrigens auch ukrainischen Geflüchteten helfen, sich in die deutsche Gesellschaft zu integrieren“, sagt Nieser. Die von den Freiwilligen gewählten Gruppensprecherinnen und -sprecher haben den Landesverband nun schriftlich gebeten, sich für bessere Rahmenbedingungen und finanzielle Anerkennung durch die Politik einzusetzen.
Dienst an der Gesellschaft
Viele Jugendliche nehmen aber leider diese Möglichkeiten wie FSJ nicht mehr in ihre Lebensplanung mit auf, nutzen stattdessen vielfältige andere Möglichkeiten wie Auslandsaufenthalte. Aber: „Wenn wir die Menschen nicht mehr früh an soziale Berufe heranführen können, ist die Chance, dass sie sich später dafür interessieren, geringer – was Hänschen nicht lernt, lernt Hans nimmermehr“, so Nieser.
Wünschenswert wäre daher aus Sicht der Wohlfahrtsverbände auch ein konkurrenzfähiges Taschengeld auf Bafög-Niveau und erstattete Fahrtkosten als kleine Wertschätzung gegenüber den Ehrenamtlern und Freiwilligen. „So, wie unsere Soldaten beispielsweise freie Fahrt bei der Bahn genießen“, fügt Nieser hinzu. „Freiwilliges ziviles Engagement und militärisches Engagement müssen einander die Waage halten, das ist eine Lehre aus unserer deutschen Geschichte.“
Deshalb kamen die Debatten über Einsparungen bei den Freiwilligendiensten in Deutschland zur Unzeit: im vergangenen Jahr standen 100 Millionen Euro wegen der angespannten Haushaltslage zur Disposition. Gespart wurde zur Erleichterung vieler Sozialverbände letztlich nicht, stattdessen wurden Teilzeitmodelle ohne Nachweispflicht über ihre Notwendigkeit eingeführt, das maximale Taschengeld auf 604 Euro erhöht und Mobilitätszuschläge eingeführt. Mehr zahlen dürfen, heißt aber für die meisten Einrichtungen, die auf freiwilliges soziales Engagement setzen, nicht, dass sie es auch könnten. Denn nach wie vor bleiben diese Systeme in Deutschland unterfinanziert, etwa die Pflege, aber auch Kindertagesstätten. Ein freiwilliger Wehrdienst könnte da zusätzlich zur unliebsamen Konkurrenz für ein soziales Engagement Jugendlicher werden.