Mit „Unfrosted“ legt Jerry Seinfeld sein Spielfilm-Regiedebüt vor. Zu sehen ist der kurzweilige und kunterbunte Spaß, der auch für Familien geeignet ist, auf Netflix.
In den 90er-Jahren Comedy-Ikone, heute alter weißer Mann? Sicherlich kann man über diverse Äußerungen des US-Komikers Jerry Seinfeld aus jüngster Vergangenheit streiten. Seine Kommentare über eine „einvernehmliche Hierarchie“ und eine fehlende „dominante Männlichkeit“, die in der Kultur zu vermissen seien, beispielsweise verwundern doch sehr. Vor allem, da das New Yorker Urgestein körperlich so fern von Vin-Diesel-getränktem Testosteron-Energydrink entfernt ist, wie Dwayne Johnson vom subtilen Schauspieler. Außerdem erschuf der 70-Jährige mit der Figur „Elaine“ in der nach ihm benannten Sitcom „Seinfeld“ eine der vielleicht stärksten Frauenfiguren der Fernsehgeschichte, die zudem brillant von Julia Louis-Dreyfus verkörpert wurde.
Man sollte es viel öfter machen: Die persönlichen Vorbehalte gegen Künstlerinnen und Künstler beiseite wischen und die Kunst vorurteilsfrei betrachten. Wenn man dies im Falle von Jerry Seinfeld tut, hat man an seinem Filmdebüt als Regisseur jede Menge Spaß. „Unfrosted“ heißt der kunterbunte Gag-Reigen, der im besten Sinne altmodisch und beinahe schon anachronistisch daherkommt. Aktuelle Politik wurde dankenswerterweise komplett ausgeblendet, es steckt nicht in jedem einzelnen Frame ein Statement für dies oder gegen jenes und stattdessen zählen Geschichte und Figuren. Herrlich. Anderthalb Stunden einfach ablachen.
Bob Cabana (mit Spaß am groben Unfug: Jerry Seinfeld) ist Mitte der Sechziger erfolgreicher Leiter der Entwicklungsabteilung des Kelloggs-Konzerns. Bei der erneut siegreichen Teilnahme am jährlichen Bowl and Spoon Awards teilt ihm Konkurrentin Marjorie Post (mit Spaß an Diabolik: Amy Schumer) vom Konkurrenzunternehmen Post Consumer Brands (gibt es wie Kellog’s ebenfalls tatsächlich) mit, dass sie in Kürze ein neues Produkt auf den Markt bringen wird – eines, von dem sie überzeugt ist, damit den Umsatz von Kellog’s endlich zu überholen. Der Krieg um die Müslischüssel hat begonnen.
Comedy und Gesellschaftssatire
Wie gut, dass Cabana Kinder dabei beobachtet, wie sie den Post-Abfall durchwühlen und offensichtlich regelrechten Sucht-Appetit auf die entsorgten Entwürfe des neuen Food-Trends entwickeln. Er wirbt Donna „Stan“ Stankowski an (mit Spaß am überdrehten Genie: Melissa McCarthy) von der Nasa ab, die mit einigen „Geschmackspiloten“ ein neues konkurrenzfähiges Produkt entwickeln soll. Gleichzeitig wendet sich Bob Cabana an den puerto-ricanischen Kriminellen El Sucre und erwirbt die Exklusivrechte an 99 Prozent des weltweiten Zuckers.
Marjorie Post wiederum wendet sich an Nikita Chruschtschow persönlich, um sich beim damaligen Regierungschef der UdSSR die Rechte an kubanischem Zucker zu sichern. Dies wiederum ruft den US-Präsidenten John F. Kennedy auf den Plan, dem der Gedanke an kommunistisches Frühstück so gar nicht in die Müslischüssel kommen will. Den aufkommenden Druck auf die organisierte Milchmafia, pardon, Milchwirtschaft, beantwortet diese mit der Entführung von Cabana. Und dann gibt es da ja noch Shakespeare-Darsteller Thurl Ravenscroft (mit Spaß an Selbstironie: Hugh Grant), dem sein Engagement als Kellog’s-Maskottchen an die Ehre geht und der daraufhin einen Streik ausruft.
Man merkt es bereits: Die Geschichte von „Unfrosted“ ist – obgleich inspiriert von wahren Begebenheiten – überdreht und nimmt jeden Gag mit, der sich anbietet. Ähnlich wie die Serie „Seinfeld“ ist der Netflix-Film hervorragend geschrieben und gibt den Schauspielern auch in den kleinen Nebenrollen genügend Gelegenheit, in ihren sehr schön gezeichneten Figuren zu glänzen. Am Drehbuch schrieben neben Jerry Seinfeld noch weitere Autoren mit, mit denen der Comedy-Titan bereits in der Vergangenheit zusammenarbeitete, unter anderem bei dessen Stand-up-Auftritten, beim Animationshit „Bee Movie – Das Honigkomplott“ oder eben bei der Serie „Seinfeld“.
Ähnlich wie „Seinfeld“ wandelt „Unfrosted“ also zwischen harmloser Komödie und Gesellschaftssatire und brilliert mit sarkastischen Charakterstudien, absurden Elementen, Filmparodien, Slapstick, einer Portion Sentimentalität sowie dem Fehlen von Pathos. Die Szenerie im Amerika der 60er-Jahre noch fernab von Vietnam-Unruhen ist liebevoll ausgestattet und ist sich seiner Freude am Herumalbern deutlich bewusst. Das ist wie „Seinfeld“ (übrigens ebenfalls bei Netflix zu sehen und nur zu empfehlen) eine Geschichte, „die von nichts handelt“ – aber gleichzeitig eben von allem.