Die AfD ist nach einem Gutachten des Verfassungsschutzes „gesichert rechtsextremistisch“. Was aus der Erkenntnis folgt, wird mit vielen Facetten diskutiert. Auch die Forderung nach einem Verbot ist wieder auf dem Tisch.

Unmittelbar nach dem Gutachten des Verfassungsschutzes hat die Debatte um die Konsequenzen Fahrt aufgenommen. Wie ist mit Mitgliedern einer „gesichert rechtsextremistischen“ Partei im Öffentlichen Dienst zu verfahren? Wäre ein Verbotsverfahren nicht die logische Konsequenz?
Wie umstritten ein mögliches AfD-Verbotsverfahren auch in weiten Teilen der Bevölkerung ist, zeigt sich genau 24 Stunden nach der Veröffentlichung vor dem Besuchereingang des Reichstages. Samstag um die Mittagszeit warten hunderte Menschen auf Einlass. Wer das Hohe Haus der Demokratie besucht, ist auf dem Laufenden über die aktuellen Entwicklungen.
„Ihr habt alle nicht den Schuss gehört“
Angesprochen auf das AfD-Gutachten der Verfassungsschützer, sind alle bestens im Bilde, und es ist gerade hier nicht nur eine Randnotiz, sondern ein Thema, das die Menschen umtreibt. Darüber mit dem Journalisten und Reporter reden, ja gerne, aber per Name oder gar mit Foto auch abgedruckt zu werden, das dann doch bitte nicht. Eine Meinung dazu haben die Menschen hier vor dem imposanten Reichstagsgebäude, aber ebenso steht ihnen nicht der Sinn danach, dazu auch mit Gesicht in der öffentlichen Debatte aufzutauchen. Angst vor Shitstorm und Anfeindungen?
Da ist eine sehr junge Besuchergruppe, hörbar aus dem Stuttgarter Raum. „Spätestens jetzt muss auch die Politik endlich reagieren und die AfD verbieten. Mehr Beweise braucht es doch wohl nicht, dass die AfD eine rechte Partei ist und unsere Demokratie abschaffen will“, sagt eine etwa Anfang-20-Jährige und erntet von den Umstehenden aus ihrer Reisegruppe allgemeines Kopfnicken. Wenige Meter weiter steht ein Paar um die Vierzig, die davon offensichtlich nicht ganz so überzeugt sind. „Das muss man gut abwägen, immerhin handelt es sich um eine Partei, die ein Fünftel der Stimmen bei der Bundestagswahl bekommen hat. Selbst bei uns in Nordrhein-Westfalen haben wir mittlerweile AfD-Hochburgen, die Wähler kann man ja nicht einfach ignorieren.“ Ein älterer Herr aus dem hörbar Sächsischen pflichtet dem Paar bei und mahnt lautstark: „Bei uns hat ein Drittel die Schlümpfe (Umschreibung für AfD, Anm. d. Red.) gewählt, die können Sie doch nicht alle gleich mitverbieten. Selbst wenn die Partei verboten ist, die Wähler sind doch immer noch da und werden dann nicht plötzlich für SPD oder CDU stimmen.“ In Hörweite steht ein junges Paar. Beide schütteln den Kopf und ziehen mit ihren zwei Kindern weiter Richtung Brandenburger Tor. Dem jungen Vater ist beim Gehen noch ein „Ihr habt doch alle nicht den Schuss gehört“ zu entnehmen.
Wenige Meter daneben steht Malte Engeler und verfolgt aufmerksam die Bürger-Debatte vor dem Besucherportal des Bundestages. Der 41-Jährige ist Rechtsanwalt und Aktivist der Kampagne „Menschenwürde verteidigen – AfD-Verbot Jetzt!“. Engeler kennt die Argumentationslage zur Genüge. Seit fast einem Jahr demonstriert er mit seiner Organisation in unregelmäßigen Abständen vor dem Bundestag für die Einleitung eines AfD-Verbotsverfahrens. „Was mich ein bisschen erstaunt: Jetzt, wo sich selbst das Bundesamt für Verfassungsschutz ebenfalls klar zum Potenzial der Demokratie-Gefährdung durch die AfD geäußert hat, wollen das ganz offensichtlich viele immer noch nicht wahrhaben.“ Entmutigen lässt sich Malte Engeler nicht. Er und sein Bündnis werden jetzt wieder verstärkt auf Mahnwachen und Kundgebungen setzen, auch wenn das bislang nicht so erfolgreich verlief.
Immerhin konnten sie bei ihrer Kampagne vor den Neuwahlen im Februar für den Antrag zu einem Beschluss des Bundestages zu einem AfD-Verbotsverfahren 113 Bundestagsabgeordnete aus beinahe allen Fraktionen hinter ihre Forderung bringen. Was dann aber nicht für einen Beschluss des Hohen Hauses reichte. Vor den Neuwahlen war das Bündnis „AfD-Verbot Jetzt!“ von der Einleitung eines Verbotsverfahrens noch weit entfernt.
Wie sich nun das Verhältnis zu der „gesichert rechtsextremistischen“ Partei ändert, ist noch eine offene Frage.
In der Union gilt zwar offiziell weiterhin die Brandmauer gegen eine politische Zusammenarbeit mit der AfD, aber die ist nicht erst seit der letzten Woche brüchig, selbst auf Bundesebene. Jens Spahn hatte sich bereits vor Ostern für einen normalen parlamentarischen Umgang mit der AfD eingesetzt. Spahn ging es dabei um die Besetzung der Posten von Vorsitzenden der Bundestagsausschüsse durch die AfD. Diese stehen der Partei zwar zu, deren Personalvorschläge brauchen aber – wie alle anderen – eine Mehrheit im Bundestag. Es gibt kein Recht darauf, dass eine von einer Fraktion vorgeschlagene Person eine Funktion übernimmt. Davor steht eben eine demokratische Wahl, bei der in der Vergangenheit regelmäßig AfD-Kandidaten keine Mehrheit gefunden haben.
Spahn war nicht der einzige prominente Unionspolitiker, der in der Vergangenheit zu einem „normalen“ Umgang mit der AfD aufgerufen hatte. Dass die Union nun der Idee zu einem Verbotsantrag nahetreten wird, ist also ziemlich unwahrscheinlich.
Auch bei der SPD ist das Thema umstritten. Damit dürfte sich wohl im Bundestag keine Mehrheit finden für einen Prüfauftrag an das Bundesverfassungsgericht. Blieben also noch Bundesregierung oder Bundesrat, die einen solchen Antrag stellen könnten.
Die Hürden für ein Verbot sind hoch
Im Bundesrat, der Länderkammer, haben unionsgeführte Länder, vor allem Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen, aber auch Bayern, gewarnt. Damit scheint das Thema AfD-Verbot eher zu einer außerparlamentarischen Debatte zu werden, an der sich vor allem Staatsrechts-Gutachter abarbeiten können.

Die Hürden für ein Parteiverbot hängen hoch, und da wirft das 1.100-Seiten-Gutachten des Bundesamtes für Verfassungsschutz bereits erste rechtliche Fragen auf. Einen Punkt erwähnte die ehemalige Innenministerin Nancy Faeser gleich bei der Vorstellung. Sie erklärte, das Gutachten zur Feststellung des gesicherten Rechtsextremismus der AfD könne nicht veröffentlicht werden, um persönliche Quellen zu schützen. Ein Gutachten, das – aus guten, nachvollziehbaren Gründen – nicht veröffentlicht werden darf, ist nur schwer nachvollziehbar. Das gilt für alle beteiligten Seiten.
Dass das wiederum AfD-Narrativen in die Hände spielen würde, war erwartbar. Co-Parteichef Tino Chrupalla fragte: „Wie soll sich die AfD gegen eine Einstufung durch den Verfassungsschutz wehren, wenn wir gar nicht wissen was drinsteht?“ Selbst bei Befürwortern eines AfD-Verbotsverfahrens werden Zweifel geäußert, ob das Gutachten in dieser Form als Grundlage für einen Antrag hinreichend rechtssicher wäre.
Immerhin scheiterte im März 2003 das erste angestrebte NPD-Verbotsverfahren vor den Verfassungsrichtern in Karlsruhe an solchen persönlichen Quellen. Damals waren es eingesetzte V-Leute des Verfassungsschutzes. Um welche Quellen es sich diesmal handelt, ist unklar. Doch Staatsrechtler warnen, das Wagnis eines erneuten Scheiterns allein an diesem Punkt dürfe nicht unterschätzt werden. Darum müsste das Gutachten offengelegt werden, damit alle Quellen nachvollziehbar sind. Erst dann wäre klar, ob es auch rechtlich hinreichend für ein Verbotsverfahren belastbar wäre, argumentieren einige Staatsrechtler.